Essen. . Auf der „Bucket List“ steht, was man vor dem Ableben unbedingt noch erreichen will: krasse Reisen etwa. Einem Zeitgeist-Phänomen auf der Spur.
Einmal mit der Harley über die Route 66 brettern oder wenigstens mit dem Tourenrad um den Möhnesee. Einmal bloß in der Ausnüchterungszelle aufwachen oder mindestens mal die Zeche prellen. Einmal noch Dirk Nowitzki spielen sehen, ups, zu spät, das geht schon nicht mehr. Der Punkt kann gestrichen werden, andere wollen noch abgehakt sein auf der Wunschliste des Lebens: der „Bucket List“.
Was wollen Sie noch erleben, bevor Sie den Löffel abgeben?
Mein Haus, mein Boot, mein Auto – nicht mehr erstrebenswert, sagt Peter Wippermann, lange Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Der 69-jährige Trendforscher hat sich für uns mit dem Phänomen beschäftigt, das so neuzeitlich klingt, aber eigentlich – nehmen wir einen anderen Dreisatz: Haus bauen, Baum pflanzen, Kind zeugen – doch ein alter Hut ist. Oder? Wippermann: „Besitz spielt immer weniger eine Rolle. Früher galten berufliche Ziele als erstrebenswerter, heute betrachten die Menschen die Welt als Erlebnispark. Sie wollen eher den Himalaya besteigen als Mercedes fahren. Und damit will niemand mehr bis zum Renteneintritt warten…“
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„Bucket List“, das ist auch der Originaltitel der Tragikomödie aus dem Jahr 2007. In dem Film versuchen zwei Krebskranke, verkörpert von Jack Nicholson und Morgan Freemann, sich in ihren letzten Monaten noch die letzten Wünsche zu erfüllen. Der Bezug zur Endlichkeit wird in der deutschen Übersetzung deutlich „Das Beste kommt zum Schluss“. Aber auch im Amerikanischen bedeutet „Kick the Bucket“, also den Eimer umzutreten, im übertragenen Sinne eben abtreten. Von mir aus: den Löffel abgeben – daher zumindest rührt die eingedeutschte Version „Löffelliste“.
Was steht auf Ihrer Bucket List?
Und Sie, was müssen Sie unbedingt noch erlebt haben? Alle Teile von "Police Academy" am Stück sehen, in Vietnam eine original Pho-Bo-Suppe schlürfen, endlich Klavier spielen oder doch noch Kunstgeschichte studieren. Schreiben Sie uns, mit Porträtfoto bitte: lebenundfamilie@funkemedien.de - die besten Einsendungen werden abgedruckt.
Was also tun die alten Herrschaften, um zweite Chancen für verpasste Gelegenheiten zu nutzen: mit dem Fallschirm springen, einen Shelby Mustang fahren, auf Großwildjagd gehen, so weit so oberflächlich, aber auch dies: einem fremden Menschen etwas Gutes tun und so sehr lachen, bis man weint.
„Schon kleine Reisen sind wie Yoga für den Körper“
Natürlich wird auch gereist, hier zu den Pyramiden und zum Taj Mahal, denn „Reisen sind die beste Art und Weise, in eine andere Zeit einzutauchen“, sagt Wippermann. Alles bewegt sich extrem schnell, in der virtuellen wie in der wirklichen Welt, die Aufmerksamkeitsspannen werden immer kürzer, so dass der Wunsch nach Ausstieg wachse. Raus aus der Komplexität! „War Aussteigen früher jedoch mit der Absicht verbunden, dem System dem Rücken zu kehren, stehen heute erstmal egozentrische Interessen im Vordergrund: nämlich der Luxus, unverplante Zeit verschwenden zu können.“ Schon kleine Reisen seien wie Yoga für den Körper.
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Dass man hier und dort noch gewesen sein und dies und das noch gesehen haben muss, bevor man stirbt, davon lebt eine ganze Branche: die der Ratgeber à la „101 Dinge, die du getan haben solltest, bevor du alt und langweilig bist“. Der Klassiker „1000 Places To See Before You Die“ gehört dabei sicher zu den bekanntesten, wurde mittlerweile in 25 Sprachen übersetzt.
„Oh, mir bleibt nicht mehr viel Zeit“, merkt auch Sängerin Nelly Furtado (40), die in ihrem gleichnamigen Song sehr spezielle Standards für die Bucket List setzt, übersetzt so: „Zieh’ deine Stiefel an und besuch’ den Nordpol, versuch’ jede Sportart, bis du dein Ding machst, folge dem Weg eines Schmetterlings, geh’ zum Ground Zero und tu’ nichts, außer weinen. Wir wissen nicht, wie viel Zeit verbleibt (...)“
Die Liste kann auch Druck und Frust erzeugen
Zeit erzeugt mithin Druck, Zeitdruck. Aber auch Leistungsdruck. Rastlos getrieben zu sein, statt den großen Moment auszukosten, schon den nächsten ins Visier zu nehmen, nicht alles schaffen – das kann frustrieren und schafft gewissermaßen ein schriftlich festgehaltenes Zeugnis des Scheiterns. „Es wächst natürlich ein unheimlicher Versagensdruck, wenn man überall gewesen sein will. Mit der Freiheit, alles machen zu können, geht auch leicht die Orientierung verloren“, bestätigt Peter Wippermann.
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Doch damit eines Tages nicht alles im Eimer ist oder für die Tonne, gibt es zum Glück Online-Magazine. Und die Löffelliste scheint dabei geschlechtsspezifisch. Internetseiten wie „wunderweib.de“ empfehlen: in eine Pfütze springen, mit Delfinen schwimmen, sich etwas Teures kaufen, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben… Männlichere Zielgruppenansprache laut „menshealth.de“ tendiert aufplusternd ins Machomäßige: eine giftige Schlange melken, einen Marathon beenden, mit Haien schwimmen. Merke: Sie Delfine. Er Haie. „Sex an ungewöhnlichen Orten“, immerhin, wollen beide…
Nicht verwechseln mit To-Do-Listen
So ein Ziele-Zettel ist bitte nicht zu verwechseln mit einer To-Do-Liste. Rasenmähen, Steuererklärung machen, den Zaun streichen, zum Zahnarzt gehen – das braucht es, klar, aber nicht für ein erfülltes Leben. „Sprachen zu lernen“ hingegen schon, empfiehlt Wippermann zum kulturellen Verständnis.
Und wie hält es der Professor selbst mit der Löffelliste? „Ich bin eigentlich ganz zufrieden. Ich habe meine Weltreise gemacht. Das war sehr befriedigend und – vor allem – sehr beruhigend.“