Duisburg.. Die „Ehe für alle“ gibt es jetzt ein Jahr. Drei homosexuelle Paare erzählen von der Liebe – und was sich für sie durch die Heirat verändert hat.


Als die Politiker im Bundestag die „Ehe für alle“ beschlossen, saßen Andrea und Nicole Neubauer vor dem Fernseher und fieberten mit. Die Flasche Sekt, eine „Cuvée Bundestag“ übrigens, stand schon bereit. Und während im Reichstag 393 Abgeordnete „Ja“ zur Drucksache 18/6665 sagten, küssten sich die beiden in Duisburg und sagten ebenfalls „Ja“.

Verpartnert waren sie bereits, inzwischen sind sie auch verheiratet. Beim Rennen, welches das erste gleichgeschlechtliche Pärchen im Standesamt war, hatten allerdings Edwin Kern und Manfred Simon die Nase vorn. Viel wichtiger als das Datum Ende Juni ist für sie Freitag, der 13.: Es ist der Tag, an dem sie im vergangenen Oktober Mann und Mann wurden.

Mrs. &. Mrs. Neubauer: Nicole und Andrea haben ihre Lebenspartnerschaft in eine „echte“ Ehe umgewandelt.
Mrs. &. Mrs. Neubauer: Nicole und Andrea haben ihre Lebenspartnerschaft in eine „echte“ Ehe umgewandelt. © Unbekannt | Neubauer







Noch heute werden die beiden deshalb auf der Straße angesprochen. Doofe Kommentare gab es kaum, stattdessen reagieren die meisten gerührt und positiv. Das Hochzeits-Foto samt der Sträußchen, die sie am Revers trugen, stehen auf dem Sideboard. Erst vor kurzem sind sie zusammengezogen. Der Platz für 90 Paar Schuhe und zwei große Kleiderschränke hat in Manfred Simons Wohnung einfach nicht ausgereicht. „Ich hab so viele ausgefallene Schuhe. Ich geb’s ja zu“, sagt Edwin Kern. Die meisten Modelle shoppt er auf Reisen. „Die Spanier haben eben Modegeschmack.“ Es ist allerdings das einzige Klischee, das die beiden erfüllen. Fragen, wer Mann oder Frau in der Beziehung ist, kontern sie: „Frag’ doch mal zwei chinesische Stäbchen, wer Messer oder Gabel ist!“ Längst sind sie bei (heterosexuellen) Freunden in den Kreis der Pärchen aufgenommen worden und für andere Schwule gar ein Vorbild. Dabei ist die Idee zur Hochzeit aus einer Plauderei entstanden.

Er war schon mal mit einer Frau verheiratet

Seinen Mann kennt Edwin Kern seit Ende der 1990er Jahre. Ein Paar wurden sie allerdings vor zwei Jahren. Für Manfred Simon ist es die zweite Ehe, er war schon einmal mit einer Frau verheiratet. „Ich konnte mir nie etwas mit einem Mann vorstellen.“ Und dann kam er doch, der denkwürdige Abend, als er seine Frau mit dem Reitlehrer betrog. Es folgten viele Jahre Doppelleben. „Meine Frau, meine Familie hat etwas geahnt, aber das Thema wurde totgeschwiegen.“

In den 1990er Jahren dann die Trennung und das Outing. „Die meisten haben gut reagiert, nur einige Arbeitskollegen, von denen ich das nie gedacht hätte, waren komisch.“ Simon arbeitet im Knast, lässt sich anschließend in die Justizvollzugsanstalt Dinslaken versetzen. Schnell findet der 57-Jährige einen Partner. In einer Kneipe lernt er zudem Edwin Kern kennen. „Ich fand ihn interessant, aber wenn ich in einer Beziehung bin, geh’ ich nicht über die Dörfer.“ Erst viel später sind sie zusammengekommen.

