Ruhrgebiet. Statt zum Himmel schauen viele aufs Smartphone. Dabei lässt das Universum nur wenige Menschen unberührt – wenn sie nur einmal aufblickten.
Es bedarf nur eines kräftigen Zuges an zwei Stahlketten – schon wird der Blick auf die Sterne frei. „So einen Himmel hatten wir seit Wochen nicht“, sagt Hobby-Astronom Uwe Czubayko, nachdem er das Kuppeldach der Volkssternwarte Recklinghausen geöffnet hat. Sirius, der hellste Stern am Nachthimmel, funkelt prächtig an diesem winterlichen Freitagabend. Auch das Sternbild des Orion ist zu erkennen. „Denkt daran, in die Sterne zu schauen, anstatt hinunter zu euren Füßen“, mahnte stets der gerade verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking. Haben wir den Kosmos aus den Augen verloren?
Uwe Czubayko erklimmt einige Stufen auf ein Podest in der Mitte der Beobachtungskuppel, auf dem unübersehbar ein Teleskop thront. „Das ist unser Schätzchen. Ein Schmidt-Cassegrain-Teleskop mit einem 14 Zoll-Spiegel. Damit kommen wir ziemlich nah ran an Mond, Sterne und Planeten.“ Ein gut gepflegtes Stück, Jahrgang 1971, pechschwarz und so groß, dass sich ein Kind darin verstecken könnte.
Es ist mit einem Laptop verbunden, mit dem sich das Teleskop nach dem aktuellen Sternenhimmel ausrichten lässt. „Man sieht hierdurch Sterne, planetarische Nebel, Sternhaufen und Galaxien. Dinge, die man mit dem bloßen Auge sonst nicht erkennen kann“, sagt der 70-Jährige und zeigt aufs Okular. Die ersten neugierigen Besucher dürfen durchschauen und sehen die schimmernd-weiße Wolke des Orionnebels in ihrer ganzen hellen Schönheit.
Jeden Freitagabend gucken sie in die Sterne
Jeden Freitagabend wartet Czubayko in der abgedunkelten Kuppel auf Interessierte, die nach den Veranstaltungen im Planetarium nebenan die Treppen des zwanzig Meter hohen Turms der Sternwarte hinaufsteigen. Seit 20 Jahren macht Uwe Czubayko das schon. Dann wird er zum redseligen Führer durch den Sternenhimmel – wenn das Wetter mitspielt und der Himmel klar ist.
Die Kälte in der Kuppel macht ihm nichts aus. Vielen Besuchern schon. Nur noch eine Handvoll etwas wärmer gekleideter Gäste wandert weiter um das Teleskop herum. Zu sehen gibt es den Sternhaufen der Plejaden und besonders beeindruckend, den Mond, auf dem man deutlich die zahlreichen Krater erkennen kann. „Es gab Tage, da habe ich schon bis ein Uhr nachts hier gestanden.“ Wenn er das sagt, dann spürt man seine Leidenschaft für die Sterne. Seine Augen leuchten hinter den dicken Brillengläsern, seine Hände tanzen in der Luft und zeichnen Kreisbahnen.
Von der Astronomie zur Raumfahrt
Seit jeher finden die Menschen den Sternenhimmel anziehend. Die Astronomie gilt nicht umsonst als die älteste Wissenschaft der Welt. Ihre mythologischen Ursprünge gehen auf die frühen Kulturen um 5000 v. Chr. zurück. Bis heute haben wir nicht aufgehört, das Universum zu erforschen – auf der Suche nach dem Sinn hinter allem. Wir schicken mittlerweile Raumsonden und Forschungsroboter in die Weiten des Alls und mit Weltraumteleskopen wie Hubble und seinem baldigen Nachfolger, dem James-Webb-Teleskop, können wir immer mehr sehen und verstehen, was außerhalb unseres blauen Heimatplaneten liegt. Und ja, wir haben sogar schon mehr als einen Fuß auf den Mond gesetzt. Demnächst folgt der Mars. Wir müssen uns nur noch ein wenig gedulden.
Geduld, das bringen Amateur-Astronomen wie Uwe Czubayko von Natur aus mit. Czubayko ist kein Wissenschaftler. Er gehört zum Förderverein „Freunde der Volkssternwarte Recklinghausen“. Unter dem Namen haben sich Astronomiebegeisterte und Sternfreunde 1996 zusammengetan, um sich gegen die geplante Schließung der Einrichtung zu wehren – mit Erfolg. Ihr Engagement hält die Sternwarte am Leben. Für Leiter Burkhard Steinrücken sind die Hobby-Astronomen aber weitaus mehr: „Sie sind die Hüter eines grundlegenden allgemeinen Wissens über die Himmelskörper, die Bewegungen der Erde und die Natur der Sterne“. Ein Wissen, das in den Schulen und Hochschulen keine besondere Rolle mehr spiele. Das war aber nicht immer so.
