Essen. . Zu wenig Zeit, zu hohe Ansprüche – plötzlich können wir nicht mehr klar denken. Um Stress abzubauen und sich zu konzentrieren, helfen Übungen.

„Ich schaffe das alles nicht.“ Wer hat das mit Blick auf immer länger werdende To-Do-Listen noch nicht gedacht? „Zum Glück ist das nur ein Gedanke“, sagt Andrea Lawlor. Die Trainerin für Achtsamkeit und Stressbewältigung weiß: „Stress entsteht im Kopf.“

Dagegen kann man was tun.

In ihren Workshops lernen die Teilnehmer, dem Tunnelblick und den kreisenden Gedanken im Kopf entgegenzusteuern. „Aus dem Hamsterrad aussteigen“, nennt die 42-Jährige das. „Im Stress können wir nicht klar denken, weil das Gehirn nicht mit genug Sauerstoff versorgt wird. Wir atmen zu flach.“ In solchen Momenten hilft es, den Atem ganz bewusst fließen zu lassen. Das ist gut für das Gehirn und: „Es schafft Distanz. Die brauchen wir, um aus einer unbewussten Reaktion eine bewusste Aktion zu machen.“

Ein paar Minuten Urlaub

Hamsterräder gibt es viele. Im Büro, in der Schule, in großen Unternehmen, sogar zu Hause. „In den letzten fünf Jahren ist die Nachfrage nach Seminaren zur Stressbewältigung enorm gestiegen“, sagt Andrea Lawlor. Heute sitzt die Expertin mit 22 Pädagoginnen der Essener Grundschule an der Heinickestraße. Stuhlkreis. Die Frauen lehnen sich mit geschlossenen Augen ganz entspannt auf ihren Plätzen zurück. Das ist die Aufgabe: „Entspanne dich!“ Mit ruhiger Stimme sagt die Seminarleiterin: „Gestalte dir einen inneren Rückzugsort. Er schenkt dir Ruhe und neue Kraft. Zu diesem Ort kannst du jederzeit zurückkehren.“ Ein paar Minuten Urlaub – wo immer man mag, wann immer man mag.

Für Schulleiterin Anja Warmuth ist Stressbewältigung ein wichtiges Thema. „Schule besteht nicht nur aus Organisation. Da sind auch Menschen. Und diesen Menschen muss es gut gehen, damit die Schule gut funktioniert“, sagt die 58-Jährige. Vor den Sommerferien haben sie gespürt, wie erschöpft das Kollegium gewesen sei. „Die Schulzeit hätte nicht noch eine Woche länger sein dürfen...“ Und damit der eigene Körper nicht irgendwann schreit: „Halt! Stopp!“, stehen Workshops wie diese auf dem Stundenplan. „Jeder muss für sich einen Weg finden, gesund durch die Schulzeit zu kommen, um auch den Lebensabschnitt danach gesund genießen zu können“, sagt die Schulleiterin.

Humor hilft

Das gilt im Prinzip für alle Berufe. Lehrer empfinden viele Herausforderungen als stressig: die hohe Unterrichtsbelastung, auf jedes der 28 Kinder in einer Klasse individuell eingehen zu wollen, methodisch immer auf dem neuesten Stand zu sein. Hinzu kommen die Inklusion, Kinder von Geflüchteten, die traumatisiert sind, und natürlich: die Digitalisierung. Andrea Lawlor bestätigt, dass „die vielen Informationen, die um uns herumwirbeln“, unsere Stressherde befeuern. Ein großes Thema natürlich auch für die Schüler. „Konzentration fällt zunehmend schwer. Aber wenn wir das Gehirn als Muskel sehen, können wir trainieren, nicht auf jede Ablenkung draufzuspringen. Das ist heilsam.“

„Raus aus dem Hamsterrad“: Beim Workshop zeigt Andrea Lawlor (Mitte) den Lehrerinnen, wie sie Stress und negative Gedanken einfach abschütteln.
„Raus aus dem Hamsterrad“: Beim Workshop zeigt Andrea Lawlor (Mitte) den Lehrerinnen, wie sie Stress und negative Gedanken einfach abschütteln. © André Hirtz

Die neuen Medien sorgen außerdem dafür, dass wir uns viel weniger bewegen. „Aber wir brauchen die Bewegung, damit wir denken können, uns wohlfühlen und damit wir gesund bleiben“, sagt die Expertin. Darum gibt es neben den Übungen zum Runterkommen in ihrem Seminar auch welche, die mit körperlicher Aktivität den Kopf von quälenden Gedanken und Blockaden befreien sollen. Erwachsene haben dabei häufig Hemmungen. Weil es halt schon ein bisschen albern aussieht, wie ein Hampelmann Arme und Beine auszuschütteln. „Humor hilft“, lacht die Trainerin. „Wir dürfen da ruhig alle ein bisschen Kind sein.“

Es ist acht Uhr, jetzt wird gelernt!

