Essen. Schaustellerpräsident Ritter warnt im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ davor, in der Gaskrise zuerst Kirmessen zu schließen. Preise steigen.

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie drehen sich die Riesenräder wieder, gibt es wieder Zuckerwatte und Feuerwerk auf den Rummelplätzen. Doch der Neustart der Kirmessen und Volksfeste wird gleich durch neue Krisen beeinträchtigt: Ukraine-Krieg, Gasmangel und stark steigende Preise für Energie und Lebensmittel. Ob das Pils oder die Fahrt auf der Achterbahn nun teurer werden und wie sich Branche dem Arbeitskräftemangel stellt, erklärt der aus Essen stammende Schausteller-Präsident Albert Ritter im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.

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Albert Ritter ist Schausteller in sechster Generation. Seinen fahrenden Gastronomie-Betrieb hat er inzwischen seinen Söhnen, also der siebten Generation, übertragen. Als der Verbandspräsident unlängst wieder selbst mit anpackte und auf dem Bock der Zugmaschine zur Tankstelle fuhr, traute er seinen Augen nicht. „Da war ich mal eben 1400 Euro los. Vorher war das ein Drittel günstiger“, staunt Ritter.

Albert Ritter: „Speiseöl ist zum Luxusgut geworden“

Der Sprit ist aber nicht der einzige Posten, der wie andere Unternehmer auch die Schausteller ins Mark trifft. „Speiseöl ist zum Luxusgut geworden“, meint er im Hinblick auf die vielen Imbissbuden-Betreiber auf den Kirmessen. Und dann ist da vor allem die Entwicklung beim Strom, die Ritter maßlos ärgert. Bereits im Januar habe der Energieriese Eon die Festpreis-Verträge für die Kirmesplätze gekündigt.

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„Am Anfang der Kirmes weiß ich jetzt nicht, was ich am Ende für Strom bezahlen muss“, klagt der Schausteller. Für Schausteller gelte der Tagespreis an den Strombörsen. Ungerecht findet er zudem, dass er auf seinem Grundstück in Essen-Altenessen als „normaler Gewerbetreibender“ geführt werde. „Baue ich auf dem Weihnachtsmarkt auf, zahle ich 30 Cent mehr für die Kilowattstunde Strom“, wundert sich der Unternehmer.

„Wir haben keine Mondpreise“

Ritter redet nicht lange um den heißen Brei herum, wenn es um die Konsequenzen geht. „Da müssen wir den Preis für das Bierchen um zehn oder 20 Prozent erhöhen“, kündigt er an, betont aber gleichzeitig, dass das Abwälzen der galoppierenden Inflation auf die Kundschaft Grenzen habe. „Ich muss meine Kneipe jede Woche einpacken und auf zwei Lkw verladen. Das verursacht höhere Kosten. Wir haben aber keine Mondpreise, wir sind ganz dicht am Publikum dran“, versichert Ritter. Gerade im nördlichen Ruhrgebiet, wo die Kaufkraft niedrig sei, kalkuliere seine Branche „sehr vorsichtig. Wir wollen volkstümliche Preise haben. Kirmes ist die Philharmonie des kleinen Mannes.“ Da nähmen die Schausteller auch in Kauf, dass der Teddybär aus Asien als Trophäe an der Losbude wegen der Lieferschwierigkeiten teurer geworden sei.

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Dabei haben die Schausteller bereits während der Corona-Pandemie enorm gelitten. Die Cranger Kirmes in Herne etwa, die am 4. August startet, musste zwei Sommer in Folge ausfallen. „Wir sprechen hier von hohen Investment-Summen. Da muss ein Achterbahnbesitzer im Winter zum Glühwein-Verkäufer werden“, erzählt Ritter. Doch auch die Weihnachts- und Wintermärkte wurden entweder komplett abgesagt oder konnten nur unter strengen Hygiene-Auflagen stattfinden.

„Wir sind der Kitt der Gesellschaft“

Ritter selbst hat aus der Not eine Tugend gemacht und im Internet Glühwein samt Sammeltassen verkauft. Kollegen stellten sich mit ihren Imbisswagen vor Baumärkte; ihre Beschäftigten arbeiteten zum Teil vorübergehend bei der Müllabfuhr oder in Supermärkten. „Für die Schausteller-Seele war das ein Kulturschock. Wenn im Frühjahr die Sonne kommt, will man raus“, meint der Verbandspräsident.

Bei aller Kreativität, die Corona-Zwangspause zu überbrücken, seien die Schausteller zum Teil auch auf Staatshilfe angewiesen gewesen. „Man sitzt zuhause und grübelt und bekommt vom Bundesgesundheitsminister gesagt, dass man nicht systemrelevant ist“, ist Ritter noch heute wütend. „Wir sind systemrelevant. Wir sind der Kitt der Gesellschaft, bei uns treffen sich alle“, hält der Präsident dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn entgegen. Lange habe er kämpfen müssen, dass auch Schausteller Corona-Hilfen beantragen konnten.

Händeringend Arbeitskräfte für Kirmessen gesucht

Angesichts der drohenden Gasknappheit im Herbst und Winter hofft Ritter nun auf mehr Einsicht der Politik. „Es kann nicht sein, dass als erstes Schausteller und Zirkusse betroffen sein werden“, reagiert er auf Notfall-Szenarien, die ganze Branchen, allen voran die Freizeitwirtschaft, von der Gasversorgung abgekappt sehen. Mehr Unterstützung aus Berlin und Düsseldorf erhofft er sich auch im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel. „Wir haben die Westbalkan-Lösung. Aber die Botschaften brauchen ein Jahr, um Arbeitsvisa zu erstellen“, kritisiert Ritter. Schausteller suchten aber händeringend Personal. Ritter: „Ich brauche bei mir zum Fässerrollen keinen Professor, sondern einen Mitarbeiter, der bereit ist mitzuhelfen.“