Neukirchen-Vluyn.. Silke Heimes, Ärztin und Poesietherapeutin, über die Vor- und Nachteile der Schreibarten. Die Schreibschrift fördert zum Beispiel die Geschicklichkeit.
Es ist nicht gleichgültig, ob man mit der Hand oder mit der Tastatur schreibt, betont Silke Heimes, Leiterin des Instituts für Kreatives und Therapeutisches Schreiben. Die Ärztin, Poesietherapeutin und Journalistik-Professorin an der Hochschule Darmstadt kennt viele Vorzüge der Handschrift, bei der das Tastaturschreiben nicht mithalten kann.
Worin liegt der Vorteil für Kinder, wenn sie mit der Hand schreiben?
Silke Heimes: Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die mit dem Stift schreiben, eine bessere Feinmotorik haben. Beim Schreiben bewege ich meine Finger in komplexen Bewegungen, jeder Buchstabe erfordert ein anderes Bewegungsmuster. Bei der Tastatur hingegen müssen die Finger immer nur hoch und runter, hoch und runter. Es ist eine völlig stupide Bewegung. Die Bewegungsmuster beim Schreiben mit der Hand hinterlassen eine Spur im Gehirn. Studien haben daher ergeben, dass man sich besser an Zusammenhänge erinnert, wenn man sie mit der Hand und nicht mit der Tastatur schreibt.
Die erfolgreiche Kinderbuchautorin Cornelia Funke schreibt mittlerweile wieder meist mit der Hand statt mit dem Laptop. Wirkt sich die Art des Schreibens auf die Kreativität aus?
Silke Heimes: Mit der Hand entstehen deutlich mehr Geschichten. Untersuchungen mit Kindern haben ergeben, dass Geschichten, die sie mit der Hand geschrieben haben, komplexer und länger waren als bei Kindern, die auf dem Computer tippen. Das Zusammenspiel von Feinmotorik und haptischem Erleben setzt die Kreativität in Gang. Ich vergleiche das immer mit dem Fabrik-Arbeiter, der am Fließband steht. Der hat auch nicht die kreativsten Höhenflüge, wenn er mechanische Arbeit verrichtet. Und das Tippen auf der Tastatur ist eine mechanische Arbeit, während das Schreiben mit der Hand etwas Sinnliches hat. Sinnlichkeit und Kreativität liegen näher beieinander als Monotonie und Kreativität.
Gibt es noch etwas, das für die Handschrift spricht?
Silke Heimes: Es fördert die Koordination und die Geschicklichkeit. Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund haben Rechtshänder verglichen, die besonders viel mit der Tastatur tippen, mit Rechtshändern, die häufiger mit der Hand schreiben. Beide Gruppen absolvierten einen Geschicklichkeitsparcours sowohl mit der rechten als auch mit der linken Hand. Die Computernutzer brauchten mit der rechten Hand deutlich länger als die Handschreiber, deren Schreiben mit der Hand offensichtlich die Übung in genau koordinierten Bewegungen förderte. Mit der linken Hand waren die Teilnehmer beider Gruppen hingegen gleich schnell.
,Ich kann meine eigene Schrift nicht mehr lesen’, hört man schon mal Leute schimpfen. Texte am Computer kann dagegen jeder entziffern. Das ist ein großes Argument für das Tastatur-Schreiben, oder?
Silke Heimes: Auf jeden Fall. Es ist ja nicht so, dass das Tastaturschreiben böse ist und das Handschreiben gut. Es kommt immer darauf an, für was man es benötigt. Man sollte Kindern nur nicht das Kulturgut Handschrift nehmen. Dass viele Leute ihre Schrift nicht lesen können, passiert, weil wir seltener mit der Hand schreiben. Je häufiger man schreibt, desto besser wird auch die Schrift. Außerdem kann jemand, der sehr krakelig schreibt, auch daran arbeiten, dass die Schrift runder wird. Er wird sich dadurch sogar besser fühlen.
Wie meinen Sie das?
Silke Heimes: Ich wage zu behaupten, dass man über das Schriftbild, das man harmonisch gestaltet, auch innere Prozesse verändern kann. Man merkt ja selber, wenn es einem schlecht geht, krakelt man eher. Wenn es einem gut geht, hat man eine geschwungenere Schrift. Wenn ich mir Mühe gebe, harmonische Schriftzüge zu verfassen, könnte das positiv für die Seele sein. Dafür spricht die Kalligraphie, die Kunst des Schönschreibens. Japaner malen die Buchstaben, um eine Ausgeglichenheit des Geistes zu erzielen. So hat das Schreiben mit der Hand auch einen meditativen Aspekt.
Welche Aspekte sprechen im therapeutischen Sinne für das Schreiben?
Silke Heimes: Wenn ich ein Problem habe, kann ich das aufschreiben, um Ordnung in die Gedanken zu bringen. Ich kann es aber auch nutzen, um mir etwas von der Seele zu schreiben. Man hat ja nicht immer einen Gesprächspartner, und manchmal möchte man auch bestimmte Dinge nicht mitteilen, sie erst mal für sich verarbeiten. Da kann das Schreiben eine große Hilfe sein.
Und was ist beim therapeutischen Schreiben besser: das Schreiben mit dem Stift oder das mit der Tastatur?
Silke Heimes: Der große Vorteil beim Schreiben mit der Hand ist, dass es zum Innehalten führt. Die meisten Menschen schreiben mittlerweile schneller mit der Tastatur als mit der Hand, das ist ja auch ein Argument dafür. Aber der Vorteil beim Schreiben mit der Hand ist, therapeutisch gesehen, dass es mich verlangsamt. Um aus dem Emotionsstrom rauszukommen. Die Gedanken rasen, die Gefühle sind in Aufruhr. Da kann es hilfreich sein, etwas langsamer zu werden.
SMS, Whats-App, Facebook – man sieht ja kaum noch Handgeschriebenes. Verändert das unser soziales Miteinander?
Silke Heimes: Ganz bestimmt. Selbst wenn ich von einer Freundin den gleichen Brief bekomme, einmal getippt und einmal handschriftlich verfasst, würde ich mich über den handschriftlichen Brief immer mehr freuen. Ich fühle mich dann extrem wertgeschätzt. Weil ich weiß, sie hat sich Zeit genommen, Stift und Papier ausgesucht, genau überlegt, was sie schreiben will. Ich spüre den anderen Menschen in der Handschrift eher als beim getippten Text. Die Handschrift zeigt etwas von der Persönlichkeit.
Weiterlesen: Silke Heimes: Schreib dich gesund – Übungen für verschiedene Krankheitsbilder, Vandenhoeck & Ruprecht, 125 S., 14,99 €.
Fortbildung in Poesietherapie ihres Instituts IKUTS in Neukirchen-Vluyn: ikuts.de