Bochum/Essen. . Es ist kein Zufall, ob wir uns von links oder von rechts in die Arme fallen. Das zeigt eine Studie zu Umarmungen von Bochumer Biopsychologen.
Der Applaus der Zuschauer reißt nicht ab. Nicht nur, weil ihnen das Stück „Sophia, der Tod und ich“ im Essener Grillo-Theater gefallen hat. Der Intendant Christian Tombeil ist aufgetreten, zusammen mit den vielen Menschen, die auf und hinter der Bühne arbeiten, um Ingrid Domann zu ehren. Die Schauspielerin geht in Rente. Die Blumen und der Beifall zum Abschied rühren sie. Mit glänzenden Augen umarmt sie dankbar ihre Kollegen.
Dem einen legt sie dabei die rechte Hand auf seine linke Schulter und dreht ihm die rechte Wange zu. Aber immer wieder ist es auch umgekehrt, dann greift die linke Hand nach der rechten Schulter und die linken Wangen berühren sich. Ist die Art und Weise, wie sich Menschen in den Arm nehmen, reiner Zufall? Mitnichten, würde jetzt Julian Packheiser sagen.

Der 28-Jährige hat an der Ruhr-Uni Bochum mit weiteren Biopsychologen Umarmungen erforscht: Wie wir uns herzen, hat nicht nur etwas damit zu tun, ob jemand ein Rechts- oder Linkshänder ist. Sind Gefühle im Spiel, umarmen wir uns anders als in neutralen Situationen, wenn wir zum Beispiel eine Freundin begrüßen, die wir jede Woche sehen.
Für die Studie haben die Forscher über 2500 Umarmungen ausgewertet. Sie haben sich im Internet Videos angeschaut, von Menschen, die mit verbundenen Augen in einer Fußgängerzone stehen. Neben sich ein Schild: „Kostenlose Umarmungen!“. „Die Personen, die sich da umarmen, kennen sich nicht“, sagt Julian Packheiser. „Deswegen konnte man voraussetzen, dass hier keine stark emotionale Situation vorliegt.“
Gefühle ändern die Richtung
„Wir neigen dazu, die rechte Seite zu bevorzugen“, sagt der Wissenschaftler. „Das zeigen auch viele andere Phänomene des Alltags.“ Ob im Kino oder im Bus: Die Menschen nehmen gerne rechts Platz. Auch ziehen sie oft mit der rechten Hand den anderen zu sich. Doch wie verändert sich die Umarmung, wenn sich Menschen in emotionalen Momenten drücken?
Um das herauszufinden, haben Studierende Leute beobachtet, die sich beim Abflug oder bei der Ankunft am Düsseldorfer Flughafen in die Arme fallen. Diese spüren vor dem Start nicht nur Abschiedsschmerz, laut Studien leiden zudem fast 40 Prozent der Passagiere unter Flugangst. Landen sie wieder in Düsseldorf, fühlen sie nicht nur Wiedersehensfreude. Sie sind auch erleichtert, festen Boden unter den Füßen zu haben. Es sind somit oft gefühlsgeladene Begegnungen. Wie unterscheiden sie sich nun von Umarmungen zum Beispiel bei einer belanglosen Begrüßung? In emotionalen Situationen, so Julian Packheiser, umfassen sich die Menschen öfter mit dem linken Arm zuerst. Und berühren sich dann auch an den linken Wangen.
Die Probanden umarmen Plastikpuppen
Um das Ergebnis zu untermauern, schrieben die Wissenschaftler Kurzgeschichten, die Studierende als neutral, freudig oder traurig einstuften. Eine handelte von einem Familienmitglied, das dachte, es hätte den Krebs besiegt. Aber nun erhält es die Nachricht, dass die Krankheit zurückgekehrt ist. Als die Probanden das hören, sollen sie das „Familienmitglied“ umarmen – im Labor nahm stellvertretend eine Schaufensterpuppe diese traurige Rolle ein.
Packheiser: „Die Ergebnisse waren identisch mit denen in der Beobachtungsstudie, sprich, auch hier wurde in den emotionalen Situationen öfter die linke Hand benutzt als in der neutralen Situation.“ Dabei war es nicht ausschlaggebend, ob die Gefühle positiv oder negativ waren. Hauptsache, die Empfindungen waren stark.
Rechtshänder umarmen meist zuerst mit dem rechten Arm
In neutralen Momenten überwog auch hier eindeutig die rechte Hand, die als erstes auf der Schulter landet. „Wir haben herausgefunden, dass die Händigkeit ganz klar einen signifikanten Einfluss auf die Umarmungsrichtung hat.“ Also Rechtshänder umarmen meist mit der rechten Hand auf der linken Schulter des Gegenübers. Aber: „Die Emotionen haben einen ebenso großen Einfluss.“ Wenn die Gefühle hochkochen, greifen auch Rechtshänder öfter mal mit der linken Hand zu.
Auf den ersten Blick sind dies lediglich charmante Ergebnisse zum sozialen Miteinander. Aber die Biopsychologen haben damit entscheidende Erkenntnisse gewonnen, wie Prozesse im Gehirn ablaufen, wenn wir starke Gefühle erleben.
Die Prozesse im Gehirn bei großen Gefühlen
Bisher gibt es zwei große Theorien dazu: Die eine besagt, dass die linke Hemisphäre des Gehirns positive Emotionen verarbeitet und die rechte negative Gefühle. Die andere Theorie geht jedoch davon aus, dass sowohl positive als auch negative Emotionen allein in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet werden, so Packheiser. Wenn das der Fall ist, beeinflusst das auch unser Verhalten. Denn: „Die rechte Gehirnhälfte kontrolliert unsere linke Körperhälfte“, sagt Packheiser.
Und genau die bewegte sich bei gefühlvollen Umarmungen öfter, gleichgültig, ob in traurigen oder in freudigen Momenten: Der linke Arm war stärker im Einsatz. Die Studie deutet somit darauf hin, dass alle Gefühle in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet werden.
Ein Kuss wäre nicht so einleuchtend
Um das zu belegen, waren Umarmungen ideal, betont Julian Packheiser. Zwar kann man auch beim Küssen auf den Mund Richtungen beobachten, wenn wir etwa den Kopf zur Seite neigen. Aber im Gegensatz zu einer Umarmung hätte den Forschern hier der Vergleich gefehlt: Ein Kuss ist schließlich höchst selten ein neutrales Erlebnis.
>> DAS BESONDERE: WENN EIN MANN EINEN MANN UMARMT
In der Studie der Bochumer Biopsychologen fiel auf, dass sich Männer anders umarmen. Sie verhalten sich in neutralen Situationen genauso wie in emotionalen Momenten. In beiden Fällen liegt häufiger die linke Hand oben. „Wir erklären uns das Muster damit, dass es Männer anscheinend nicht so angenehm empfinden, einen anderen Mann zu umarmen“, sagt Julian Packheiser. Die Umarmungen unter Männern in Deutschland sind im Gegensatz etwa zur Türkei oder Frankreich immer noch ungewohnt.
Dagegen haben die Forscher keinen Unterschied feststellen können, wenn sich ein Mann und eine Frau oder zwei Frauen umarmen. Packheiser: „Man hätte vermuten können, dass Mann-und-Frau-Umarmungen positiver besetzt sind.“ Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.