Kamp-Lintfort. . Der Vater der Zwölfjährigen mit Gendefekt hatte eine herzerwärmende Idee für ihren Geburtstag – mittlerweile sind Kisten mit Postkarten gefüllt.

Für Lena regnet es bunte Postkarten – sie schlägt mit den Armen und strahlt, ein so herzliches, ehrliches, unbeschwertes Lächeln, wie es fast nur kleinen Kindern gelingt. Lenas Freude ist ungetrübt, ganz im Augenblick verweilend. Sie liebt es, von den Karten aus aller Welt halb zugedeckt zu sein. Liebt es noch mehr, die Motive zu betrachten. Lena ist glücklich in diesem Moment.

Ein Karte bereitet Lena große Freude, Lenas richtige Adresse steht schon drauf...
Ein Karte bereitet Lena große Freude, Lenas richtige Adresse steht schon drauf... © istock

Am 2. November feiert Lena Geburtstag. Sie wird dann 13 Jahre alt, körperlich ein Teenager, geistig ein kleines Kind – und das wird sie bleiben. Was Lena fehlt, das konnten die Ärzte viele Jahre nicht benennen, mittlerweile haben sie einen Begriff dafür gefunden, Syngap, ein seltener Gen-Defekt, eine Spontanmutation.

Immer etwas Trubel im Haus

Lena Hülsken lebt in Kamp-Lintfort und ist Teil einer sehr quirligen, sehr lustigen und sehr glücklichen Familie. Vater Oliver (43), Mutter Claudia (43), Schwester Mia (7) und Bruder Tom (2) und Welpe Leo (1) sorgen dafür, dass immer etwas Trubel ist im Haus. Und bei alldem ist Lena voll integriert, da werden keine großen Unterschiede gemacht.

„99 Prozent der Zeit ist Lena das liebste Kind der Welt, genau wie ihre Schwester und ihr Bruder“, sagt Oliver Hülsken.

Familienleben: Tom (2), Vater Oliver (43), Lena (12), Mutter Claudia (43) und Mia (8) auf der Wohnzimmercouch.
Familienleben: Tom (2), Vater Oliver (43), Lena (12), Mutter Claudia (43) und Mia (8) auf der Wohnzimmercouch. © Lars Heidrich

Das Leben mit einem Kind, das Syngap hat, deshalb unter kleinen epileptischen Anfällen und Zügen von autistischen Störungen leidet, ist manchmal kein leichtes, manchmal aber auch das normalste von der Welt. Im Oktober 2017 hat Lenas Papa begonnen, auf Facebook über das Leben mit Lena zu bloggen. „Es gab zwischendurch eine Zeit, in der wir wenig Lust hatten, mit Lena in die Öffentlichkeit zu gehen, weil wir wussten, dass sie dabei manchmal Wutausbrüche als Symptom ihrer Störung haben kann. Aber als wir dann mit Lena und den anderen Kindern irgendwann zu Ikea oder Aldi gegangen sind, habe ich das nur für die Verwandtschaft auf meinem Profil in kleinen, lustigen Geschichten nacherzählt.“ Dann nahm er drei dieser winzigen Geschichten und fasste sie in einem Blog zusammen, anfangs mit ein paar Dutzend Abonnenten aus dem Bekanntenkreis. Dann kamen schnell mehr hinzu. Aktuell steht der Facebook-Zähler bei knapp über 23.000, viele Menschen mögen Lena. Ein Teil dieser Sympathie ist auch wieder zu Papier geworden, in Form von Postkarten.

Im Kopf wird Lena niemals älter

Denn es ist schwierig, Lena, die ja im Kopf nie älter wird, eine Freude zu machen. Lena liebt Postkarten und Kissen, Busse und Fleischwurst. Da zumindest drei dieser Dinge nicht so zum Versenden geeignet sind, rief Oliver Hülsken im September online dazu auf, Lena zum Geburtstag eine bunte Postkarte zu schicken.

Daraus sind mittlerweile gut und gerne 2500 geworden, die sich kistenweise im Arbeitszimmer von Oliver Hülsken häufen. Sie kommen aus aller Welt, zeigen Nord- und Ostsee, stammen aus Teneriffa und Sydney, aus Mont Saint-Michel und aus Kleve, aus New York und Neukirchen-Vluyn. Zeigen Kätzchen, Häschen, Robbenbabys, Hunde, Mäuse, Elefanten, was man halt so auf fröhlich-freundliche Postkarten druckt.

