Essen. Nur wenige Krankenkassen können ihre Beiträge stabil halten, die meisten erhöhen um bis zu 0,7 Prozentpunkte. Die Beiträge aller Kassen in NRW.

Die meisten gesetzlich Krankenversicherten und ihre Arbeitgeber oder die Rentenversicherung müssen im neuen Jahr mehr zahlen. Die Zusatzbeiträge steigen durchschnittlich um 0,2 Prozentpunkte an, allerdings werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Kassen deutlich größer. Das ergab ein Vergleich unserer Zeitung der ab Januar geltenden Beitragssätze aller in NRW wählbarer Kassen, die vor Weihnachten von den Verwaltungsräten der Kassen festgelegt worden.

Mit die teuersten sind nach dem Jahreswechsel die beiden großen Ortskrankenkassen in NRW: Die AOK Nordwest erhöht ihren Zusatzbeitrag von 1,7 auf krumme 1,89 Prozent. Damit kommen ihre Mitglieder auf einen Gesamtbeitragssatz von 16,49 Prozent, einer der höchsten bundesweit. Er geht vom Bruttoverdienst bis zur Beitragsbemessungsgrenze ab, die 2023 um 150 auf 4987,50 Euro steigt. Den Kassenbeitrag zahlen in der Regel je zur Hälfte die Versicherten und ihre Arbeitgeber oder ihr Rentenversicherungsträger.

Die AOK Rheinland-Hamburg bleibt mit 16,4 Prozent nur knapp darunter, sie erhöht um 0,2 Punkte. Die bundesweit teuerste offene Kasse ist nach einem Riesensprung um 0,7 Punkte ab Januar die BKK exklusiv mit 16,59 Prozent. Die kleine Betriebskrankenkasse sitzt in Niedersachsen, ist aber bundesweit für alle gesetzlich Versicherten geöffnet.

TK und Barmer halten ihre Beiträge stabil

Zu den wenigen Krankenkassen, die ihre Beiträge stabil halten können, gehören die beiden größten: Die Techniker (TK) bleibt bei niedrigen 1,2 Prozent Zusatzbeitrag, was mit dem für alle Kassen geltenden allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent insgesamt 15,8 Prozent ergibt. Auch die in Wuppertal sitzende Barmer kommt ohne eine Erhöhung ihres Zusatzbeitrags aus, der mit 1,5 Prozent knapp unter dem Bundesdurchschnitt liegt.

Auch interessant

Hauptgrund für die Beitragserhöhungen ist das für 2023 erwartete 17-Milliarden-Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), das sich schon lange abgezeichnet hat. Die Ausgaben steigen, die Einnahmen dagegen leiden unter der aktuellen Energiekrise, die allen Prognosen zufolge im neuen Jahr in eine Rezession münden wird.

Minister Lauterbach im Zentrum der Kritik

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betont stets, das Defizit habe er noch von seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) geerbt. Das sehen die Kassen auch so, sind trotzdem auch mit Lauterbach unzufrieden. Denn sein „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ enthält vom Bund nur einen um zwei Milliarden Euro erhöhten Zuschuss und ein unverzinsliches Darlehen von einer Milliarde Euro. Ansonsten zapft er vor allem die Rücklagen der Kassen an und setzt auf die Beitragserhöhungen, um das Loch zu stopfen. Die Kassen hätten es gerne andersherum gehabt.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht im Zentrum der kritik der gesetzlichen Krankenkassen, si emachen ihn für die Beitragserhöhungen verantwortlich und fordern höhere Steuerzuschüsse.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht im Zentrum der kritik der gesetzlichen Krankenkassen, si emachen ihn für die Beitragserhöhungen verantwortlich und fordern höhere Steuerzuschüsse. © dpa | Bodo Schackow

„Der Bund muss wieder Ordnung in die Kassenfinanzen bringen und endlich seiner eigenen Finanzverantwortung für GKV-fremde Leistungen nachkommen. Staatliche Aufgaben dürfen nicht länger den Beitragszahlenden aufgebürdet werden, sie müssen kostendeckend und verlässlich aus Steuern finanziert werden“, fordert etwa Johannes Heß, Verwaltungsratsvorsitzender der AOK Nordwest. Lauterbachs Gesetz belaste „einseitig die Beitragszahlenden“.

AOK Rheinland/Hamburg fordert mehr Geld für Langzeitarbeitslose

Genau das moniert auch Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/Hamburg. Die Politik habe es in der Vergangenheit versäumt, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig auf stabile Füße zu stellen. Die Folgen belasteten die Beitragszahlenden nun in einer Zeit sprunghaft ansteigender Energiekosten und einer historisch hohen Inflation besonders. Wältermann fordert „eine nachhaltige Konsolidierung der Finanzlage und echte strukturelle Reformen wie kostendeckende Pauschalen für die Gesundheitsfinanzierung von Arbeitslosengeld-II-Beziehenden“.

podcast-image

Die Beitragslücken für die Grundsicherungsempfänger sind das meist genannte Beispiel für Leistungen, die der Bund übernehmen müsste. „Aktuell übernimmt er nur einen Bruchteil. Es fehlen pro Jahr zehn Milliarden Euro, die deshalb statt aus dem Staatshaushalt aus den Portemonnaies der Beitragszahler finanziert werden müssen“, sagte unlängst Doris Pfeiffer unserer Zeitung, Chefin des GKV-Spitzenverbandes. Der Bund müsse „die kompletten Krankenkassenkosten für die Bezieher von Hartz IV übernehmen, demnächst für die Bürgergeld-Empfänger“.

Mitgliederstruktur mitentscheidend für Höhe der Beiträge

Die großen Beitrags-Unterschiede zwischen den Kassen entstehen nicht allein durch geschicktes Management, sondern oft aus der Historie einer Kasse, die in ihrer Mitgliederstruktur nachwirkt. So haben die Allgemeinen Ortskrankenkassen überdurchschnittlich viele Arbeitslose unter ihren Versicherten. Manche Betriebskrankenkasse, die als Krankenversicherer für ein Unternehmen gegründet wurde und sich später geöffnet hat, kommt aus einer Branche, in der die Beschäftigten seltener krank werden, bei anderen Betriebskrankenkassen ist es genau umgekehrt.