Essen. . Die Kirchen bieten feste Glaubenskonzepte, doch fragt man jeden Einzelnen nach seinem persönlichen Glauben, wird es unüberschaubar. Warum ist das so?
„Glaube jenen,
die die Wahrheit suchen,
und zweifle an denen,
die sie gefunden haben.“
André Gide
Glauben Sie eigentlich an den Osterhasen? Falls Sie ein gewisses Alter bereits überschritten haben und nicht hoffnungslos abhängig von Schoko-Eiern sind, lautet Ihre Antwort höchstwahrscheinlich „Nein!“. Dennoch ist Ostern als höchstes Fest der Christen wohl einer der besten Anlässe, sich nach dem dritten, vierten bunt gefärbten Ei tatsächlich mal wieder die Frage zu stellen: Woran glaube ich eigentlich?
Ob katholisch oder evangelisch, ob muslimisch oder buddhistisch, der Mensch hat einen Hang zum Glauben – und sei es nur ganz diffus an ein höheres Wesen. Oder er sucht sich anderweitig Ersatz für solche religiös oder spirituell motivierten Objekte der Verehrung, sei es in philosophischen Betrachtungsweisen oder ganz profan als Anhänger eines Fußballvereins. Fragt man eine Million Menschen, woran sie glauben, wird man vermutlich eine Million unterschiedliche Antworten erhalten.
Kaum Gespräche über den persönlichen Glauben
„Das ist auch gut so“, sagt Uwe Metz, ehemaliger evangelischer Pfarrer, Schriftsteller und Herausgeber des Büchleins „Woran glaubst Du?“ (Edition Evangelisches Gemeindeblatt, 160 S., 14,95 €), das jetzt begleitend zum Kirchentag Anfang Juni in Stuttgart erscheint. Darin kommen 46 mehr oder weniger Prominente zu Wort, die sich unabhängig von religiösen oder weltanschaulichen Vorgaben dazu äußern, woran sie ganz persönlich glauben. Eine Idee so naheliegend, dass man argwöhnt, so etwas hätte es schon oft und in Massen gegeben. Hat es aber nicht. „Die Idee zu diesem Buch kam mir zu der Zeit, als ich noch als evangelischer Pfarrer tätig war. Nach einem Gottesdienst saß eine Frau in den Reihen. Ich habe mich neben sie gesetzt und wollte wissen, wie es ihr gefallen hat. Da fing sie an, über ihren Glauben zu erzählen und ich über meinen. Das war ein sehr interessantes Gespräch, aber am Ende sagte sie mir, ich sei der erste Hauptamtliche, der sich mit ihr jemals über dieses Thema unterhalten hat. Da war ich einigermaßen erschrocken!“
Eine Million verschiedener Antworten
Tatsächlich kennt wohl jeder, der nach den Regeln einer christlichen Konfession erzogen wurde, die Gebote und Verbote, die Auslegung der Schrift, die Abfolge der Feiertage, die Rituale der Gottesdienste, eben all diese Dinge, die man so vermittelt bekommt und mit durchs Leben nimmt. Aber was hat das mit dem eigenen, dem persönlichen Glauben zu tun? Oft nicht allzu viel. „Wenn man tatsächlich diese eine Million Menschen nach ihrem Glauben fragen würde, wäre es schon seltsam, wenn auch nur ein paar Tausend dieselbe Antwort gäben. Weil der Glaube etwas Intimes und Persönliches ist. Denn er verbindet sich mit unserer Lebensgeschichte – und deswegen sind auch die Antworten unterschiedlich“, so Metz.
Und sie müssen gar nicht unbedingt mit dem Glauben an Gott zu tun haben. Für Metz’ Buch antwortete etwa die Kabarettistin Lisa Fitz: „Ich glaube an die Macht der kraftvollen, pointierten Worte. An das Aufrüttelnde, die Empörung, die in ihnen steckt.“ Und: „Ich glaube an die Entlarvung der Lüge durch Wahrheit.“ Was ziemlich gut auf den Punkt bringt, wofür Lisa Fitz auch als Person steht. Schriftstellerin Gaby Hauptmann bekennt sich: „Ich glaube an den Tag. Ich glaube an die Kraft der Kinder; sie sind noch unverblendet. Ich glaube an das Gute im Menschen, denn sonst hätte die Welt schon untergehen müssen.“
Ein Überangebot an Glaubensrichtungen
Es gibt große und teils auch haarfeine Unterschiede in den Glaubensbekenntnissen auch der christlichen Kirchen. Ohne diese überhaupt zu nennen, ist es dem britischen Schriftsteller John Niven gelungen, in seinem unterhaltsamen und doch recht lästerlichen Roman „Gott bewahre!“ (Heyne, 400 S., 9,99 €) die absurde Menge unterschiedlicher Glaubensrichtungen zu illustrieren. Denn bei den Christen reicht es nicht, in katholisch, evangelisch und andere Konfessionen zu unterscheiden. Auch in diesen Gruppen gibt es unzählige Richtungen. Beispiel aus der protestantischen Welt gefällig? Apostolisch-Lutherische Kirche von Amerika, die Konfessionelle Evangelisch-Lutherische Konferenz, die Remonstrantische Bruderschaft, die Konförderation Evangelisch-Reformierter Kirchen, die Presbyterianische Kirche von Upper-Cumberland, die Zwischenstaatliche und Ausländische Missionarische Vereinigung der Grenzstein-Baptisten und, und, und... Die Aufzählung, die Niven da betreibt, geht über mehrere Seiten. Und sie wird beim Lesen nicht langweilig, weil man sich teils wundert, teils auch unwillkürlich schmunzeln muss über das Übermaß der Richtungen. Die gipfeln bei Niven übrigens in der „Kirche der kleinen Kinder von Jesus Christus“ und der „Feuergetauften Heiligkeitskirche des Gottes der Amerikas“.
