Wieso? Weshalb? Warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm. Hier lernen Sie, mit offenen Augen zu ganz erstaunlichen Entdeckungen durchs Leben zu gehen!

Wieso? Weshalb? Warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm. Die Sesamstraßen-Weisheit bestimmte auch Susanne Niemeyers Kindheit. Da gehörte die Fragelust einfach dazu. Doch je älter sie wurde, desto weniger schaute sie mit Neugier aufs Leben. Maren Schürmann sprach mit der Autorin von „Was machen Tagträumer nachts?“ Darin beschreibt die 47-Jährige, wie sie wieder lernte, neugierig zu sein.

Neugier ist ja nicht nur eine positive Eigenschaft. . .

Niemeyer Ja, viele haben als Kind gehört: „Sei doch nicht so neugierig.“ Das Wort ist etwas unglücklich, weil da die Gier nach etwas Neuem drinsteckt. Aber das ist gar nicht der Punkt, der mich interessiert. Ich finde, Neugier ist eine Haltung, die Welt zu sehen. In dem Moment, wo ich nicht mehr neugierig bin, sondern vorgefertigte Meinungen habe, gibt es keine Offenheit mehr. Ich glaube, sowohl für die Gesellschaft als auch für das eigene Leben ist es gut, offen zu sein, sich überraschen zu lassen.

Wird Neugier heute nicht zu schnell gestillt? Ich frage mich etwa, wie es in Chile aussieht – ein paar Klicks und schon habe ich die Antwort.

Es gibt eine Instagram-Mentalität, mit der man gierig von einem Bild oder einer Schlagzeile zur nächsten klickt. Das ist eine Neugier, die nicht befriedigt. So wie Chips. Man hat das Gefühl, man will mehr, aber man wird nicht satt davon, nicht befriedigend satt. Irgendwann ist einem schlecht. Die Neugier, von der ich rede, ist eine, bei der ich selber etwas tue: Indem ich auf Dinge zugehe, indem ich forsche, indem ich Gedanken weiterverfolge. Ich versetze mich in die Haltung eines Anfangsgeistes: Mal gucken, wo das hinführt.

„Netflix hat meine Neugierde betäubt“

Woher kam der Impuls, etwas zu ändern, wieder neugierig zu sein?

Meine Neugier fing an, einzuschlafen. Ich habe viel im Internet gesurft. Als Netflix-Fan schaue ich gerne Serien. Da kommt am Ende: In 5, 4, 3, 2, 1 geht die nächste Folge los. Ich saß davor, längst ermüdet, aber trotzdem dachte ich: „Ach, eine noch.“ Ich war wie betäubt und irgendwann merkte ich: Ich will damit aufhören. Und ich will gucken, was mich eigentlich interessiert. Denn irgendwann ist es ja kein echtes Interesse mehr an der Serie, sondern die Vermeidung von eigenem Leben.

Wie wird man wieder neugierig?

Abschalten, aufstehen – das ist das Erste. Alle sozialen Medien ausschalten. Nicht für immer, aber eine Pause machen. Rausgehen und gucken, wo das eigentliche Leben ist. Dinge einfach selber machen. Egal, ob ich ins Museum gehe oder einen Fremden anspreche oder mal wieder Pippi Langstrumpf lese.

Was braucht es für Neugier? Muße? Bei langen To-do-Listen fällt es einem ja schwer, neugierig zu sein.

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Ich glaube, Neugier ist vor allem eine Einstellungssache. Je mehr Zeit man dafür hat, umso besser. Aber selbst wenn man sein Leben nicht umkrempelt, kann man Inseln schaffen: Zeit, die nicht verplant ist. Mut zur Langweile haben und schauen, was daraus entsteht. Ich habe von einem simplen Versuch geschrieben, wo ich einfach losgehe, ohne zu wissen, wohin. Man kann so viel Neues finden, selbst in Straßen, die ich täglich gehe. Und das macht Mut, dass man überall spannende Sachen entdecken kann. Pippi Langstrumpf sagt: „Die ganze Welt ist voll von Sachen, und es ist wirklich nötig, dass sie jemand findet.“

Schaut hin, macht fröhlich: Autorin Susanne Niemeyer.  
Schaut hin, macht fröhlich: Autorin Susanne Niemeyer.   © Privat

Sie haben neun Gebote der Neugier aufgeschrieben, zum Beispiel: Versuche nicht, etwas Neues zu sehen, sondern etwas neu zu sehen. Wie kann das gelingen?

