Essen. Seit Monaten schwelt ein Streit um Tierexperimente. Tierschützer laufen Sturm – die Staatsanwaltschaft durchsuchte das Max-Planck-Institut.
Demonstrationen, Menschenketten, Mahnwachen, sogar Steinwürfe und Morddrohungen – der Streit um die Experimente mit Affen eskaliert. Vorläufiger Höhepunkt einer seit Monaten schwelenden Auseinandersetzung: Die Staatsanwaltschaft durchsuchte das Max-Planck-Institut (MPI) für biologische Kybernetik in Tübingen und beschlagnahmte zahlreiche Unterlagen. Ihr Verdacht: massive Verstöße gegen das Tierschutzgesetz.
Was war passiert?
Seit langem protestieren Tierschützer gegen die Versuche mit Affen. Nach einem Fernsehbericht im September 2014 geriet das Institut massiv in die Kritik. Ein von Tierschützern eingeschleuster Pfleger hatte mit versteckter Kamera in dem Institut gefilmt und dabei angeblich Beweise für die Misshandlung der Rhesus-Makaken präsentiert. Zu sehen war in dem Beitrag unter anderem ein Affe mit einer Wunde am Kopf, ein anderes Tier übergab sich.
Das MPI weist die Vorwürfe scharf zurück. „Die Aufnahmen wurden so inszeniert, dass sie einer Kampagne dienen konnten“, sagt Christina Beck, Sprecherin des Instituts. Der Vorwurf, die Tiere würden absichtlich gequält, sei absurd. Die Versuche könnten nur dann erfolgreich sein und verwertbare Ergebnisse bringen, wenn die Tiere sich wohl fühlten.
Immer wieder sehen sich Forscher massiven Vorwürfen ausgesetzt, wenn sie für ihre Versuche auf Experimente an Tieren angewiesen sind. Streit und Gerichtsprozesse gab es auch an der Universität Bremen. Der leitende Forscher Andreas Kreiter erlebte sogar Morddrohungen gegen seine Kinder. Auch an der Ruhr-Uni Bochum gab es Proteste gegen genehmigte Versuche mit Rhesus-Affen. Seit 2012 verzichtet die Uni auf diese Experimente.
Was erforschen die Wissenschaftler?
Es geht um grundlegende Forschungen, wie Lernen, Wahrnehmung und Denken im Gehirn ablaufen. Zwar können einige Fragen zur Funktion des Gehirns auch an Insekten oder Ratten untersucht werden, doch die Erforschung komplexer Vorgänge im Gehirn ist nur an Arten möglich, die sich ähnlich wie der Mensch verhalten, den Primaten, erläutern die Wissenschaftler. „Affen stehen dem Menschen näher als Fliegen, Mäuse oder Ratten. Im Laufe der Evolution haben sich in den Gehirnen von Primaten ähnliche Strukturen und Funktionsprinzipien herausgebildet.“ Auf Versuche mit Menschenaffen wie Schimpansen wird seit 1991 gänzlich verzichtet.
Warum sind diese Erkenntnisse wichtig?
Ohne Tierversuche gäbe es eine große Zahl gängiger Medikamente, Impfungen oder Bluttransfusionen nicht. Auch lebensrettende Organverpflanzungen wurden zunächst an Hunden und Schweinen erprobt. Um Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson behandeln zu können, müssen die Forscher zuvor die Funktionsweise des Gehirns verstehen.
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Solche Erkenntnisse werden in einer alternden Gesellschaft immer wichtiger. „Nur eine systematische Erforschung des Gehirns kann uns jene Antworten geben, die den Weg zu erfolgreichen Therapien aufzeigen“, verteidigt der Tübinger Uni-Rektor Bernd Engler die Experimente am MPI. Es sei notwendig, Prozesse wie Denken und Erinnern zu verstehen, um mit diesem Wissen Menschen zu helfen, bei denen diese Hirnfunktionen aufgrund von Krankheiten, Unfällen oder Erbfehlern gestört sind.
Was geschieht mit den Affen?
Unter Vollnarkose werden den Makaken Elektroden ins Gehirn eingepflanzt, um Hirnströme ableiten zu können. Am Schädel wird ihnen eine „Ableitkammer“ aus Titan angebracht, die als Zugang zur Sehrinde dient. Das Tier merkt von den Elektroden im Kopf nichts, da das Gehirn keinen Schmerz empfinden kann, betonen die Forscher. Danach werden die Tiere in einem Spezialstuhl für Aufmerksamkeits-Experimente fixiert. Nach dem deutschen Tierschutzgesetz dürfen Affen nur dann für derartige Versuche eingesetzt werden, wenn sie freiwillig mitmachen. Der Affe muss sich also selbst in den Stuhl setzen und einspannen lassen – was die Tiere meist auch tun.
Wie geht es weiter?
Zunächst müssen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgewartet werden. Möglich, dass die Forscher zusätzliche Auflagen erfüllen müssen. Doch ist kaum zu erwarten, dass sie ihre Forschungen komplett einstellen müssen. Nikos Logothetis, international angesehener Leiter des Tübinger MPI, aber sieht nicht nur seine eigene Arbeit durch „extreme Tierschützer“ bedroht. Sollten diese Erfolg haben, „könnte das die Grundlagenforschung weltweit gefährden“. Tierversuche seien im Interesse der Gesellschaft unverzichtbar, so Logothetis. „Wenn der letztendliche Gewinn für kranke Menschen nicht als das höhere Gut anzusehen ist, dann sollten wir tatsächlich aufhören, Wissenschaft und Forschung zu betreiben“, schließt er. Ob seine Argumente die Wut der Tierschützer besänftigen können, erscheint allerdings fraglich.