Oberhausen. . Die „Multi“ bringt Jugendliche aus 16 Ländern nach Oberhausen. Bei Gastfamilie Malecki sitzen gleich fünf verschiedene Kulturen an einem Tisch.

Deutsche sind sehr genau, gut organisiert und emotional eher kühl. Das weiß man auch in Peru. Dass das nur zum Teil richtig ist, lernt Ainoha Diaz schon nach wenigen Tagen in Oberhausen. „Die Menschen hier sind sehr freundlich und herzlich”, sagt die 16-Jährige. Mit vier anderen Jugendlichen – aus China, Griechenland und zweimal aus der Ukraine – ist sie für zwei Wochen zu Gast bei Familie Malecki.

„Multi“ eben. So heißt das Projekt, das hier heute alle an einen Tisch gebracht hat. Organisiert vom Büro für Interkultur und vielen Freiwilligen, untergebracht in Gastfamilien, gibt es jeden Tag gemeinsame Aktionen und Ausflüge. Und natürlich Partys!

Je mehr Gäste, desto besser

Dieses Jahr sind über 300 Jugendliche aus 16 Ländern dabei. Sechs von ihnen sitzen jetzt an dem langen Holztisch der Maleckis, essen Muffins und Obstkuchen. Gastgeberin Anna Malecki: „Eigentlich wollte ich nur drei Leute aufnehmen, daraus sind dann fünf geworden“, lacht die 15-Jährige verlegen. Ach, je mehr, desto besser. Besonders, wenn man wie Anna Gleichaltrige aus allen Ecken der Welt, Kulturen und Sprachen kennenlernen will.

Im vergangenen Jahr reiste sie schon mit der Multi nach Griechenland. Dort wohnte sie bei Elena Kostopoulous Familie, auf der Urlaubsinsel Kefalonia. Den beiden Mädchen war schnell klar: Wir wollen uns wiedersehen, bei der Multi 2018. Das ist das Prinzip: Aus Fremden werden Freunde. Jetzt ist Elena hier, in Oberhausen, nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem ihre Mutter ein paar Jahre gelebt hat. Die ist nämlich Deutsche, stammt aus der Nähe von Hannover und wohnte später in Altenessen. So richtig neu ist Deutschland für Elena daher nicht. Sogar die Sprache ist kein Problem, sie wuchs damit auf.

Geschenke aus der ganzen Welt

Auch ein anderer Gast ist für die Maleckis keine Unbekannte: Ainoha Diaz aus Peru. Vater Bernd Malecki war im vergangenen Jahr als Gruppenleiter der Multi dort und wohnte bei Familie Diaz in der Nähe von Lima. Zurück kam er mit der Erkenntnis: Meerschweinchen kann man essen – und mit einem T-Shirt vom Hard Rock Café für seine Tochter. „Die sammle ich“, sagt die Schülerin. Allerdings war ihr das T-Shirt zu klein. Größer nähen funktioniert nicht, mal eben nach Lima fliegen – auch eher schwierig. Da kommt so ein Gast aus Peru besonders gelegen. „Ainohas Onkel ist extra in die Stadt gefahren und hat mir ein neues besorgt“, erzählt Anna Malecki.

So ein Gastgeschenk wie von der 16-jährigen Südamerikanerin hat jeder der Teilnehmer aus dem Heimatland mitgebracht. Eine Kette mit der ukrainischen Flagge zum Beispiel, Schokolade, ein Buch über Kefalonia. Von Ying Qi Cai hat die Gastgeberin ein Lesezeichen bekommen, auf dem „Anna“ in chinesischen Schriftzeichen steht. Ying Qi Cais Namen müssten wir uns nicht merken, sie wird von allen nur Beky genannt, das sei einfacher. Die 17-Jährige lebt in einer kleinen Stadt namens Quanzhou mit etwa acht Millionen Einwohnern. „Klein“ also für chinesische Verhältnisse. Oberhausen mit seinen gut 200 000 Einwohnern kommt Beky dagegen überraschenderweise ziemlich groß vor. „Das kann aber auch daran liegen, dass ich hier schnell die Orientierung verliere“, sagt sie und muss lachen. Ihr Leben in China sei sehr schnell, sie habe wenig Zeit. In Deutschland sei das anders, bequemer – irgendwie gemütlicher.

