Essen. . Mütter und Väter beschäftigen sich immer mehr mit dem Handy statt mit den Kindern. In Essen wurden nun zehn Kitas zur handyfreien Zone erklärt.
Ein Mädchen sitzt im Kinderwagen und schaut seine Mutter an. Aber die Mama schaut nicht zurück. Sie guckt auf ihr Smartphone, streicht mit dem Daumen darüber, spricht in den Kasten. Um diese Szene zu beobachten, muss man nicht lange suchen. Zwölf Jahre, nachdem das erste iPhone auf den Markt kam, wirkt das Handy bei vielen Menschen wie eine Verlängerung der Hand. Für die neue Elterngeneration ist das Alltag. Doch die Familientherapeutin Marianne Leven sagt: „Kinder irritiert das.“
Zehn Kitas in Essen haben nun – wie berichtet – ein Handyverbot erteilt: für die Eltern. Denn Mütter und Väter beschäftigen sich beim Wegbringen und Abholen oft mit dem Smartphone statt mit ihren Kindern, haben Erzieher des Kita-Trägers CSE festgestellt. Damit sich das ändert, gibt es nicht nur die neue Regel: „Mobiltelefone werden in der Kita ausgeschaltet und weggepackt.“ Kinder können den Eltern nun auch die Kelle zeigen, auf der das Handyverbot steht. Wie kleine Polizisten fordern sie damit ihr Recht auf Aufmerksamkeit.
Das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit
„Das ist konsequent, das finde ich richtig gut“, sagt Marianne Leven, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle „FamilienRaum“ des Diakoniewerks in Essen-Borbeck. „Ich glaube, viele Eltern wissen, dass es nicht so glücklich ist, was sie da tun.“ Aber es fällt schwer, damit aufzuhören. Weil anscheinend alle immer erreichbar sind. „Es gehört eine große Disziplin dazu, sich da abzugrenzen.“ Aber warum ist es so wichtig, dass Eltern ihren Handy-Gebrauch überdenken? Was für Folgen hat der ständige Blick aufs Smartphone für den Nachwuchs?
Zunächst muss man verstehen, was Kinder vor allem in den ersten zehn Jahren brauchen, um zu begreifen, was ihnen nun verloren geht, so die 60-Jährige. „Es ist ganz wichtig, dass Kinder besonders in den ersten Lebensjahren immer wieder das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit bekommen.“ Dass sie erfahren, ich werde geliebt, meine Eltern nehmen meine Bedürfnisse wahr. „Das ist die Grundlage für eine gute Entwicklung.“ Damit ein Kind selbstständig und selbstbewusst wird, auch als Erwachsener eine Beziehung eingeht. Dabei entsteht dieses Gefühl des Verbundenseins gerade in der ersten Zeit über Blickkontakt und liebevolle Zuwendung.
Der Erwachsene ist wie ein Spiegel
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„Es gibt eine Form von Kommunikation, die auch ohne Sprache funktioniert. Und das ist die Körpersprache, die Mimik.“ Ein Kleinkind erkennt, ob jemand freundlich guckt oder grimmig. Der Erwachsene ist wie ein Spiegel, er erwidert ein Lächeln, schaut mitfühlend, wenn das Kind sich gestoßen hat. „Das geht natürlich verloren, wenn ich mein Kind nicht in den Blick nehme.“
Kleinkinder seien zudem überfordert, wenn plötzlich die Stimmung kippt. Gerade hat Papa noch lächelnd den Ball über den Boden gerollt und langsam gesagt: „Schau mal, der Ball.“ Dann klingelt es – und der Vater spricht laut, schnell und legt die Stirn in Falten. Dass sich diese Reaktion eigentlich auf einen anderen Menschen bezieht, begreift ein Kleinkind nicht.
