Lippstadt. Der Autozulieferer Hella hat die Bücher voll und rechnet mit Milliarden-Umsatzzuwächsen. Zunehmend wird aber im Ausland produziert und entwickelt.

Im Frühjahr 2020 legte die Corona-Pandemie die Autoindustrie weltweit lahm. Zu strapazierten Lieferketten gesellte sich das hartnäckige Virus. Produktionen wurden zurückgefahren oder standen sogar still. Wie groß die Ungewissheit in der Branche war, spiegelte sich auch beim Lippstädter Autozulieferer Hella knallhart am Aktienkurs wider: Gut 22 Euro im März 2020 werden so manchen Anteilseigner deprimiert haben. Entgegen allen Rezessionsgesängen, dürften Hella-Aktionäre derzeit fröhlich vor sich hinflöten, dass sie am Papier festgehalten haben.

Allzeithoch an der Börse

Das haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren bekanntlich nicht alle getan. Im Sommer vergangenen Jahres verkauften die Eigentümerfamilien 60 Prozent der Anteile aus ihrem Familien-Aktienpool an den französischen Autozulieferer und heutigen Partner Faurecia. Ziel der Franzosen war es, möglichst 95 Prozent der Hella-Anteile zu erwerben, die restlichen Aktionäre mittels „Squeeze-Out“ für ihre Anteile abzufinden und das im M-Dax notierte Unternehmen Hella dann von der Börse zu nehmen. Der Plan misslang. Ende September tummelten sich – nach Coronapause – erstmals nach zwei Jahren wieder zahlreiche Kleinaktionäre im Lichtwerk II in Lippstadt. Faurecia gelang es bis heute lediglich 81,6 Prozent der Aktien auf sich zu versammeln.

Michel Favre, neuer Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) von Hella, rechnet 2025 mit 9,4 Milliarden Euro Umsatz – eine Milliarde mehr als noch zu Beginn dieses Jahres.
Michel Favre, neuer Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) von Hella, rechnet 2025 mit 9,4 Milliarden Euro Umsatz – eine Milliarde mehr als noch zu Beginn dieses Jahres. © dpa | David Young

Dem Faurecia-Angebot von 60 Euro pro Aktie widerstanden viele. Vertrauen zahlt sich aus, nicht nur kürzlich am Buffet bei der Hauptversammlung. Glänzende Augen dürften die Hella-Stammaktionäre vergangene Woche bekommen haben, als das Papier das Allzeithoch von 80,95 Euro (2. November) erreichte. Ist denn schon Weihnachten? Eine Überraschung?

Hella prognostiziert bis zum Jahr 2025 ein jährliches Umsatzwachstum von mehr als zehn Prozent von 6,3 Milliarden Euro auf dann 9,4 Milliarden Euro. „Signifikante Outperformance des Marktes“ heißt das im Börsensprech. Bedeutet: Das Unternehmen werde sich deutlich besser als Mitbewerber entwickeln und auch über dem Schnitt in der Autobranche insgesamt liegen. Das hat bei Hella tatsächlich beinahe schon Tradition. Allerdings formulierte der im Sommer ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende Dr. Rolf Breidenbach stets etwas zurückhaltender, um dann zufrieden nach Ablauf eines Geschäftsjahres Bilanz ziehen zu können. Sein Nachfolger, Michel Favre, ist forscher: „Rund 80 Prozent unseres für 2025 erwarteten Umsatzes in Lightning und Electronics basieren auf bereits gebuchtem Geschäft“, versichert der Franzose, dass der „Power 25 Plan“ des Mutterkonzerns Forvia funktionieren werde.

Ein Mehr an Umsatz allein, auch getrieben durch inflationäre Entwicklungen, wird keinen Aktionär zufriedenstellen. „Wir werden unsere Effizienz in Forschung und Entwicklung sowie Produktion weiter verbessern, unter anderem durch höhere Standardisierung, Modularisierung und Automatisierung“, sagt Hella-Finanzchef Bernard Schäferbarthold. Auf das Ergebnis unter dem Strich, die Profitabilität, kommt es an.

Hier verspricht Hella, wieder über acht Prozent operative Marge zu kommen. Erreicht werden soll dies durch Umsatz-Synergieeffekte in Höhe von 300 bis 400 Millionen Euro nach dem Zusammenschluss mit Faurecia unter dem Dach der neuen Marke Forvia. 250 Millionen jährlich sollen durch konsequentes Sparen jeweils zur Hälfte von Hella und Faurecia zusätzlich erbracht werden.

Was dies für den Standort Deutschland bedeutet, wo gerade am Elektronikwerk in Hamm die Beschäftigten im Metall- und Elektro-Tarifstreit für deutlich höhere Löhne und Gehälter (Forderung: 8 Prozent plus) vor die Werkstore gingen, lässt der Mutterkonzern Forvia offen. Viele der jüngsten Investitionen meldete Hella für ausländische Produktionsstandorte, etwa Rumänien. 300 neue Arbeitsplätze sind dort angekündigt, und zwar im Bereich Forschung und Entwicklung für Elektronikbauteile. Rund 4500 Beschäftigte zählt Hella inzwischen in Rumänien – das sind bereits mehr als am Stammsitz in Lippstadt.

Von einem deutschen Premiumhersteller hat Hella dieser Tage den Auftrag für Hochvolt-Spannungswandler für E-Autos erhalten. Entwickelt wird das Bauteil in Lippstadt, gefertigt in Recklinghausen. Volumen: immerhin ein niedriger bis mittlerer dreistelliger Millionenbetrag. Start der Serienproduktion soll 2025 sein.

Milliardenauftrag für Slowenien

Ein Großauftrag für Entwicklung und Bau neuerartiger Heckleuchten-Technologie für einen internationalen Autobauer wird zum Teil am Stammsitz in Lippstadt entwickelt, aber auch in Tschechien. Bereits Mitte 2024 soll die Flat-Light-Heckleuchte in Serie gehen – produziert im Werk in der Slowakei.

Anfang Oktober gab Hella bekannt, einen Milliardenauftrag für Frontbeleuchtung erhalten zu haben. Acht Elektro-Modellen deutscher Premiumhersteller soll mit diesen multifunktionalen Modulen, die weit mehr können als die Straße auszuleuchten, ein unverwechselbares Gesicht gegeben werden. Sie sollen auch ein Baustein auf dem Weg zu autonomem Fahren sein. Entwicklung und Produktion finden am Hella-Kompetenzzentrum für Karosseriebeleuchtung statt – im slowenischen Ljublijana. Für den chinesischen Markt werde in einem der Lichtwerke in China gefertigt.

Die Tendenz scheint gegen den Standort Deutschland zu sprechen. Die rund 8000 Stammbeschäftigten hierzulande dürften dieser Tage weit weniger fröhlich pfeifend unterwegs sein als die neben Faurecia verbliebenen Stamm-Aktionäre.