Essen. . Oktorail im Essener Grugapark zeigt die Welt im Kleinen. Das lässt Modellbau-Fans wie Familien staunen über 200 Züge und 10.000 Figürchen.

Der Gast fährt mit der Bahn in die Miniaturbahnwelt. Oder zumindest kommt es ihm so vor, wenn er in einem Zugabteil sitzt und durchgerüttelt wird wie auf alten Gleisen. Er „schaut aus dem Fenster“ und sieht dort: Angela Merkel und Eisbär Knut, Helmut Kohl rauscht an ihm vorbei sowie der Zauberwürfel, Steffi Graf und Boris Becker gewinnen Wimbledon, 2:1 – Deutschland wird Weltmeister! Der erste Mensch landet auf dem Mond, die Beatles spielen. . . Endstation. „Wir holen die Leute aus der Realität in die 60er-Jahre“, erklärt Museumsleiter Jens Kürvers. Denn in diesem Jahrzehnt beginnt auch die Miniaturbahnwelt Oktorail mit ihren rund 200 Zügen.

Kleiner als ein Streichholz

Ein VW-Käfer steht am Hafen. Während dort Kohle verladen wird, rattert eine von innen beleuchtete Bahn vorbei. Maßstab: 1 zu 87. Die rund 10.000 Mini-Menschen sind also noch kleiner als ein Streichholz. Aber sie machen das, was die Großen machen: am Kanal angeln, ein Dach decken, im Schrebergarten arbeiten sowie Auto fahren – und natürlich auf die Bahn warten. Jens Kürvers ist nicht nur Chef dieser Mini-Welt, sondern auch der einer Autowerkstatt sowie von Modellbahn-West – einer Kette von Modellbahn-Geschäften.

Bitte einsteigen: Jens Kürvers am Eingang zur Miniaturwelt mit 200 Zügen.
Bitte einsteigen: Jens Kürvers am Eingang zur Miniaturwelt mit 200 Zügen. © André Hirtz

Die Schau ist eine Zeitreise – von damals zurück ins Heute. Zudem führt sie den Gast vom Revier über Süddeutschland bis nach Italien. „Wir wollten Brücken und Berge“, begründet der 61-Jährige die Fahrt in den Süden. Ferner zeigt die Schau den Strukturwandel des Ruhrgebiets sowie die Stahlproduktion – von der Zeche bis zum Auto.

Der Besucher kommt nah ran

Dabei ist nicht eine Zeche nachgebaut worden, aber es ist eine entstanden, die so ähnlich in dieser Region hätte stehen können. Es gibt nur wenige Ausnahmen, die der Realität recht nahe kommen, wie etwa der Bahnhof Bottrop-Nord. Aber meist war ein Original nur Vorbild: etwa Hattingen für die Fachwerkhäuser.

Schön ist: Der Besucher kommt ganz nah ran. Keine Absperrung, keine Glasplatte versperrt den Blick auf die Mini-Welt, die mit viel Liebe zum Detail entstanden ist. Das danken die Besucher: „Die Leute gehen total vorsichtig damit um“, so Kürvers. „Es fehlt keine Lokomotive.“

20.000 LEDs wurden allein bei der Kirmeswelt verbaut, so Kürvers.
20.000 LEDs wurden allein bei der Kirmeswelt verbaut, so Kürvers. © André Hirtz

Oktorail ist kleiner als das riesige Miniaturwunderland in Hamburg, aber perfekt für einen etwa einstündigen Ausflug, wenn es in der Gruga nieselt – das Museum ist Teil des Parks. Die Schau ist in einem ehemaligen Pflanzengewächshaus untergebracht, das an die Form eines Oktaeders erinnert, so Kürvers. Daher der etwas sperrige Name: Oktorail. Dabei sieht es von außen eher wie ein Ikosaeder aus...

Der Besucher gelangt auf seiner Tour zu einem großen Bahnhof, dort werden die Züge moderner. Am Anfang des Museums hatte Kürvers noch gesagt: „Hier darf um Himmels willen kein ICE durchfahren.“ Eisenbahnenthusiasten würden es nicht billigen, wenn moderne Bahnen durch eine historische Kulisse kurven. An diesem Bahnhof treffen sich Vergangenheit und Gegenwart.

Man hätte thematisch in NRW bleiben können, aber dann geht es doch in die Alpen – wegen der Brücken und Berge.
Man hätte thematisch in NRW bleiben können, aber dann geht es doch in die Alpen – wegen der Brücken und Berge. © André Hirtz

Weiter geht’s: Nicht nur für Bahn-Fans, die sich über zwei Meter lange Brücken im Alpenpanorama freuen, sondern gerade für viele Familien. Es gibt ja so viel zu entdecken: Auf einer bunt-leuchtenden Kirmes drehen sich die Karussells. 20.000 LEDs habe man allein dort verbaut. Und hier wartet eine Hochzeitsgesellschaft. Der Pfarrer scheint verschlafen zu haben und eilt zu Braut und Bräutigam. Und an einer Stelle, kurz vor Italien, wo die Glocken läuten und die Möwen kreischen, wird ein Zug ausgebremst: Ein Baum an den Gleisen fällt um. Kürvers scherzt: „Wir haben den Borkenkäfer.“

>> Mein liebstes Ausstellungsstück: ein Hochofen

So viele Rohre! Dort ist die Gießhalle, da ein Kühlturm und hier sind – passend zur Bahn-Schau – die Torpedopfannenwagen, mit denen das flüssige Eisen transportiert wird. „Das ist ein originalgetreu nachgebauter Hochofen“, schwärmt Museumsleiter Jens Kürvers. 16 Jahre lang hat der Schweizer Roy Genkinger an der 3,50 Meter breiten Anlage gebaut – im Wohnzimmer der Mutter. Schließlich gewann er damit einen europäischen Modellbau-Wettbewerb.

Ein Hochöfchen: 16 Jahre lang arbeitete ein Schweizer an diesem Modell.
Ein Hochöfchen: 16 Jahre lang arbeitete ein Schweizer an diesem Modell. © André Hirtz

Mit dem Sieg endete die Geduld: „Als die Mutter sagte: ,Wäre gut, wenn der Ofen nun verschwindet’, habe ich ihn kennengelernt“, erzählt Kürvers schmunzelnd von seinem Glück, das Modell nun im Museum ausstellen zu dürfen.

Der Ingenieur und Technikfan Kürvers mag sich an dem Hochofen nicht sattsehen. „Viele können gar nicht wertschätzen, wie viel Arbeit das ist.“ Für so etwas gebe es keinen Bausatz. „Alles ist von Hand gefertigt.“ Die Rohre könnten mal Klopapierrollen gewesen sein, bevor sie ihre Rost-Farbe bekamen. Aber: „Ich kann nicht sagen, was aus Pappe ist oder aus einem Küchenbrett. Das ist die Kunst des Modellbaus, das man so etwas nicht mehr erkennt.“

Oktorail im Grugapark, Eingang „Orangerie“, Virchowstr. 167, Essen, auch für Schulklassen, Kindergeburtstage. Am Wochenende geöffnet: 10 - 18 Uhr, 3,90 €, Kinder ab 6: 3,40 €, unter 6: 1 € plus Gruga-Eintritt (4 €, 1,20 €, frei), Fr. günstiger (eingeschränkter Bahnbetrieb). Mit Bistro und Spielbereich, barrierefrei. Tel: 0201/45 18 59 55, oktorail.de

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