Gelsenkirchen. . Viele Mädchen schlüpfen in Meerjungfrauen-Flossen. Auch in Gelsenkirchen schwimmen sie auf der Welle mit. Nur Meermänner gibt es dort noch nicht.
Wie eine viel zu enge Jeans ziehen und zuppeln Lucy (9) und Marie (8) ihre Schuppenhaut über den Popo. „Nicht auf den Beckenrand setzen“, ermahnt Heike Böckstiegel die Freundinnen lächelnd, als sie es endlich geschafft haben. Das Beinkleid könnte reißen.
Arielle, die kleine Meerjungfrau, sehnte sich so sehr danach, ein Mensch zu sein. Und was wünschen sich immer mehr Mädchen? Einen Fischschwanz. Damit wollen sie abtauchen, wie eine echte Meerjungfrau. Auch in Gelsenkirchen schwimmen die Mädchen auf dieser Welle mit: Alle zwei Wochen gibt es nun im Sport-Paradies einen speziellen Kurs für Nixen.
Lucy oder Marie, Zoe oder Frederike – alle haben langes Haar. Nur die Meerjungfrau-Meisterin – „Ich bin die Heike!“ – trägt ihr blondes kurz. Die acht Mädchen kennen nicht nur das berühmte Märchen von Hans Christian Andersen und dessen Disney-Verfilmung, sondern auch erfolgreiche Serien wie H20, bei denen hübsche Teenager ein faszinierendes Doppelleben als Meerjungfrauen führen.
Manche der Gelsenkirchener Nixen haben ihre eigenen Flossen mitgebracht, andere schlüpfen mit beiden Füßen in einen geliehenen Fischschwanz. Und alle ziehen sich einen schuppigen Strumpf mit nur einem bunten Bein über beide Beine. Das eine Mädel trägt Bikini-Oberteil, das andere einen Badeanzug – den empfiehlt auch die Trainerin. Genauso wie eine Taucherbrille. „Man muss keine haben, aber es ist angenehmer.“ Und besser als eine Schwimmbrille, da sie die ganze Augenpartie abdecke. Ob Arielle so eine getragen hätte? Nun, das Meerjungfrau-Schwimmen ist schließlich kein Schönheits-Wettbewerb, sondern Sport.
Rollmops statt Meerjungfrau
„Du brauchst dich nicht zu drehen“, erklärt die 50-Jährige die Schwimmtechnik. „Sonst bist du keine Meerjungfrau, sondern ein Rollmops.“ Dann schon lieber ein Schmetterling oder ein Delfin: Wer nämlich den nach diesen Tieren benannten Schwimmstil beherrscht, „der kann auch Meerjungfrau-Schwimmen“, verspricht die Lehrerin. Es sei die gleiche Bewegung. Lediglich die Arme halten die Nixen still.
Anfangs legen die Mädchen noch ihre ausgestreckten Arme auf die der Kursleiterin, die sie durchs Wasser zieht. So bekommen sie ein Gefühl für den Flossenschlag. Wie eine Welle bewegen sie die Körper, ähnlich wie beim Hulla-Hoop. Nur nicht so sehr mit den Hüften kreisend.
„Ihr kennt das doch von Delfinen? Die müssen durch Ringe springen“, sagt Heike nun und hält einen Ring hoch in die Luft. Die Nixen-Schülerinnen machen große Augen. Aber es ist nur einer von Heikes Scherzen. Sie legt den Ring flach auf die Wasseroberfläche und dann machen alle Meerjungfrauen einen Köpper durch den Hula-Hoop-Reifen. Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh’.