Unsere Redaktion „Wochenende“ hat Lena eine Karte mit einem fröhlichen „Glück auf“ geschickt, die ihr Freude bereitet.
Unsere Redaktion „Wochenende“ hat Lena eine Karte mit einem fröhlichen „Glück auf“ geschickt, die ihr Freude bereitet. © Lars Heidrich

Dass die Karten sowohl physisch als auch emotional gut ankommen bei Lena, davon konnten wir uns selbst überzeugen, denn die Redaktion „Wochenende“ hat Lena selbst eine Karte geschickt, gelb mit dem Gruß „Glück auf!“ und Ampelmännchen im Bergmann-Design versehen – und wir finden sie nach einigem Kramen in den Postbergen. Und Lena, die das Motiv in die Kamera halten soll, schaut sich lieber selbst die bunte Seite an.

Lena beherrscht 30 Worte

Vater Oliver hat schon eine Weltkarte aufgehängt, auf der er die Orte markieren will, von denen aus die Karten ihren Weg an den Niederrhein gefunden haben – es könnte eng werden an manchen Stellen.

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Das Herzerfrischende an Familie Hülsken ist, wie selbstverständlich sie mit Lena und ihren Bedürfnissen umgeht. Lena zeigt Störungen aus dem autistischen Bereich, und hat sogenannte Absencen, kleine epileptische Anfälle, die in frühen Jahren dank der dabei geschlossenen Augen gern als Verträumtheit gedeutet wurden. „Sie kann 30 Worte und ein paar Silben, die situationsabhängig sind“, sagt Oliver Hülsken. Lena sagt: „Mama“, „Baba“, „Oma“, „Mia“, „Ang“… Wobei „Ang“ nicht nur „Angst“ bedeuten kann, sondern jede Art emotionaler Beteiligung.

Wenn ein Kind mit solch starken Einschränkungen geboren wurde, hat man dann Angst beim nächsten? Claudia Hülsken: „Als Mia kam, gab’s für Lena ja noch keine Diagnose, die Ärzte haben ja immer noch gesucht. Wir haben einen Standard-Gentest gemacht, die haben Blut abgenommen, bei den Chromosomen war nichts auffällig. Dann haben wir bei Mia gesagt: Es ist, wie es ist. Und Mia kam gesund heraus.“ Und dann Bruder Tom.

Nur 40 Fälle von „Syngap“ in Deutschland

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Auch die Diagnose „Syngap“ bekamen die Hülskens erst, nachdem im Blog ein Video von Lena online war. Eine Krefelderin, deren Sohn ebenfalls Syngap hat, leitete die Aufnahme an eine Spezialklinik im süddeutschen Vogtareuth weiter, ein Haus übrigens, in dem auch die Hülskens Jahre zuvor waren. Die Ärzte hörten den Verdacht, dann machte man einen Gentest auf Syngap – und landete einen Treffer. Was bewirkte die Diagnose? „Nichts! Das einzige, was man sagen kann: Man selbst hat nichts falsch gemacht. Das ist einfach ein Zufallsprodukt, das ist auch nicht von uns vererbt worden. Das ist eine Spontanmutation. Die kann in einem gar nicht so geringen Prozentsatz der Fälle vorkommen“, sagt Oliver Hülsken. In Deutschland gibt es ca. 40 Fälle von Syngap, weltweit sind 400 bekannt. Machen kann man wenig, außer Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, übliche Behandlungen, die auch bei anderen Behinderungen eingesetzt werden.

Alle Karten sollen gelesen werden

Wer die Hülskens in ihrem Häuschen in Kamp-Lintfort erlebt, der erhält einen hübschen Eindruck von einem lebendigen Familienleben. Und wer Lena zu ihrem 13. Geburtstag am 2. November eine Freude machen möchte, kann eine Karte schicken (Adresse oben auf der Postkarte) – etwas anderes bitte nicht, die Leute haben ja verrückte Ideen, von denen Lena nichts hat. Es sind eher die schönen Erlebnisse mit den Postkarten, die sie erfreuen. „Ich habe ja versprochen, dass ich alle Karten mit Lena lese. Damit werde ich wohl bis 2025 beschäftigt sein. Lena interessiert sich mehr für die Bilder…“, sagt Oliver Hülsken und lacht.