Der Weltraum war mal Sehnsuchtsort Nummer eins
Vor mehr als hundert Jahren, da war der Weltraum Sehnsuchtsort Nummer eins. Nicht nur Forscher, auch Künstler, Schriftsteller, Filmemacher regten in ihren Arbeiten die Menschen zu den kühnsten Sternenträumen an. Im Roman „Von der Erde zum Mond“ (1865) nahm Jules Verne die Mondlandung vorweg und Filmemacher George Méliès schuf 1902 fantasievolle Bilder von der „Reise zum Mond“. In dieser Zeit um 1900 entstanden auch die ersten Volkssternwarten. So wurde unser Wissen um das Universum für alle zugänglich.
In der Region waren Solingen und Dortmund ab den 1920er-Jahren erste Adressen für Amateur-Astronomen und neugierige Geister. Größere Einrichtungen entstanden einige Zeit später in den 50er-Jahren (Recklinghausen) und 60er-Jahren (Planetarium Bochum). Und was war da nicht alles los in der Mitte des 20. Jahrhunderts: Sputnik-Schock, erster Mensch im Weltraum, erste Männer auf dem Mond und das auch noch live übertragen im Fernsehen. Die Generation Weltraum war geboren.
Astronaut werden, das stand in vielen Freundschaftsbüchern. Und heute? Da schauen laut Czubayko die Jugendlichen lieber auf ihre Smartphones statt hoch in den Himmel. „Jeder hat eine grundlegende Faszination für den Weltraum“, sagt dagegen Susanne Hüttemeister vom Planetarium Bochum, „es gibt eigentlich kein Desinteresse.“ Das Planetarium hat im vergangenen Jahr einen Besucherrekord vermeldet. Rund 60 Prozent der Einnahmen macht das Haus immer noch mit klassischen Astronomieshows. Die Menschen haben also doch noch Lust aufs All.
Blick in die Unendlichkeit berührt
Und gleichgültig, ob künstliches oder echtes Sternenzelt. Die Betrachtung des Nachthimmels ist immer auch ein emotionales Erlebnis. Das bestätigt Hobby-Astronom Uwe Czubayko: „Wenn ich da stehe und in den Sternenhimmel gucke, dann fühle ich mich so klein und wundere mich über die Schöpfung, die da oben stattgefunden hat.“
Deswegen steht er jeden Freitag stundenlang im Observatorium der Sternwarte und lässt die Menschen durch das Fernrohr blicken. Hier kann man unmittelbar spüren, wie es sich anfühlt, wenn das Licht der Sterne, das Millionen von Jahren im Universum unterwegs war, direkt auf das eigene Auge trifft. Es muss also nicht gleich der große Hawking sein, auch Leute wie Czubayko erinnern uns an die Schönheit des Kosmos.
>> HARRY POTTER AM HIMMEL
„Look Up To The Stars“ Schau hoch zu den Sternen. So heißt in Großbritannien eine Initiative, die Jugendlichen den Nachthimmel wieder schmackhaft machen will. Experten fanden heraus, dass etwa 72 Prozent der 7- bis 19-Jährigen noch nie in den Nachthimmel geschaut haben, um ein Sternbild zu finden. Fast 29 Prozent wäre nicht einmal in der Lage, eines der 88 klassischen Sternbilder wie „Großer Wagen“, „Orion“ oder „Kassiopeia“ zu erkennen. Deshalb entstanden unter der Beteiligung der Universität Birmingham acht komplett neue Sternbilder. Da tauchen nun populäre Figuren wie Harry Potter, der Bär Paddington oder die Tennisspielerin Serena Williams am Himmel auf. Im Netz unter: http://bit.do/neue-sternbilder
>> HIER KÖNNEN SIE STERNE IN UNSERER REGION BEOBACHTEN
Fernrohrbeobachtungen bietet die Westfälische Volkssternwarte Recklinghausen bei klarem Wetter jeden Freitag ab 20.30 Uhr an. Auf der Halde Hoheward in Herten finden außerdem sonn- und feiertags Sonnenbeobachtungen statt. Infos: Tel. 02361/23 134.
Weitere Sternwarten im Ruhrgebiet gibt es in Essen, Herne Dortmund und Solingen. Infos: www.zvsd.org/Verzeichnis-Planetarien-Sternwarten/