Seepferdchen fehlt es noch an PS
Immer wieder geht die Tür zum Schulungsraum auf. Neugierige Mädchen wollen auch Meerjungfrauen sein. Wie die jüngere Schwester von Freja (9), die zweijährige Majvi. Schwimmflügel-Träger können aber noch nicht abtauchen. Seepferdchen fehlt es ebenfalls an PS. „Bronze sollten die Mädchen schon haben“, so Heike. „Wir brauchen hier etwas mehr Kraft.“
Jetzt sollen die Meerjungfrauen Fische fangen. „Keine Angst, die können Euch nicht beißen“, sagt Heike schmunzelnd. „Das sind ja keine Piranhas.“ Die Mädchen mögen eh am liebsten Fischstäbchen. „Aber bitte mit Remoulade“, scherzt Heike. Aber ob paniert oder aus Plastik – die Schuppe ist hier schnuppe. Alle Unterwasserspiele haben ein Ziel: Die Meerjungfrauen sollen möglichst lange die Luft anhalten.
„Das kommt aus dem Apnoe-Tauchen“, erklärt Heike. Dabei gehen die Menschen ohne Drucklufttauchgerät unter Wasser. Sie tauchen mit angehaltenem Atem und oft auch mit einer Monoflosse. „Einatmen, Luft anhalten und gaaanz langsam ausatmen“, übt Heike mit den Nixen. So haben sie bald auch ohne Kiemen genug Puste für eine längere Strecke. Das Herz puffert ebenfalls nicht mehr so stark, wenn sie Schätze suchen, Seegras ernten. Auch Handstand machen sie unter Wasser – nur die Flosse schaut heraus. Und dann „winke, winke“, dass es nur so spritzt.
Meerjungfrauen sind nun fit fürs offene Meer
„Einmal Luft holen – und durch.“ Bis zum Beckenrand. Nach einer Stunde sind die Köpfe kaum noch über Wasser zu sehen. Jetzt sind die Meerjungfrauen fit fürs offene Meer: Das ist in Gelsenkirchen das große Schwimmerbecken. Zu diesem Anlass dürfen sich die Mädchen eine Hawaiikette mit lila-gelb-blauen Polyester-Blüten umlegen. Im „Meer“ legen sie sich aufs Wasser, schieben sich nur mit der großen Flosse durchs türkise Nass. Ähnlich wie ein „Toter Mann“, nur viel lebendiger.
Nach zwei Stunden stehen die Mädchen wieder auf beiden Beinen. Haben sie sich wie echte Meerjungfrauen gefühlt? Frederike (11) nickt: „Man ist ganz schnell und fühlt sich toll.“
„Möchtet ihr jetzt auch?“, fragt Heike die Nixen-Mamis am Beckenrand. „Ich würde untergehen“, sagt Kerstin Jaletzke (45) lachend. Dabei sieht die Mutter von Lucy schlank und sportlich aus. „Ich hätte nicht die Luft – man ist ja schon ziemlich viel unter Wasser.“
In Gelsenkirchen gibt es noch keine erwachsenen Nixen
Für Erwachsene werden in Gelsenkirchen noch keine Kurse angeboten. Dabei gebe es durchaus Flossen für große Nixen. Die seien erstmal ungewohnt für ungeübte Meerjungfrauen, so die Leiterin. Aber wer die Technik drauf habe, sei damit unglaublich schnell. „Man kann es nicht beschreiben“, sagt Heike. Dann versucht sie es doch, das Meerjungfrauen-Erlebnis in Worte zu fassen: „Man macht es einfach, kommt hoch – geil!“
Immer mehr Mädels bringen zu normalen Öffnungszeiten ihre eigene Monoflosse mit ins Schwimmbad, um im großen Becken abzutauchen. Das dürfen sie, so die Bademeister, wenn es nicht zu voll ist. Hat sich eigentlich auch schon mal ein Meermann nach Gelsenkirchen gewagt? (Oder sagt man Meerjungmann?)
„Bis jetzt noch nicht“, so Bademeister David Conrad (29). Und sein Kollege Kamel Farjallah (41) fügt hinzu: „Die Jungen kommen sich komisch vor, als ob ein Mann ein Rock anzieht.“ So bleibt die Monoflosse ein reines Mädchen-Ding? Nicht unbedingt, meint Heike. Sie hat in Oslo eine Alternative zum schimmernden Schuppenstrumpf entdeckt, die man wie einen Rucksack trägt: „Eine Haifischflosse.“