Bergisch Gladbach. . Schauspieler André Dietz („Alles was zählt“) hat eine Tochter, die mit dem seltenen „Angelman“-Syndrom zur Welt kam. Wie er damit umgeht...

Die Diagnose zog ihnen im ersten Schreckmoment den Boden unter den Füßen weg: Nach einer strapaziös langen Ärzte-Odyssee erfuhren Schauspieler André Dietz (43, „Alles, was zählt“) und seine Ehefrau und Bloggerin Shari (32), dass ihre Tochter Mari am seltenen „Angelman-Syndrom“ leidet, einem Gendefekt. Das bedeutet: Sie wird ihr Leben lang auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkinds bleiben, vieles wird sie gar nicht lernen – und ihr Wortschatz wird wohl niemals mehr als 20 Worte umfassen. Was das Ehepaar damals aber noch nicht wusste: „Sie bringt durch ihre Fröhlichkeit so viel Glück in unser Leben! Und in den Rest wächst man rein. Es ist das Normalste der Welt, wenn es passiert“, sagt Shari Dietz.

Natürlich hatten die beiden ihr Leben ein wenig anders geplant – und es klang fast so, als wäre es vom Drehbuchautor eines doch etwas kitschigen Liebesfilms so geschrieben worden. Die Kurzversion: Er, erfolgreicher Schauspieler mit festem Soap-Engagement („Unter uns“, „Alles, was zählt“) und unruhigem Lebenswandel, lernt die gerade ausstudierte Liebe seines Lebens kennen – und auf den ersten Blick lieben. Gemeinsam planen sie sofort: heiraten, Kinder kriegen – Happy End, Klappe, Aus!

Was hilft, aus der Krise herauszukommen?

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So gut der Plan. Wie sich dann alles geändert hat, beschreibt das Ehepaar, das heute vier Kinder hat, in ihrem Buch „Alles Liebe – Familienleben mit einem Gendefekt“. So ganz glatt ging es schon beim ersten Kind nicht: Der Sohn der beiden wurde mit verschlossenem Poloch geboren, einer so genannten Analatresie. Was vier Monate Zittern und Bangen für das Paar und mehrere Operationen für den Säugling bedeutete. Doch das ist längst Geschichte, dem Kind geht’s heute gut.

Auch Mari geht es gut. Aber Mari wird eben ihr Leben lang anders bleiben. Und das Paar hat gelernt, auch damit positiv umzugehen. Das war natürlich eine Zeit lang erstmal anders. Was hat geholfen, aus der ersten Krise herauszukommen?

Als paar schonungslos ehrlich zueinander sein

Shari und André Dietz haben vier gemeinsame Kinder - und damit reichlich Schnuller- und Fläschchen-Erfahrung.
Shari und André Dietz haben vier gemeinsame Kinder - und damit reichlich Schnuller- und Fläschchen-Erfahrung.

„Offenheit ist das A und O. Alle Ängste muss man mal miteinander durchgespielt haben. Wie Shari immer so schön sagt: Man sollte alles mal betrauert haben“, sagt André Dietz. Shari ergänzt: „Das waren halt so Momente, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe: Dass sie nie einen Freund haben wird, die Pubertät. Das sind alles so Sachen, die einem durch den Kopf schwirren. Insbesondere André war derjenige, der dann immer optimistisch gesagt hat: Das kriegen andere auch hin, da gibt es immer einen Weg. Heute sind das die kleinsten Probleme, die wir haben.“

Wobei es auch nicht ganz ohne professionelle Hilfe ging, wie André Dietz offen zugibt. Es gab einen Punkt, an dem beide die Hilfe von Psychologen in Anspruch genommen haben. André Dietz hatte etwas weniger Probleme, war pragmatischer: „Ich habe in meinem Leben ja schon ein bisschen was durchgemacht. Für mich war das irgendwie einfacher. Meine Frau hingegen hatte sehr, sehr darunter zu leiden. So dass ich irgendwann gesagt habe: Pass auf, ich kümmere mich gern um die Kinder und dich, aber tu mir bitte einen Gefallen und nimm Hilfe an.“ Und so bekamen beide zumindest die alltäglichen Situationen in den Griff.

