Essen. Essener IT-Unternehmen Bitmarck hat die Elektronische Patientenakte entwickelt. Warum Chef Strausfeld deren verpflichtende Einführung fordert.
Die Corona-Pandemie hat schonungslos offengelegt, wie groß die Lücken bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens sind. Ein großes Unternehmen, das für Krankenkassen etwa die elektronische Patientenakte und die Gesundheitskarte mit Chip entwickelt, sitzt mitten in Essen: Bitmarck. Geschäftsführer Andreas Strausfeld übt offen Kritik an der Politik und an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
Die elektronische Patientenakte (ePA) sollte der Durchbruch werden. Alle Befunde und Daten auf einer Plattform vermeiden Doppeluntersuchungen und erleichtern Ärztinnen und Ärzten die Diagnosestellung, so die Hoffnung. Seit dem 1. Januar 2021 ist die ePA auf dem Markt, doch kaum jemand hat sie heruntergeladen. „Bundesweit nutzen aktuell nur 516.000 Versicherte die elektronische Patientenakte. Bei der Gesamtzahl von 73 Millionen Versicherten ist das viel zu wenig“, sagt Bitmarck-Chef Strausfeld.
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Sein Unternehmen erbringt Dienstleistungen für mehr als 80 Krankenkassen mit bundesweit rund 25 Millionen Versicherten. „Damit sind wird für jeden dritten gesetzlich Versicherten in Deutschland tätig“, erklärt der Geschäftsführer. Ein zentrales Projekt ist die ePA. „Bitmarck hat bereits die zweite Ausbaustufe der elektronischen Patientenakte auf den Markt gebracht. Über 80 Kassen bieten sie an“, berichtet Strausfeld.
Ärzte befüllen Patientenakte freiwillig
Und dennoch ist die Resonanz gering. Der Bitmarck-Chef ist davon überzeugt, dass es für die Zurückhaltung vor allem eine Ursache gebe. „Alle Versicherten entscheiden für sich, ob sie eine elektronische Patientenakte haben wollen. Und auch den Ärztinnen und Ärzten ist es heute freigestellt, ob sie die ePA mit Daten füllen. Das ist aus meiner Sicht der falsche Weg“, sagt Strausfeld.
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„Eine Verpflichtung zur ePA-Einrichtung und -Befüllung, die also Versicherte und Leistungserbringer wie Ärzte gleichermaßen in die Pflicht nimmt, wäre besser.“ Der Geschäftsführer verweist auf das Beispiel Frankreich. Dort habe man „diesen Lerneffekt bereits hinter sich“. Strausfeld sieht aber Bewegung in der Politik. „Es ist ermutigend, dass sich die Ampel-Koalition in Berlin die verpflichtende Einführung auf die Fahnen geschrieben hat“, sagt er.
„Lauterbach behandelt Digitalisierung stiefmütterlich“
Ob Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Zahnersatz-Genehmigung bequem auf elektronischem Weg oder Datenübertragung ohne Fax – auf anderen Feldern der Digitalisierung übt Strausfeld indes harte Kritik an der Bundesregierung. „Gesundheitsminister Karl Lauterbach behandelt die Digitalisierung des Gesundheitswesens bislang zu stiefmütterlich. Unter seinem Vorgänger Jens Spahn wurden hingegen zahlreiche Gesetzesvorhaben angeschoben. Da ist aktuell noch viel Luft nach oben“, meint der Bitmarck-Chef und nennt ein Beispiel. „Für das gerade in der Erprobung befindliche elektronische Rezept fehlt die Schnittstelle zur elektronischen Patientenakte. Das ist nicht im Sinne der Versicherten, im Gegenteil: Da arbeitet man aneinander vorbei.“
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Und überhaupt ist der IT-Spezialist der Überzeugung: „In Deutschland stellen wir den Datenschutz über den Gesundheitsschutz. Das ist falsch. Datenschutz muss sich am Gesundheitsschutz orientieren.“ Je mehr Daten eine Ärztin oder ein Arzt zur Verfügung habe, desto besser könne die Therapie der Patienten ausfallen. Da spricht der gelernte Sozialversicherungsfachangestellte und Wirtschaftsinformatiker freilich auch für sein Unternehmen, das 2008 durch den Zusammenschluss einer Vielzahl von Rechenzentren und Software-Schmieden unterschiedlicher Krankenkassen entstanden ist.
Sitz von Bitmarck ist Essen
„Der IT-Markt in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist im Prinzip vollständig aufgeteilt“, sagt Strausfeld. „Neben der Kernsoftware der Bitmarck-Gemeinschaft gibt es eine Wettbewerbslösung, die von den AOKen und der Barmer eingesetzt wird. Die Techniker-Krankenkasse setzt hingegen auf eine Eigenentwicklung.“ Bitmarck deckt dabei rund ein Drittel des deutschen Marktes ab.
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In Essen sitzen die Holding, eine strategische Einheit und zwei Produkthäuser, die sich unter anderem mit Software- und App-Entwicklung beschäftigen. 750 der insgesamt 1800 Mitarbeitenden gehören zum Essener Team. Als Bitmarck vor einigen Jahren die drei Standorte in der Stadt vereinen wollte und nach einem neuen Domizil Ausschau hielt, habe es keine Zweifel gegeben, am Stammsitz zu bleiben. „Wir haben unsere Wurzeln in Essen. Mit unserem Neubau sind wir bewusst nicht nach Berlin gegangen, wie es große Teile der Gesundheitswirtschaft tun. Wir setzen auf das Ruhrgebiet“, betont Strausfeld.
40 offene Stellen
40 offene Stellen meldet das Unternehmen für den Standort Essen. „Wir wollen hier weiter wachsen“, kündigt der Bitmarck-Chef an. Der branchenübergreifende Arbeitskräftemangel bereitet ihm nach eigener Aussage allerdings kein Kopfzerbrechen. „Wir haben keine großen Schwierigkeiten, IT-Fachkräfte zu finden. Es dauert aber manchmal etwas länger, bis wir vakante Stellen besetzen können – insbesondere im Bereich Telematik gibt es nur wenige Spezialisten“, so Strausfeld. Deshalb setze Bitmarck auch auf die eigene Ausbildung.
>>> Über 80 Krankenkassen tragen Bitmarck
Der Name Bitmarck ist ein Kunstbegriff und setzt sich aus den Silben „Bit“ als Maßeinheit aus der Informatik und „marck“ aus Bismarck zusammen. Der Reichskanzler Otto von Bismarck gilt als der Erfinder der Krankenversicherung.
Gesellschafter der Bitmarck sind mehr als 80 gesetzliche Krankenkassen, darunter alle Betriebs- und Innungskrankenkassen, die DAK-Gesundheit, die Handelskrankenkasse, die HEK, die KKH, die Knappschaft und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau.