Hagen. Der Wirtschaftsverband Stahl und Metall (WSM) fürchtet, dass im Raum Hagen und Märkischer Kreis Betriebe „ein zweites Mal Flutopfer werden“.

Noch steht nicht fest, wie die Gaspreisbremse im Detail funktionieren soll. Wenn es ausnahmslos so läuft, wie von der Expertenkommission vorgeschlagen, bleibt der Rettungsschirm gegen die Energiepreiskrise für viele Betriebe aus der Region Hagen und des Märkischen Kreises weitgehend wirkungslos. Ihr freier Fall in die roten Zahlen ginge nahezu ungebremst weiter.

Es sind Unternehmen, die immer noch mit den Folgen der Flutkatastrophe vom Juli vergangenen Jahres kämpfen, Betriebe, die es im Sommer 2021 am härtesten getroffen hat und die wochen-, mitunter monatelang wegen der Überflutungen nicht produzieren konnten – also auch kaum Energie verbrauchten. Wird der Verbrauch aus dem Jahr 2021 zum Maßstab erhoben, würden diese Betriebe nach Ansicht des Wirtschaftsverbands Stahl und Metallverarbeitung (WSM) ein zweites Mal Flutopfer. „Der niedrige Gasbedarf 2021 wäre ein Bremsklotz für die ersehnte Bremse“, erklärt WSM-Hauptgeschäftsführer Christian Vietmeyer, dessen Dachverband rund 5000 überwiegend familiengeführte Betriebe mit insgesamt rund 500.000 Beschäftigten vertritt.

2000 Betriebe betroffen

Für überflutete Unternehmen wäre die bisher angedachte Formel verheerend. Der WSM schlägt stattdessen vor, den doppelten Verbrauch der ersten Jahreshälfte 2021 zugrunde zu legen. Oder ein anderes „normales“ Jahr als Bezugsjahr zu wählen. „Das würde dem tatsächlichen Gasbedarf entsprechen. Wir müssen verhindern, dass ausgerechnet die Katastrophenopfer beim Preisdeckel draufzahlen. Viele würden diese zusätzliche Härte nicht überstehen“, fürchtet Vietmeyer.

Paul Ziemiak, CDU-Abgeordneter für den Märkischen Kreis, sieht die Dringlichkeit einer Sonderregelung: „Die Umsetzung der Gas- wie der Strompreisbremse muss jetzt nicht nur umgehend passieren, sie muss auch Sonderfälle berücksichtigen. Dafür setzte ich mich als Abgeordneter ein. Für die von der Flutkatastrophe im Juli vergangenen Jahres betroffenen Betriebe, die zum Teil monatelang nicht produzieren konnten, kann nicht der Jahresverbrauch 2021 als Berechnungsgrundlage dienen. Das wäre eine große Ungerechtigkeit!“
Paul Ziemiak, CDU-Abgeordneter für den Märkischen Kreis, sieht die Dringlichkeit einer Sonderregelung: „Die Umsetzung der Gas- wie der Strompreisbremse muss jetzt nicht nur umgehend passieren, sie muss auch Sonderfälle berücksichtigen. Dafür setzte ich mich als Abgeordneter ein. Für die von der Flutkatastrophe im Juli vergangenen Jahres betroffenen Betriebe, die zum Teil monatelang nicht produzieren konnten, kann nicht der Jahresverbrauch 2021 als Berechnungsgrundlage dienen. Das wäre eine große Ungerechtigkeit!“ © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Der Verband hat sich an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gewandt und die heimischen Bundestagsabgeordneten alarmiert. Paul Ziemiak, CDU-Abgeordneter für den Märkischen Kreis, hat prompt reagiert und sieht die Dringlichkeit: „Die Umsetzung der Gas- wie der Strompreisbremse muss jetzt nicht nur umgehend passieren, sie muss auch Sonderfälle berücksichtigen. Dafür setzte ich mich als Abgeordneter ein. Für die von der Flutkatastrophe im Juli vergangenen Jahres betroffenen Betriebe, die zum Teil monatelang nicht produzieren konnten, kann nicht der Jahresverbrauch 2021 als Berechnungsgrundlage dienen. Das wäre eine große Ungerechtigkeit!“, erklärt Ziemiak auf Anfrage dieser Zeitung.

Bereits vor knapp zwei Wochen hat er Habeck per Brief über die Problematik informiert. Eine Reaktion steht noch aus. Tatsächlich rauchen im Bundesministerium offenbar gerade die Köpfe. Geplant ist, dass am Mittwoch zunächst der Entwurf für die kurzfristige Entlastung im Dezember ins Kabinett eingebracht wird. Wie die eigentliche Gaspreisbremse aussehen wird, ist derweil noch offen. Auch wenn es nun eigentlich schnell gehen sollte, ist dies für alle Unternehmen eine gute Nachricht, für die der Verbrauch von 2021 ein besonderer Nachteil wäre. Das gilt nicht nur für die Industrie. Nach Angaben des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) NRW betrifft das Problem beispielsweise auch Gastronomen und Hoteliers, die wegen der Corona-Pandemie 2021 nur eingeschränkt geöffnet hatten.

„Die Bundesregierung muss hier umgehend eine unbürokratische und angemessene Sonderregelung präsentieren, um die Existenzen des Mittelstands in unserer Region nicht durch Unbedachtheit immer weiter zu gefährden“, betont der CDU-Abgeordnete Paul Ziemiak mit Blick über die Regionsgrenzen hinaus.

Die Südwestfälische Industrie- und Handelskammer (SIHK) schätzte die Zahl der von der Flut betroffenen Unternehmen im vergangenen Jahr auf rund 2000. Nicht alle waren gleich stark von Überflutungen und Produktionsausfällen gebeutelt. Andererseits gibt es eine Reihe von Betrieben, die nach wie vor noch nicht wieder auf Vorflutniveau arbeiten können. „Es muss eine Härtefallregelung geben“, plädiert auch Fabian Schleithoff, SIHK-Geschäftsbereichsleiter Unternehmen, für Nachbesserungen am Vorschlag der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission. Dass besondere Regelungen für besondere Umstände durchaus möglich sind, beweist der Vorschlag der Kommission vom vergangenen Wochenende. Nur Unternehmen, die Standort- und Beschäftigungssicherung garantieren, sollen auch mit der Gaspreisbremse entlastet werden. Ein Hinweis auf die extrem angespannte wirtschaftliche Lage in Deutschland, nicht zuletzt aufgrund der auch im europäischen Vergleich sehr hohen Energiepreise und damit Kosten am Standort Deutschland. Laut jüngsten Umfragen der drei Industrie- und Handelskammern in Siegen, Arnsberg und Hagen erwägen alarmierend viele Unternehmen ihre Produktion ins Ausland zu verlagern.

Standort Deutschland gefährdet

Dabei ist der Mittelstand traditionell nicht nur standorttreu, sondern hat schon oft Widerstandsfähigkeit in großen Krisen bewiesen. Offenbar ist die Energiepreiskrise aktuell für viele zur Existenzkrise geworden. WSM-Geschäftsführer Vietmeyer hat ein gewisses Verständnis dafür, dass man nicht an das Hochwasser vom vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gedacht hat. Kenntnis von der besonderen Problematik hat man in Berlin nun spätestens seit den Hinweisen des WSM und des Abgeordneten Ziemiak. Dass der Blick aus 500 Kilometer Entfernung auf Südwestfalen ein ganz anderer ist als vor Ort, belegt nicht nur das A 45-Dilemma mit der Brücke, sondern auch das Gasbremsenthema. „Paul Ziemiak hat das Problem sofort begriffen“, lobt der Verbandschef den Abgeordneten. Andere Abgeordneten reagierten nicht.

Kabinettentwurf

Im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) wird fieberhaft an den Kriterien für die Gaspreisbremse gearbeitet.

Im ersten Schritt wird am Mittwoch dem Kabinett ein Entwurf für die Dezemberentlastung vorgelegt. „Dazu sind wir in der finalen Ressortabstimmung“, hieß es auf Anfrage dieser Zeitung. Parallel laufen laut BMWK Gespräche auf EU-Ebene. Die konkrete Umsetzung der Gas- und Strompreisbremse sei derzeit in Arbeit.