Von nun an Mann und Mann: Edwin Kern (links) und Manfred Simon heiraten als erstes gleichgeschlechtliches Hochzeitspaar in Duisburg.
Von nun an Mann und Mann: Edwin Kern (links) und Manfred Simon heiraten als erstes gleichgeschlechtliches Hochzeitspaar in Duisburg. © Unbekannt | FUNKE Foto Services






Für Edwin Kern war indes früh klar, dass er auf Männer steht. Der Psychologe hat oft von einer erfundenen lesbischen Schwester erzählt, um zu testen, wie die Leute auf Homosexualität reagieren. „Ich provoziere gerne“, gibt er zu. Als Mitglied der Ehrengarde tritt er auch mal in heißen Lederchaps auf. Geoutet ist er seit 1965. Damals galt noch der Paragraf 175, der Schwulsein unter Strafe stellte. Seine Angehörigen reagierten cool, er war nicht der Erste in der Familie. „Ich hatte immer lange Beziehungen“, erzählt der 67-Jährige. Der Heiratsantrag entstand dann eher beiläufig. „Wir waren essen und haben uns über Hochzeiten unterhalten“, beschreibt Kern. „Würdest du mich denn heiraten?“, wollte Simon wissen. Und Kern sagte: „Ja.“ Zum Rosenstolz-Lied „Lass es Liebe sein“ (okay, noch ein Klischee) schritten die beiden durch den Trausaal. Eigentlich wollten sie sich nicht beeindrucken lassen, doch dann kullerten die Tränen. Die nächsten Jahre wollen sie nicht mehr ohne den anderen sein.

Sie fühlen sich heute sicherer, geborgener

Was sich durch die amtliche Eheschließung verändert hat? Sie fühlen sich sicherer, geborgener. „Früher hat man den Schwulen nachgesagt, dass sie ständig die Partner wechseln. Das stimmt aber eben einfach nicht.“

Für Andrea und Nicole Neubauer war die Ehe nur noch Formsache, und doch haben sie ihre Lebenspartnerschaft in eine „echte“ Ehe umgewandelt – ihrem Sohn Paul zu liebe. „Wir haben im November geheiratet. Nach dem Standesamt waren wir mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt“, beschreibt Andrea Neubauer. Dabei war für sie schon die „Verpartnerung“ wie eine Hochzeit. „Im Standesamt haben sie sich alle Mühe gegeben, dieses doofe Wort ,Verpartnerung’ nicht zu benutzen. Wir hatten eine schöne Feier und alles war toll“, blickt Andrea Neubauer zurück.

Den Antrag hatte Nicole ihr im Ski-Urlaub gemacht. „Es hat ewig gedauert, bis sie Ja gesagt hat. Sie hatte Tränen in den Augen, als ich sie gefragt habe“, erinnert sich Nicole Neubauer. Die Gattin entgegnet: „Ja, vier Zehntel habe ich gebraucht; aber nur, weil ich heulen musste und vorher nichts sagen konnte.“ Kennen gelernt haben sich beide online. Das ist nun schon fünf Jahre her. Andrea Neubauer arbeitet bei der Kriminalpolizei, und ihre heutige Frau vertreibt für ein Bio-Tech-Unternehmen forensisches Zubehör, etwa für DNA-Analysen.

Es folgt ein erstes Treffen

Online tauschen sie sich über den Job aus, es folgt ein erstes Treffen. „Das war schon wie ein Date“, sagt Nicole Neubauer, die sofort von Andreas fröhlichen, offenen Art eingenommen ist. Andrea: „Nicole ist witzig, geistreich und schön.“ Schnell werden sie ein Paar. Beiden ist klar: Sie wollen Kinder, möchten eine richtige Familie sein. Nicole ist die Jüngere, deshalb soll sie das Baby bekommen. Doch der Weg zum Glück ist belastend.