Kinder stellen Fragen und wollen Antworten
Und was macht das Kind, wenn die Eltern stets aufs Handy schauen statt ihm ins Gesicht? „Es buhlt um diese Aufmerksamkeit, wird vielleicht quengelig oder mal laut, macht etwas kaputt oder wirft etwas runter.“ Das kann sich steigern, so die Sozialpädagogin. „Wenn Kinder das oft genug machen und es folgt keine Reaktion, dann kann es sein, dass Kinder sogar aufgeben.“ Dann sitzen sie im Kinderwagen, zurückgezogen, ohne den kindlichen Impuls, auf etwas zu zeigen. „Kinder wollen aber die Welt entdecken. Sie stellen Fragen und wollen Antworten.“ Das ist auch wichtig für die Sprachentwicklung: Ein Kind sieht ein Feuerwehrauto, weiß aber nicht, was das für ein Ding ist. Es zeigt auf den Wagen. Und die Eltern erklären: „Das ist ein Feuerwehrauto.“ Dieser Dialog, der schwerfällt, wenn man ständig aufs Handy schaut, sei wichtig, so Leven. „Sonst fehlen dem Kind Wörter, wenn es in die Schule kommt.“
Früher sah man den hohen Fernsehkonsum in Familien kritisch. Ersetzt das Handy heute den Fernseher? „Es ergänzt ihn eher“, vermutet Leven. Und während der Fernseher zu Hause bleibt, ist die neue Konkurrenz immer dabei. Natürlich muss ein Kind auch mal warten, wenn die Eltern im Topf das Mittagessen umrühren oder Wäsche waschen. Aber wenn sie in den Zoo gehen, auf den Spielplatz, dann muss keiner abwaschen oder bügeln, dann haben solche Arbeiten Pause. Das Handy hat nie Pause.
Das Spielen nicht vom Handy unterbrechen lassen
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Es sei denn, man schafft handyfreie Zeiten. Schon beim Stillen ist das wichtig. Die Studie „Blikk“ (Bewältigung, Lernverhalten, Intelligenz, Kompetenz, Kommunikation) von 2018, eine Befragung von Kinderärzten, zeigt, dass sich ein Säugling schlechter füttern lässt, wenn die Mutter parallel digitale Medien konsumiert. Wer dem Baby aber Aufmerksamkeit schenkt, mit dem Finger nicht über das Smartphone, sondern über die Wange des Säuglings streicht, strahlt Ruhe aus. Leven: „Das spüren Kinder.“
Ein gemeinsames Spiel, das die Konzentrationsfähigkeit fördert, sollte nicht vom Handy unterbrochen werden. Übergangszeiten ebenfalls nicht. Wenn Kinder in die Kita gebracht werden. Ebenso abends. „Das ist eh für kleine Kinder etwas schwierig, den Tag loszulassen und in die Nacht zu kommen.“
Alle Handys lautlos und in einen anderen Raum legen
Dann lieber entspannt ein Buch vorlesen. „Eigentlich möchten die Eltern Ruhe haben, ihre Elternzeit, das ist ihr gutes Recht. Aber es rächt sich, wenn das Kind zuvor zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat.“ Dann hat es auf einmal Durst, dann ruft es ein drittes Mal: „Paapaaa?“
Auch bei gemeinsamen Mahlzeiten muss kein Handy auf dem Tisch liegen. „Wo die Familie sich trifft, man miteinander spricht und vom Tag erzählt.“ Dann lieber alle Handys lautlos stellen und in einen anderen Raum legen. Das ermöglicht nicht nur ein gutes Miteinander, Eltern sind so auch Vorbilder für Teenager, die am Smartphone daddeln.
>>> Kinder fordern die Aufmerksamkeit der Eltern
Die Gesellschaft CSE gGmbH (Caritasverband und Sozialdienst katholischer Frauen Essen) hat in seinen zehn Kitas ein Handyverbot ausgesprochen. Kinder zeigen dort Eltern nun Verbots-Kellen.
Auch in anderen Städten werden Eltern ermahnt, weniger aufs Handy zu gucken. Etwa im Raum Augsburg regte das Jugendamt mit Plakaten zum Nachdenken an. Und der siebenjährige Junge Emil aus Hamburg rief andere Kinder 2018 zur Demo auf . Sie forderten: „Spielt mit mir! Nicht mit euren Handys!“