Warum die Kirchen Mitglieder verlieren...
Nun wird sich die Qual der Konfessionswahl den meisten Deutschen nicht aufdrängen, doch hierzulande laufen die Gläubigen den Kirchen gleich scharenweise weg. Im Jahr 2013 haben so viele Menschen das Bistum Essen verlassen wie zuletzt im Jahr 2000, liest man auf der Webseite. Zwar gab es noch 830 623 Kirchenmitglieder. Doch waren unter den 13 565 Abgängen des Jahres auch 5405 Kirchenaustritte zu verzeichnen – ein Effekt der Missbrauchskandale der vergangenen Jahre und des Protzbaus eines gewissen Franz-Peter Tebartz-van Elst. Es gilt als sicher, dass die Zahl der Austritte wegen der Kirchensteuer auf Kapitalerträge in den Jahren 2014 und 2015 noch steigen wird. Keine himmlischen Zeiten für die Kirche also.
Aber verlieren die Menschen durch solche Schritte auch gleichzeitig ihren Glauben? Das steht eher nicht zu befürchten, meint Uwe Metz. „Das ist eine der Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, während wir unser Glaubensbuch gemacht haben: Der Glaube ist menschlich, er gehört zu uns. Dabei ist es nicht entscheidend, welche Art von Glaube es ist, islamisch, christlich oder jüdisch.“
Selbst Atheisten sind nicht felsenfest überzeugt
Oft verlagern jene Menschen, die sich von den großen Kirchen abgewandt haben, ihren Glauben ins Private und treten nicht kleineren Religionen oder Sekten bei. Das Sekteninfo NRW verzeichnete in den vergangenen Jahren eine Zahl von Beratungsfällen, die um die 450 schwankt. Und etwa ein Drittel dieser Beratungsfälle stammt aus dem Bereich der Esoterik, wo sich viele Scharlatane tummeln, die es hauptsächlich aufs Geld der Leichtgläubigen abgesehen haben.
Aber sogar die härtesten Skeptiker sind nicht immun gegen die Auswirkungen des Glaubens. Die finnische Psychologin Marjaana Lindeman stellte Versuche mit überzeugten Atheisten an. Sie lud 19 von ihnen zu einem Experiment ein. Sie bat sie, Gott herauszufordern, indem sie sie zu provokanten Äußerungen brachte: „Gott möge meine Eltern ertrinken lassen“ oder „Gott soll dafür sorgen, dass sich alle meine Freunde gegen mich wenden“. Tatsächlich reagierten die Atheisten, die ja nicht an Gott glauben, genau so stark auf die Nennung von Gott wie die Gläubigen in der Vergleichsgruppe. Wenn Gott aus dem Spiel gelassen wurde, aber dennoch der gleiche Wunsch („Mögen meine Eltern ertrinken“) geäußert wurde, blieb die Erregung der Probanden deutlich geringer. Offensichtlich herrscht selbst bei erklärten Ungläubigen eine Furcht vor einem höheren Wesen. Denn dass man nicht an Gott glaubt, bedeutet offenbar nicht unbedingt, dass man sich emotional komplett von diesen Konzepten verabschiedet hat. Zweifel kann es auch hier geben – genau wie im Glauben.
Nur wenige Sätze sind in Beton gegossen
„Die Zweifel gehören zum Glauben, sie machen den Glauben aus. Wenn man in der Bibel liest, dann ist dem Zweifel ja viel Platz eingeräumt. Diese Unsicherheit ist eine positive Unsicherheit, sie ist ein Anknüpfungspunkt für mich selber“, so Metz. Tatsächlich liefert die Bibel im Angesicht wissenschaftlicher Erkenntnisse wie der Evolution ja reichlich Gründe, an ihr zu zweifeln. Auch nicht alles, was von den Kirchen als Glaubenssatz verkündet wurde, bleibt für ewig unangetastet.