Der erste Tanz in Deutschland

Als dauerfleißiger Deutscher möchte man da protestieren: Entspannt? Dazu sind wir viel zu gestresst! Doch wenn Beky von ihrem Schulalltag erzählt, versteht man schnell, was sie meint: Um 7.20 Uhr beginnt in Quanzhou der Unterricht. Es gibt bloß zwei Pausen für Mittag- und Abendessen. Erst um 21.30 Uhr ist Schulschluss. Und das sechs Tage die Woche. „Wenn ich nach Hause komme, will ich nur noch schlafen.“ Wen wundert’s, dass Beky in Deutschland das erste Mal tanzen war, bei der Multi-Willkommensparty. „Durch den Kontakt mit anderen Kulturen lernen viele deutsche Teilnehmer ihr alltägliches Leben mehr zu schätzen“, erklärt Svenja Pitsch, Teamleiterin der Multi. „Die beschweren sich nie wieder!“

Der Austausch mit anderen Kulturen erweitert übrigens nicht nur den eigenen Horizont, er bringe sogar Jugendliche zusammen, deren Heimatländer ein schwieriges politisches Verhältnis zueinander haben: wie aktuell die Türkei und Amerika.

Voneinander lernen – oder shoppen

Für manche ist die Reise in ein unbekanntes Land auch einfach eine gute Gelegenheit dafür: Shopping! „Klamotten sind hier viel günstiger als in der Ukraine“, sagt Anastasiia Pribysh. Bereits an ihrem zweiten Tag in Oberhausen hat sie ihren Koffer mit einer Hose und einem Shirt aufgefüllt. Schuhe fehlen noch... „Klamotten kaufen, das liebe ich“, sagt die 16-Jährige – auf Deutsch. Das lernt sie seit der ersten Klasse in der Schule.

Mykyta Diev hingegen spricht besser Englisch. Er kommt aus der gleichen Stadt wie Anastasiia Pribysh: Saporischschja. Dort leben etwa 800 000 Menschen „in grauen Kästen mit Fenstern“. Das sei ihm in Oberhausen sehr schnell aufgefallen: Wie schön die Häuser aussehen. „Und überhaupt ist das Leben hier so komfortabel.“ Etwa, wenn ein Bus an der Haltestelle die Einstiegsseite absenkt, um den Fahrgästen den Zutritt zu erleichtern.

Bequem, angenehm – so scheint das Leben also in Deutschland zu sein. Manchem war das vielleicht noch gar nicht bewusst. „Man lernt sehr viel voneinander“, sagt Miriam Malecki. Annas große Schwester hat selbst schon oft an der Multi teilgenommen und gehört mittlerweile selbst zum Betreuerteam. Dass dieses Jahr gleich fünf unterschiedliche Kulturen an einem Tisch sitzen, findet die 20-Jährige bereichernd: „Wir haben unsere eigene kleine Multi.“

>>> MULTI BRINGT JUGENDLICHE AUS ALLER WELT ZUSAMMEN

Die Teilnehmer sind zwischen 14 und 17 Jahren alt. In einem Jahr kommen Jugendliche aus anderen Ländern für zwei Wochen nach Oberhausen, im darauf folgenden Jahr wird gewechselt.

Sprachkenntnisse sind keine Voraussetzung – aber hilfreich.

Die Multi gibt es offiziell seit 1992, in loser Gestalt aber bereits seit Anfang der Achtziger. Dieses Jahr sind rund 300 Jugendliche und 100 Helfer dabei.

Weitere Infos: www.multi-online.org