Denn Kinder, „die machen das gerne“, weiß Anja Warmuth. Schon jetzt beginnen ihre Grundschüler den Unterricht mit Übungen – „um die rechte und linke Gehirnhälfte zu aktivieren“, erklärt die Schulleiterin. „Man kann nicht sagen: So, es ist acht Uhr, jetzt wird gelernt! Wir müssen die Kinder erstmal auf das Lernen vorbereiten.“ Gleichzeitig stärken die gemeinsamen Aktionen den Zusammenhalt in der Klasse, sogar über Sprachbarrieren hinweg.

„Die Einheiten zur Entspannung sind vielseitig einsetzbar und kommen ganz ohne Materialien aus“, sagt Coach Lawlor. Ein weiterer Vorteil: Sie dauern nur ein paar Minuten. Die Lehrerinnen können die kurzen Verschnaufpausen also ohne viel Aufwand in den Schulalltag oder aber ins Privatleben integrieren. „Wir haben zum Beispiel eine Abklopf- und Abstreifübung gemacht, die den Schülern den Start in die Woche erleichtern könnte. Sie eignet sich aber auch für Lehrer, für ihren Start in den Feierabend.“

Eine Handvoll Bohnen

Und wenn der Lehrer einen gesunden Umgang mit seinem Stress gefunden hat, dann bringt er die gewonnene Gelassenheit auch bei seinen Schülern rüber. Vom „Spiegeleffekt“ spricht Anja Warmuth in diesem Fall. „Wenn es dem Lehrer leicht fällt, die Kinder anzulächeln, dann fällt es den Kindern auch leicht zurückzulächeln.“ Das weiß Andrea Lawlor aus eigener Erfahrung: „Ich entspanne mich bei den Übungen mit. Jedes Mal, wenn ich sie vormache, wirkt sich das positiv auf mich selbst aus. Ich habe einen super Job.“

Zum Ende des Workshops gibt sie den Teilnehmerinnen eine Geschichte mit auf den Weg: Ein Bauer bewahrt jeden Tag eine Handvoll Bohnen in seiner linken Hosentasche auf. Immer wenn er etwas Schönes erlebt, wandert eine Bohne von der linken in die rechte Tasche. Am Abend nimmt der Bauer die Bohnen hervor und erinnert sich an all die kleinen Glücksmomente des vergangenen Tages. So schläft er jeden Abend in Ruhe und zufrieden ein.

Damit entlässt Andrea Lawlor die Teilnehmerinnen in ihren Alltag. Und mit einem kleinen Beutel Bohnen für jeden.

>>> EINE KLEINE AUSZEIT FÜR ZWISCHENDURCH

Atemübung
„Ein durchschnittlicher Mensch macht zwischen 18 000 und 22 000 Atemzüge pro Tag. In der Regel findet keiner davon bewusst statt“, sagt Andrea Lawlor. Wenn wir das ändern, senken wir unser Stresslevel und bringen unser Bewusstsein ins Jetzt. „Würden wir nicht atmen, würden wir nicht leben. Das ist das Geheimnis dahinter“, so die Expertin. Eine einfache Methode, um Ruhe in das Gedankenchaos zu bringen, ist daher: bewusst atmen. Schließen Sie Ihre Augen. Lassen Sie Ihren Atem fließen, erforschen Sie ihn: Wo nehmen Sie das Einatmen zum ersten Mal wahr? An der Nasenspitze vielleicht, oder im Rachen? Wo spüren Sie das Ausatmen? Wie fühlt sich die Luft an? Warm oder kalt? Wie verhält sich Ihr Körper beim Atmen? Was dehnt sich aus beim Einatmen, was senkt sich beim Ausatmen?

Schüttelübung
Für diese Übung müssen Sie sich bewegen. Das macht den Kopf frei. Der Name verrät bereits, worum es geht: den Körper auszuschütteln. Beginnen Sie mit den Armen, rechts und links, weiter geht es mit den Beinen, rechts und links. Am Anfang schütteln Sie jedes Körperteil sieben Mal aus, danach sechs Mal, fünf Mal und so weiter. „Der Effekt ist immer gleich: Die Leute fangen an zu lächeln. Ich hab das mit Bauingenieuren gemacht, mit Studenten, Männern und Frauen jeglichen Alters und das Phänomen zieht sich durch“, sagt Andrea Lawlor, Trainerin für Achtsamkeit und Stressbewältigung.