Dass Glaubenssätze keineswegs in Beton gegossen sein müssen, lässt sich recht gut am Gedanken der Wiedergeburt festmachen. Denn die katholische Kirche hat die Vorstellung, dass Menschen nach ihrem Tode wieder und wieder in anderer Gestalt auf die Erde zurückkehren, keineswegs von Anfang an für nichtig gehalten, sondern die Ablehnung per Kirchenkonzil beschlossen – auch, weil es der Vorstellung vom Paradies und vom Leben nach dem Tod widerspricht. Ein guter Christenmensch sollte also ans Leben nach dem Tod glauben. Dennoch ist die Wiedergeburt in den Köpfen der Menschen nicht totzukriegen: 24 Prozent der Deutschen glauben, dass sie nach dem Tod neu geboren werden.
Suche nach Sinn und bleibenden Werten
Starre Dogmen weichen für immer mehr Menschen in Europa einer Sinn- und Wertesuche. „Die Zeit der Glaubenssätze in den religiösen Bekenntnissen, die ist definitiv vollständig und vollkommen vorbei“, sagt Uwe Metz.
Allerdings lässt sich sagen: So richtig festhalten an Glaubenssätzen mochten sich die Menschen eigentlich noch nie, denn oftmals sind die theologischen Lehren ein eher abstraktes Expertenwissen, das von den meisten nicht verinnerlicht wird – selbst wenn sie es kennen. Das wissen natürlich auch die Kirchen, die sich bemühen, den Gläubigen mit prachtvollen Prozessionen oder etwa der Reliquienverehrung ein bisschen Abwechslung in die Eintönigkeit der Rituale zu bringen.
Tatsächlich besteht unser persönliches Weltbild auch 400 Jahre nach der Aufklärung noch immer zu einem gewaltigen Teil aus Glauben. Man kann ein noch so rational denkender Mensch sein und sich an den Erkenntnissen der Wissenschaft orientieren – es ist einem einzelnen Menschen unmöglich, alle Bereiche der Forschung und alle Erkenntnisse, die daraus resultieren, auch zu überprüfen. Oder haben Sie schon einmal Einsteins Relativitätstheorie nachgerechnet? Oder die Evolution des Menschen vom Einzeller bis zum homo sapiens über alle Zwischenschritte nachverfolgt? Gar die Spaltung eines Atoms im Experiment persönlich nachgeprüft? Nein, dass bei all diesen Dingen auch ein guter Teil Glauben im Spiel ist, gehört zu den Überlebensstrategien des Menschen. Es gibt Dinge, die müssen wir heute nicht hinterfragen, weil sie für uns einfach funktionieren.
Glauben Sie doch, was Sie wollen!
Es ist ja auch so einfach: Wer nicht hinterfragt, hat es deutlich bequemer als jemand, der ständig alles infrage stellt. Anders wäre auch nicht zu erklären, warum laut einer Umfrage aus dem Jahr 2012 immerhin 52 Prozent der Deutschen an Wunder glauben. Wunder sind unbegreifliche Ereignisse, die wir nicht nachvollziehen können – oder wollen. Die unverhoffte Heilung eines Kranken? Wunder! Welche Rolle dabei die Zellen der Immunabwehr gespielt haben, wäre nur schwierig nachzuvollziehen, wenn man nicht gerade Immun-Spezialist ist.
Aus Gründen wie diesen pilgern viele Tausende Gläubige jährlich nach Lourdes. Und ja, einige von ihnen werden tatsächlich geheilt. Ob das nun an der religiösen Ausstrahlung des Ortes liegt, an der natürlichen Heilwirkung des Wassers, an dem neuen Mut, den viele Menschen durch ihren Glauben an ein Wunder schöpfen oder schlicht an der Wahrscheinlichkeit einiger statistischer Ausreißer – glauben Sie, was sie wollen!
Ganz so einfach sollte man es sich aber nicht machen. Autor Uwe Metz hat sich während der Arbeit an „Woran glaubst Du?“ intensiv mit Meinungen und Glaubensbekenntnissen anderer auseinandergesetzt. Er empfindet die Zweifel, die manche der Sätze in ihm geweckt haben, durchaus als Bereicherung: „Unsicherheit ist wie eine Lücke im Zaun: Erst durch sie erkennt man, was sich dahinter verbirgt.“ Insofern ist es in jedem Fall eine Bereicherung des eigenen Lebens, sich von Zeit zu Zeit mit anderen Meinungen zu beschäftigen und sich erneut zu fragen: Woran glaube ich eigentlich?