Das Schlimmste waren die epileptischen Anfälle

Und die anderen? Waren teils schlimm, denn zum „Angelman-Syndrom“ gehören auch epileptische Anfälle, die sehr heftig sein können und nur mit komplexer Medikation in den Griff zu bekommen sind. „Einer der schlimmsten Momente war, als Mari einen Krampfanfall hatte, auf dem Bett lag und blau anlief. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der blau wird. Ich habe gedacht: Jetzt stirbt hier unsere Tochter“, erzählt Shari Dietz. Selbst der Notarzt war sich nicht sicher, ob das Mädchen den Weg in die Klinik übersteht.

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Doch sie hat es geschafft. Und die beiden Eltern sind mittlerweile durch viele schöne Momente entschädigt. „Der glücklichste Moment war, als sie zu laufen gelernt hat. Da sind wir ausgerastet. Das war ein Aha-Moment, weil man gemerkt hat, sie fängt jetzt nicht langsam an wie ein einjähriges Kind an der Hand zu laufen. Sondern es war so, dass sie das aus einem Zustand heraus gepackt hat, wo man dachte, sie schafft es nicht mal, freihändig zu stehen. Aus dem Moment, wo sie sich an der Badewanne festhielt, hat sie losgelassen, sich umgedreht und ist gelaufen. Wir haben das gefilmt. Und wenn man sich das heute anguckt, sieht man, wie wir ausgeflippt sind.“

Beziehung als Team mit dem Staffelstab

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Trotzdem bedeutet der Druck, den ein Paar verspürt, dessen Kind mit einem solchen Handicap geboren wurde, oft eine Belastungsprobe. Warum nicht bei Dietzens? Neben der schonungslosen Offenheit führen die beiden das Staffelstab-Prinzip an: Wenn einer von beiden nicht mehr kann, gibt er vertrauensvoll den Staffelstab an den anderen weiter, so dass jeweils der Stärkere in der Beziehung die Last trägt – was bei beiden ausgezeichnet funktioniert. „Man muss jeweils beim anderen sehen: Ich habe jetzt genug Kraft und der Partner nicht mehr, der muss jetzt mal kurz eine Pause haben“, sagt André Dietz.

Gab es Bedenken, weitere Kinder zu bekommen, nachdem es bei zweien zumindest Komplikationen gegeben hatte? „Es spielt sicherlich da mit rein, dass wir sehr optimistisch und realistisch in einer guten Mischung sind“, meint Shari Dietz. Und André ergänzt: „Erneut ein Kind mit Angelman-Syndrom zu bekommen – das wäre rein rechnerisch im Bereich des Unmöglichen gewesen.“

Sie sollten recht behalten: Kind drei und vier kamen ohne Komplikationen auf die Welt. Shari Dietz: „Unser Sohn ist ja heute kerngesund. Und Mari, die ist super-happy und bringt unglaublich viel Fröhlichkeit in unser Leben.“

Shari und André Dietz: „Alles Liebe - Familienleben mit einem Gendefekt“, Edel Books, 224 S., 17,95 €

>>> Hilfe und Wissenwertes übers Angelman-Syndrom

Das Angelman-Syndrom, benannt nach dem britischen Kinderarzt Harry Angelman (1915–’96) ist ein seltener Gendefekt, der mit einer körperlichen und geistigen Entwicklungsstörung einhergeht. Die Betroffenen lernen spät oder gar nicht zu laufen, haben einen begrenzten Wortschatz und in den ersten Lebensjahren oft epileptische Anfälle.

Der Verein Angelman e.V. bietet vielen Eltern praktische und psychlogische Hilfe und Informationen zum Forschungsstand und zu den besonderen Bedürfnissen, die mit dem Defekt einhergehen. Unter anderem bietet er den Eltern betroffener Kinder Auszeiten für jeweils ein Wochenende. Mehr Informationen finden Sie auf der Webseite angelman.de