Hagen. Der Milchviehhalterverband wirft Konzernen vor, Ängste für ihre Interessen zu schüren. Lebensmittel würden teurer, seien bei uns aber nicht knapp.
Weiter steigende Lebensmittelpreise sind zu erwarten, eine Versorgungsknappheit mit Grundnahrungsmitteln dagegen nicht, ist der Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter (BDM) ziemlich sicher. Der Krieg in der Ukraine, die als Kornkammer Europas gilt, werde gerade vielmehr von der Lobby der großen Agrarkonzerne genutzt. Sie schüre Verunsicherung und suggeriere eine Abhängigkeit unser Lebensmittelversorgung von Staaten wie Russland, kritisiert der BDM-Vorsitzende Stefan Mann. Er nennt das Vorgehen der Konzerne „unredlich“.
Dahinter stecke der Versuch, den gerade von der Europäischen Union eingeschlagenen Weg umzukehren, Wettbewerbsdruck und intensivste Landwirtschaft etwas zu reduzieren. „Unter dem Deckmantel des Krieges versucht die Lebensmittel-Verarbeitungsindustrie ihre Interessen durchzusetzen“, erklärt BDM-Sprecher Hans Foldenauer gegenüber dieser Zeitung.
Weizenpreis an Börse auf Rekordhoch
Tatsächlich sind die Nudeln im Regal mitunter schon einmal vergriffen, jedenfalls in den vergangenen Tagen häufig teurer geworden. Auch die Preise für Backwaren wie Brot und Brötchen müssen perspektivisch steigen, sagt Michael Bartilla, Geschäftsführer des Bäckerei-Innungsverbands Westfalen-Lippe. Schon vor Kriegsausbruch habe die Inflation extrem zu Buche geschlagen. „Wir erleben gerade, dass alles teurer wird. Es wird aber kurzfristig keinen explosionsartigen Anstieg der Preise im Bäckereihandwerk geben“, beruhigt Bartilla.
Brot, Brötchen und Backwaren müssten bezahlbar bleiben, sagt auch Georg Sangermann, Innungs-Obermeister in Westfalen-Süd mit den Kreisen Olpe und Siegen-Wittgenstein: „Wir hoffen, dass der Bäcker der Nahversorger für alle bleibt“. Seit vergangenem Sommer seien die Preise im Bäckerhandwerk bereits um 10 bis 15 Prozent gestiegen, so Sangermann. Daran verdiene der Staat mit, erinnert Bartilla. Entsprechend sollte er über Steuersenkungen für Lebensmittel nachdenken.
Dass sich die Preisspirale mit zunehmender Geschwindigkeit dreht, hat überall auch mit den Energiepreisen zu tun, deren Teuerung wiederum eine Folge des Konflikts in Osteuropa sind. Aber auch die Getreidepreise wirken sich aus, die an der Börse beispielsweise für Weizen aufgerufen werden. Sie haben sich vom vergangenen Sommer (Juli, rund 200 Euro pro Tonne) bis heute mehr als verdoppelt. Am Montag stieg der Preis zwischenzeitlich auf 435 Euro/Tonne Weizen. Vor Kriegsbeginn am 22. Februar lag die Tonne an der Börse noch bei 275 Euro.
Deutschland hat keinen hohen Getreide-Importbedarf aus Russland oder der Ukraine
„Wir haben in Deutschland nicht den hohen Importbedarf an Getreide aus Russland oder der Ukraine. Abnahmeländer liegen eher in Nordafrika und Asien, aber natürlich wirkt sich der Weltmarkt auch bei uns aus“, sagt Verena Kämmerling, Expertin des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV). Was mittelfristig fehlen könnte, sind die Importe von genfreiem Soja, der in der Ukraine angebaut wird. Russland sei zudem ein bedeutender Exporteur von Phosphat, das in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt wird.
Importfuttermittel spielen in der deutschen Landwirtschaft eine Rolle. Das weiß auch der Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter, der aber dafür wirbt, die Perspektive zu wechseln. Rund ein Drittel der erzeugten Lebensmittel landen laut BDM auf dem Müll. Das wertvolle Nahrungsmittel Milch werde in Molkereien bei Chargenwechseln statt Wasser nach wie vor als Putzmittel missbraucht, um die Rohre durchzuspülen. „Hinter der Argumentation einer drohenden Unterversorgung steht vor allem die Sorge, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu Ramschpreisen gefährdet sein könnte“, stellt Stefan Mann fest. „Klar ist aber auch: Was nichts kostet, ist nichts wert! Wenn Gemüse und Obst aus heimischem Anbau wieder zu einem realistischen Marktwert vermarktet werden können, würde sich auch der Selbstversorgungsgrad in diesem Bereich erhöhen.“
Verschwendung stoppen
Im Gegensatz zu Fleischprodukten, Milch, Kartoffeln, Zucker oder Getreide (siehe Infobox) gibt es hierzulande eine Unterversorgung mit Obst und Gemüse aus deutschem Anbau. Das liege auch daran, dass es sich wegen Billigimporten die Ernte nicht einmal lohne und Früchte am Baum vergammelten, so der BDM. Hinter der Argumentation der Agrarkonzerne, es drohe eine Unterversorgung, stehe deren Sorge, Nahrungsmittel nicht mehr zu Ramschpreisen anbieten zu können, wenn sich die veränderte EU-Agrarpolitik durchsetze, sagt Mann. Im Übrigen, so BDM-Sprecher Foldenauer, bewegten sich die Preise für Lebensmittel in Deutschland beinahe traditionell am unteren Rand der Skala. Und: „Ganz ehrlich, wie essen doch alle zu viel.“
BDM: Deutschland überversorgt mit Lebensmitteln
Laut Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) drohe Deutschland keine Versorgungsknappheit mit Lebensmitteln. „Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von 135 Prozent bei Kartoffeln, von 125 Prozent bei Schweinefleisch und Zucker, 116 Prozent bei Milch und 106 Prozent bei Getreide“, sagt BDM-Geschäftsführer Stefan Mann. Billigimporte bei Obst und Gemüse verhinderten hier einen höheren Versorgungsgrad.