Essen. . In Essen treffen sich Parzellen-Nachbarn aus Marokko und Polen, Kray und Kasachstan zum gemeinsamen Pflanzen, Plauschen und Grillen vor der Laube.
Nanaminze trifft auf Narzissen, Goldfischteich auf Grillparadies. Vier Familien räumen mit dem Klischee der kleinkarierten Gartenkolonie auf. Zaun an Zaun wird in zwei Essener Kleingartensiedlungen die Integration gelebt. Zwischen Unkraut jäten und Rasen mähen kommen sich die Parzellenbesitzer näher. Hier blüht Multikulti.
Kinderparadies in Kray
Die Möglichkeit für ein Stückchen Grün haben Jarek und Justyna Ray in ihrer Wohnung nicht. Vor zwei Jahren übernahmen die beiden Polen deshalb einen Kleingarten in der „Neuen Dutzendriege“ in Kray. „Das ist mein Ruhepol. Hier schalte ich von der Arbeit ab – und manchmal auch von der Familie“, sagt Trockenbauer Jarek Ray. Der 31-Jährige verbringt viel Zeit damit, den Garten umzugestalten. Akribisch geschnittene Graskanten gibt es hier aber nicht. „Mit Kleinkind geht das nicht“, sagt Justyna Ray. „Wir wollen Spielgeräte aufstellen.“
Während die 32-Jährige mit den Händen grob die Umrisse der geplanten Rutsche in die Luft zeichnet, flitzt Sohn Josef (2) mit dem Spielzeug-Rasenmäher über die Wiese. Außerhalb seiner Reichweite legen sie einen kleinen Gemüsegarten an. Es soll auch etwas Typisches aus ihrer Heimat ins Beet kommen. Wurzelpetersilie zum Beispiel. Das, was aussieht wie eine weiße Karotte, landet nach der Ernte mit Roter Beete im Suppentopf.
Als sie Kind war, hatte ihre Familie in Kattowitz auch einen Garten. Ein ungenutztes Baugrundstück bewirtschaftete sie mit ihrem Vater. Die liebgewonnene Erinnerung hat sie nun importiert, zumal ihre Heimatstadt dem heutigen Essen ähnelt. „Da sieht es aus wie im Ruhrgebiet. Viele Zechen, viel Industrie.“
Die Nachbarschaft im Essener Kleingarten sei von Anfang an gut gewesen, finden die Rays. Das Eis brachen wie so oft die Kinder. Im Nachbargarten wirbelt ebenfalls ein Dreikäsehoch. Schnell wurde der alte Gartenzaun abgerissen und gegen ein niedrigeres Exemplar auf Kinderniveau ersetzt. Nicht nur mit den direkten Nachbarn klappt’s. Justyna Ray: „Manchmal brauchen wir vom Parkplatz eine halbe Stunde bis zum Garten. Man verquatscht sich halt auf dem Weg.“
Gefallen an der Gemeinschaft
Blickt ein Zaungast in den Garten in der Siedlung „Im Volksgarten“ von Hans und Monika Klekottka, glotzen gleich dutzende Augenpaare zurück. Die 59-jährige Bochumerin hat sich längst von den Gemüsebeeten verabschiedet, gibt stattdessen Gartenfiguren ein neues Zuhause. Ihr ganzer Stolz: eine Erdmännchen-Kolonie. Kitsch? Na und.
Am Anfang, Ende der Achtziger, kam das Ehepaar nur mit Mühe durchs Gartentor. Das Unkraut wucherte hüfthoch auf dem Gelände am Volksgarten. „Drei Jahre hat es gedauert, das Grundstück auf Vordermann zu bringen“, erinnert sich Monika Klekottka. „Heute ist der Garten mehr Ziergarten. Mit Teich und Blumen. Für uns beide lohnt es sich nicht mehr, Gemüse zu pflanzen“, sagt ihr Mann. Nur der Mirabellen-Baum ist noch übrig geblieben. Der trägt manchmal Früchte – und manchmal eben auch nicht.