Zum Beispiel auf Reisen. Es gibt ja einen gewissen Spott über Leute, die seit 27 Jahren zum Beispiel nach Büsum fahren. Natürlich kann es total fantasielos sein, 27 Jahre in Büsum zu sitzen, aber vielleicht auch nicht. Letztendlich geht es darum, ob ich im 27. Jahr noch etwas entdecke. Und selbst, wenn es in Büsum nichts Neues gibt, bin ich ja jedes Jahr neu. Insofern müsste es ja eigentlich neue Erkenntnisse geben.

Was ist der Lohn für Neugier?

Wachheit. Die Fähigkeit, sich zu wundern und sich berühren zu lassen. Ich wohne in einem Altstadtviertel und ich entdecke auf meinen Streifzügen so viele schöne Verzierungen an den Häusern. Aber auch Skurrilität: Buddha, Jesus und Superman winken aus einem Fenster – als kleine Figuren mit Wackelarmen. So etwas finde ich komisch! An einer anderen Stelle hat jemand an die Hauswand ganz klein Ameisen gesprayt. Ein lustiges Graffito. Darüber würde ich hinwegsehen, wenn ich eine Whatsapp tippe oder in Gedanken beim nächsten Termin bin.

Sie erzählen in Ihrem Buch Geschichten aus Ihrer Jugend. Ist Neugier eine Frage des Alters?

Neugier war in meiner Jugend selbstverständlicher. Ob das auf Jugend heute zutrifft, weiß ich gar nicht. Es gab kein Internet und nur drei Programme im Fernsehen. Erwachsene haben uns selten bespaßt. Die Notwendigkeit, Dinge selbst zu erfinden, war größer. Insofern war die Neugier vielleicht alltäglicher oder lebensnotwendiger.

Spannend, auch mal auf Unangenehmes zu achten

Und wenn man älter wird?

Ich finde es wichtig, die Neugier nicht aus den Augen zu verlieren. Meine To-do-Listen werden immer länger. Manchmal scheint das Korsett aus Verantwortungen und Aufgaben sehr eng. Und dazu kommen die Enttäuschungen. Dass manche Dinge anders gekommen sind, als ich sie mir erträumt habe. Manchmal tauchen Zukunftsängste auf, Fragen, ob die Rente reichen wird oder wie ich der Einsamkeit begegne. Dann ist der Wunsch nach Sicherheit und Trost erstmal größer als die Neugier.

Sie empfehlen, auch auf Unangenehmes zu achten. Warum?

Ich finde es erkenntnisreich, auf Gefühle zu achten, die ich eigentlich verdrängen möchte: Angst, Scham, Wut. Meistens gibt es ja einen Grund, warum ich Angst habe, warum ich mich schäme, warum ich wütend bin. Es gibt immer eine Seite, die eigentlich etwas Gutes für mich will. Es ist doch spannend zu gucken, was das sein könnte.

Wenn jemand das liest und denkt, ich würde auch gerne wieder die Neugier entdecken. Haben Sie noch einen Tipp, wie man anfängt?

20 Fragen aufschreiben, die einen interessieren, also wirklich interessieren. Und nicht zensieren, ob sie gut oder doof sind. Ich glaube, wenn man Fragen hat, ist das der Anfang von Neugier. Wenn man Lust hat, den eigenen Fragen nachzugehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wenn dir von offizieller Stelle bestätigt würde, dass du brillant bist, was würde das ändern?