Alles für Paul: Die Neubauers sind jetzt offiziell eine Familie.
Alles für Paul: Die Neubauers sind jetzt offiziell eine Familie. © Unbekannt | FUNKE Foto Services






In Deutschland können bisher nur verheiratete, heterosexuelle Paare eine Samenspende bekommen: Das schreibt eine Richtlinie der Bundesärztekammer vor. Einige Kinderwunschkliniken haben sich jedoch auf lesbische Pärchen spezialisiert – und lassen es sich gut bezahlen, sie zu behandeln. Nicole Neubauer und ihre Frau, sie fahren regelmäßig nach Hessen. Sechs Versuche unternehmen sie. Sechs Mal Hoffnung, sechs Mal wieder die Enttäuschung. „Das war anstrengend, auch psychisch“, erinnert sich die 42-jährige Mutter.

Sie wendet sich an eine Düsseldorfer Gruppe, in der sich lesbische Frauen mit Kinderwunsch regelmäßig treffen, und erfährt: Auch bei anderen hat es viele Versuche gedauert. „Wir feiern gerne, irgendwann ist es aufgefallen, dass Nicole nie was trinken konnte und Tabletten schlucken musste. Wir haben enge Freunde eingeweiht und große Unterstützung erfahren.“ Sie lassen sich nicht entmutigen und nach zwei weiteren Samenspenden klappt es endlich. „Unser Paul ist ein internationales Produkt“, lächelt Mama Nicole. Der Spender ist Däne, die Kinderwunschklinik in den Niederlanden, zur Welt kommt er in Duisburg.

Sie musste ihren Sohn adoptieren

Rund 20 000 Euro haben die beiden für die Behandlung ausgegeben. „Heterosexuelle Paare bekommen einen Zuschuss von der Krankenkasse. Wir mussten alles selbst bezahlen. Noch nicht mal das Finanzamt hat die Kosten als außergewöhnliche Belastung anerkannt“, sagt Andrea Neubauer verärgert. Noch schlimmer sei aber die Prozedur gewesen, die sie über sich ergehen lassen musste, als sie den kleinen Paul adoptieren wollte, um auch gesetzmäßig als zweite Mama für ihn zu sorgen. Das Jugendamt kam ins Haus, stellte Fragen. „Das war eine unwürdige Situation“, findet sie.

Ihre große Hoffnung ist, dass das anderen künftig mit der neuen Gesetzgebung erspart bleiben möge. „Als Paar haben wir keinerlei Akzeptanzprobleme, als Regenbogenfamilie ist das etwas anderes. Da sind wir noch Lichtjahre von Gleichberechtigung entfernt“, erklären die Mütter. Damit Paul möglichst unbeschwert aufwächst, klären sie die Erzieherinnen und Eltern im Kindergarten auf. Für Paul und seine Freunde ist es jedenfalls ganz normal, zwei Mütter zu haben.

Sie haben sogar den Segen der Kirche: Melanie (rechts) und Anja Hoffmann an ihrem Hochzeitstag. Bei den Evangelen eine Selbstverständlichkeit.
Sie haben sogar den Segen der Kirche: Melanie (rechts) und Anja Hoffmann an ihrem Hochzeitstag. Bei den Evangelen eine Selbstverständlichkeit. © Unbekannt | Unbekannt







Schon 2016 – ein Jahr, bevor das Gesetz im Bundestag abgestimmt wurde – hat die evangelische Kirche im Rheinland erlaubt, dass homosexuelle Paare auch kirchlich getraut werden dürfen. „Für meine Frau und mich war immer klar, dass wir kirchlich heiraten wollen. Wir sind sehr froh und dankbar, dass sich die evangelische Kirche in der Beziehung geöffnet hat“, erklärt Melanie Hoffmann (33), die selbst als Verwaltungsfachangestellte bei der Kirche arbeitet. Ihre 37-jährige Frau Anja ist Maler und Lackiererin.

Wie viele gleichgeschlechtliche Paare sich in Duisburg getraut haben, wird nicht erhoben – es wird kein Unterschied gemacht! Die Zeremonie hat sich bei Anja und Melanie Hoffmann denn auch gar nicht großartig von einer anderen Hochzeit unterschieden. „Es war sehr persönlich.“ Für Pfarrerin Anke Bender war es die erste gleichgeschlechtliche Trauung. „Ich musste gar nicht lange überlegen. Gott beschützt liebende Menschen.“