Die beiden hätten auch im heimischen Hinterhof oder auf dem Balkon die Möglichkeit zum Sonnenbaden. Dennoch zog es sie einst in ihren Kleingarten. Dort trennen nur dünne Zäune oder kurzgehaltene Hecken die Nachbarn voneinander. Zu Hause sieht das anders aus. „Dort macht jeder die Wohnungstür hinter sich zu und tschüss“, findet Monika Klekottka, „hier ist das anders. Die Gemeinschaft im Verein hat uns gleich gefallen.“ Mit den Garten-Nachbarn sitzen sie sommerabends gern vor der Laube.
Minze aus Marokko
In direkter Nachbarschaft gärtnert Familie Quali. Vor dreieinhalb Jahren sicherten sich Mohamed und seine Frau Hayat einen Kleingarten im Volksgarten – neben Klekottkas.
Wenn Mohamed Quali von Heimat spricht, meint er Essen. Vielmehr Kray. „Klar, Marokko ist schön. Dort wird es nicht so kalt wie hier. Aber aufgewachsen bin ich in Essen.“ Mit vier Jahren tauschte er Palmen gegen Zechen. Qualis Eltern hatten einen Garten, sogar einen Schrebergarten in Kray. Der grüne Daumen und die Ruhrpott-Tradition sind in seiner Kindheit verwurzelt.
In den zwei Beeten ragen nur ein paar verkümmerte Stängel aus der Erde. Die Nanaminze braucht Sonne. „Es muss nur noch etwas wärmer werden, dann fängt sie an zu sprießen“, erklärt Quali. Und gibt gleich einen Zubereitungstipp: „Die frische Minze einfach abschneiden und mit heißem Wasser übergießen. Diese Tradition verbinden viele mit Marokko.“
Grillen fördert die Gemeinschaft
Neben dem krausen Gewächs darf eine weitere kulinarische Errungenschaft in Qualis Garten nicht fehlen – der Grill. „Alle zwei Jahre muss ich einen neuen kaufen. Dann ist der alte durch“, sagt der Gartenbesitzer und lacht. Ein Blick auf das rostige Exemplar an der Laube verrät, auch dieser hat seine glänzenden Zeiten hinter sich. Es geht um den rauchigen Geschmack von Hähnchenschenkeln, aber es geht auch um die Gemeinschaft bei Tisch. Bei Quali sitzen sie immer alle zusammen: die Familie, die Nachbarn, die Arbeitskollegen.
Etwa zehn Kilometer Luftlinie vom Grillparadies der Qualis entfernt, in der Kleingarten-Kolonie „Schluchtstraße“, stehen hinter dem dunkelbraunen Jägerzaun Gartenzwerge Spalier. Ein schmaler Pfad schlängelt sich an zahlreichen Beeten vorbei, die mit Pflanz-Hilfen Marke Eigenbau bestückt sind. Platz für Rasen bleibt zwischen alledem nicht. Die kleine Parzelle ist bis in die letzte Ecke bepflanzt. In Kasachstan haben Lisa und Ivan Usuv so die Familie ernährt – in Essen ist es nur ein Hobby.
Himbeeren als Experiment
Sorgen bereiten der 61-Jährigen ihre Himbeeren. Würmer treiben dort ihr Unwesen. Ein paar Pflänzchen hat sie von den anderen getrennt. Sie sollen in einer Art Stahlkäfig wachsen und so von den Insekten verschont bleiben. „Das ist mein kleines Experiment“, sagt die fröhliche Kleingärtnerin mit hart rollendem „R“ in der Stimme.
Vor 32 Jahren kam das Ehepaar nach Deutschland. Einen Garten wollten die Usuvs damals eigentlich nicht. Irgendwann juckte es ihnen in den Fingern. „Wir mussten raus aus der Wohnung. An die frische Luft, etwas anderes sehen. Außerdem hält Gärtnern die Muskeln und Finger fit“, findet Lisa Usuv. Oft kommen die beiden am Wochenende. Dann schrebern sie erst ein bisschen und frühstücken vor der Laube. Auch gern mal was später – das ist ihre Freiheit.