Hagen. Am Freitag steht die dritte Verhandlungsrunde für die nordwestdeutsche Eisen- und Stahlindustrie an. Gefordert sind 8,2 Prozent Entgeltplus.
Der Stahlindustrie steht bei den Tarifverhandlungen eine zähe dritte Runde am Freitag bevor. Die Industriegewerkschaft Metall hatte Ende April eine Forderung von 8,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt ausgerufen. Die Arbeitgeber bieten dagegen eine Einmalzahlung in Höhe von 2100 Euro. Kein Pappenstiel, sondern eine ordentliche Summe, die umgerechnet auf ein Jahr bei einem durchschnittlichen Facharbeiterlohn mehr als vier Prozent ausmachen würde.
16.000 vor den Werkstoren
Das Angebot ist aber eben keine tabellenwirksame Erhöhung. Und genau darauf besteht die Arbeitnehmerseite, die seit dem 1. Juni in verschiedenen Betrieben tagtäglich in den Warnstreik tritt, wie am Donnerstag vor den Toren der Deutschen Edelstahlwerke in Hagen, wo gut 200 Beschäftigte für drei Stunden die Arbeit niederlegten.
Rund 16.000 der insgesamt 68.000 Beschäftigten in der Nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie waren laut IG Metall in den vergangenen Tagen vor den Werkstoren, um ihrer Forderung den dringend nötigen Nachdruck zu verleihen.
Die Stimmung in den Belegschaften in Hagen ist sehr ernsthaft, zum Teil leicht gereizt: „2100 Euro sind viel Geld, aber eigentlich sind sie ein Schlag ins Gesicht“, sagt Nadja Kappenstein, Betriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Hohenlimburg. Sie kam mit einer Delegation zum DEW-Werk, um sich mit den Stahlarbeitern solidarisch zu zeigen. Schließlich stehen im September auch für die Hohenlimburger aus der Metall- und Elektrobranche Tarifverhandlungen an.
Das Stahlergebnis dürfte, auch wenn dies zu Beginn der Verhandlungen von Gewerkschaftsseite zunächst noch zurückgewiesen wurde, Signalwirkung für Deutschlands Schlüsselindustrie mit rund 25.000 Unternehmen und rund 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie haben.
Die IG Metall erwartet in der Sitzung ab Freitagnachmittag deutliche Bewegung von ihren Gegenübern, droht für den Fall eines erneuten Scheiterns bereits mit einem bundesweiten Ausstand und ruft das Jahr 1994 in Erinnerung. Damals lenkte die Arbeitgeberseite erst kurz vor knapp ein und verhinderte so einen „knallharten, echten Streik“, wie es Jens Mütze, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Hagen, vor den Toren von DEW mit Blick auf die kommenden Tage formulierte. Der deutschen Stahlindustrie könnte ein extrem heißer Sommer bevorstehen.
Arbeitgeber ahnen: „Der Freitag wird richtig schwierig“
„Der Freitag wird richtig schwierig werden“, macht sich Gerhard Erdmann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Arbeitgeberverbandes (AGV) Stahl, keine Illusionen. Die Stahl-Unternehmen haben im vergangenen Jahr gute Geschäfte gemacht und auch 2022 stiegen die Umsätze. Dies, so Erdmann, bestreite die Arbeitgeberseite natürlich nicht. Daraus resultiere auch das Angebot von 2100 Euro, das keine lächerliche Summe sei. „Die guten Ergebnisse sind hier eingepreist“, sagt Erdmann.
Daran, dass die Geschäfte so gut bleiben, gebe es in den Chefetagen der Stahlhersteller aber erhebliche Zweifel. „Wir sehen die Risiken, auch wenn wir es gerne anders hätten“, verweist Erdmann auf eine „Ballung von Problemen“ allein durch den Krieg in der Ukraine und gestörte Lieferketten mit China. Zudem seien die Stahlpreise am Spotmarkt gegenüber April, als die Gewerkschaft die 8,2 Prozent-Forderung ausgerufen hat, wieder deutlich gefallen – von rund 1400 Euro auf 950 Euro pro Tonne warmgewalzten Stahl. Die Metall- und Elektrobranche frage nicht mehr im großen Umfang nach. Ein Fingerzeig Richtung Herbst.
Bundesweiter Streik droht
Die Lasten der Teuerung tragen auch die Arbeitnehmer. „Wir wollen nicht, dass unsere Familien frieren“, sagt Harry Kanzler, Betriebsrat beim Kaltwalzunternehmen Bilstein Hohenlimburg. Die hohe Inflationsrate spielt nicht mehr nur in den Hinterköpfen eine Rolle. In dieser Woche hatte erst Christiane Benner, 2. Vorsitzende der IG Metall, und am Donnerstag auch der Vorsitzende Jörg Hofmann erinnert, dass das Stahlergebnis eine nachhaltige Entlastung bringen müsse – also eine prozentuale Erhöhung. Ausgeschlossen scheint es nicht, dass die Arbeitgeber sich dazu bewegen lassen, über Prozente nachzudenken. Gleichzeitig stellen sie sich auf eine Ausweitung der Warnstreiks ein – bis zur möglichen vierten Runde am 14. Juni. Es wird ein zähes Ringen geben wie lange nicht mehr in der Stahlbranche.