Essen. Vom Bundestag zur Chefin der Bundesagentur für Arbeit: Andrea Nahles will mehr Weiterbildungen schaffen und Fachkräfte aus dem Ausland holen.
„Arbeit“ und „Wandel“ kennt Andrea Nahles aus ihrer eigenen Vergangenheit. Die ehemalige Politikerin hat beruflich schon einiges hinter sich: Sie war nicht nur Parteivorsitzende und Generalsekretärin bei der SPD, sondern auch Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Nun ist sie die neue Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA) – und der Wandel der Arbeit ihr Vollzeitjob. Wie sie den angehen will, sagte sie bei ihrem ersten Antritt als BA-Chefin am Mittwoch in Düsseldorf.
Ihr Start ist schweißtreibend. Im Pressegespräch sitzt sie in weißer Hose, weißem T-Shirt und weißen Lederschuhen. Den weiß-blau gestreiften Blazer hängt sie mittendrin hinter sich über den Stuhl. Die Luft in der NRW-Regionaldirektion steht. „Mir ist so warm“, erklärt sie und lacht entschuldigend. Mit der Handfläche berührt sie ihre Stirn und wischt sich zum vierten Mal die kleinen Schweißperlen weg.
Seit zwei Wochen ist sie im neuen Amt, viel Einarbeitungszeit hatte sie nicht. Schon jetzt hat sie für die Behörde große Pläne. Sie will enger mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammenarbeiten, Weiterbildung, Frauenbeschäftigung und Zuwanderung in Arbeit vorantreiben.
Arbeitsmarkt im Wandel: Weiterbildung von Beschäftigten entscheidend für die Zukunft
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Dass sich der Arbeitsmarkt stetig verändert, ist nicht neu. Doch der Wandel habe sich in den vergangenen Jahren beschleunigt, sagt Nahles – nicht nur durch Krisen wie die Corona-Pandemie, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine oder die Energiekrise. Auch der digitale und ökologische Umbau der Wirtschaft wirkt sich immer stärker aus. Arbeitsweisen verändern sich, einige Jobs fallen weg und viele Berufe entstehen gänzlich neu. Das ist nicht nur eine große Herausforderung für die Wirtschaft. Auch für die Bundesagentur für Arbeit.
Um den Wirtschaftsstandort und den Arbeitsmarkt zu sichern, will Nahles die Behörde zur „Partnerin der Transformation im Arbeitsmarkt machen“. So sollen Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräte und Verbände enger mit der Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten. „In den einzelnen Regionen sind wir schon gut vernetzt. Aber wir sind noch nicht am Ziel.“
Sie setzt vor allem auf die Weiterbildung von Arbeitskräften. „Am besten noch, bevor sie arbeitslos werden.“ Dadurch, dass sich Berufe verändern, werde Qualifizierung immer wichtiger. Es gebe viele Möglichkeiten, mit denen Betriebe durch Qualifizierungsberatung, Zuschüssen zu Lehrgangskosten und zum Arbeitsentgelt unterstützt werden. Dass die BA auch dabei hilft, sei viel zu wenig bekannt. „Woran denken Sie bei der Bundesagentur für Arbeit? Wahrscheinlich an Arbeitslose.“
„Ohne Arbeitskräfte keine Transformation. Wir brauchen Frauen und Zuwanderung.“
Anschließend diskutiert Nahles mit NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), NRW-DGB-Chefin Anja Weber und NRW-Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff über den wachsenden Fachkräftemangel. „Wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern einen Arbeitskräftemangel“, betont Laumann. Beinahe ein Viertel der Beschäftigten in NRW gehen in den nächsten zehn Jahren in Rente – und damit 1,6 Millionen Menschen dem Arbeitsmarkt verloren. Darunter mehr als 900.000 Fachkräfte und etwa 440.000 höher qualifizierte Arbeitskräfte.
„Neben der Weiterqualifizierung brauchen wir Frauen und Zuwanderung. Sonst können wir die Lücke nicht schließen“, sagt Nahles. Sie fordert, dass es für ausländische Fachkräfte einfacher werden muss, nach Deutschland zu kommen. Viele müssten erst einen Sprachkurs im eigenen Land und auf eigene Kosten machen. „Wir konkurrieren mit den USA und Kanada um Fachkräfte. Die englische Sprache ist nicht so schwer. Deshalb müssen wir die Hürde senken.“
Außerdem müsse es leichter werden, ausländische Abschlüsse in Deutschland anerkennen zu lassen oder die Familie aus der Heimat nach Deutschland zu holen. Die BA-Chefin hofft, dass sich die Lage verbessert, wenn die Bundesregierung im Herbst das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformieren will. „Ohne Arbeitskräfte keine Transformation.“
Bundesagentur für Arbeit muss moderner werden, fordert Andrea Nahles
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Nahles will auch die Bundesagentur für Arbeit moderner gestalten. „Die Bundesagentur für Arbeit als modernste Dienstleistungsbehörde – das ist mein Top-Ziel“, sagt die 52-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion. Ob sie das überfordert? Sie schüttelt den Kopf. „Nein, besser man hat etwas zu tun als nicht.“ Sie wirkt zuversichtlich.
Das Treffen war gleichzeitig der Auftakt für die Thementage der Agenturen für Arbeit und der Jobcenter in NRW. In den Kommunen und im Internet wird informiert und beraten, wie Arbeitskräfte qualifiziert werden können und wie man seine eigene berufliche Zukunft gestaltet. Es gibt auch zwei Internetseiten der BA, die bei der beruflichen Orientierung helfen. Bei Check-U kann man testen, welche Ausbildung oder welches Studium zu einem passt und New Plan hilft dabei, sich beruflich neu zu orientieren.