Scholz’ Absage an Nordstream 2 ist richtig – so unpolitisch ist die Pipeline dann doch nicht. Doch damit fängt die Arbeit der Regierung erst an.

Dass die Sanktionen des Westens auch seine eigenen Bürgerinnen und Bürger treffen werden, wird mit dem Aus für Nordstream 2 besonders greifbar: Die ohnehin sehr hohen Gaspreise dürften weiter steigen, an den Spotmärkten gingen sie am Dienstag prompt nach oben. Dennoch ist es richtig, die Ostseepipeline einzufrieren, nur so behält die Bundesregierung einen Rest an außenpolitischem Einfluss. Gleichwohl muss dies zugleich der Startschuss sein für ein neues Energiekonzept. Deutschland braucht dringend Alternativen zu russischem Gas, und zwar schon bis zur nächsten Heizperiode.

Lange hat Olaf Scholz das Wort „Nordstream 2“ nicht einmal auszusprechen gewagt, wollte die Gaspipeline von Russland nach Deutschland nicht offen als Druckmittel gegen Putin ins Feld führen. Der Kanzler hat gewartet, bis die ersten russischen Panzer in die Ukraine vorgedrungen sind. Was es jetzt noch bringt, mit dem Stopp der Ostsee-Leitung zu drohen? Einerlei. US-Präsident Biden hatte anstelle von Scholz längst das Aus für Nordstream 2 im Falle eines Angriffs auf die Ukraine verkündet. Biden brauchte kein Mandat, um damit zu Putin durchzudringen. Doch dem, das weiß der Westen nun, sind Gewinne ukrainischen Territoriums wichtiger als wirtschaftliche Bande mit Europa.

Nordstream 2 unpolitisch zu nennen, war naiv

Der eigenen Geltung willen hat Scholz die Nordstream-Karte natürlich zu spät gespielt. Und die Pipeline noch im Dezember unpolitisch zu nennen, war mehr als naiv. Wer Nordstream 2 unpolitisch nennt, muss auch die Olympischen Spiele in China für ein unbeschwertes Sportfest gehalten haben. Wer besser hinschaute, sah stattdessen in Peking vor den Augen der Welt einen demonstrativen Schulterschluss zweiter Autokraten – von Putin und Xi Jinping. Der eine greift nach der Ostukraine, der andere nach Hongkong. Und am Tag der Eröffnungsfeier ließ Putin nebenbei wissen, dass er künftig mehr Gas gen Osten, nach China verkaufen wolle.

Putin hat Nordstream 2 planen lassen, um sein Gas auf direktem Wege nach Deutschland liefern zu können. Das ist auch aus deutscher Sicht wirtschaftlicher als der Landweg über Weißrussland und Polen oder eben durch die Ukraine. Doch spätestens mit der Annexion der Krim 2014 musste jedem Westpolitiker auch klar sein, dass Putin die Ukraine-Pipeline auch politisch einsetzt und der Bau einer Alternative durch die Ostsee nicht frei von geostrategischen Überlegungen sein konnte.

Leitung durch die Ukraine nicht mehr sicher

Bisher hat Scholz nur einen vorläufigen Stopp verfügt. Dass Nordstream 2 noch ans Netz geht, wird aber mit jedem Tag unwahrscheinlicher. Putin beteuert zwar, den Gashahn der anderen Leitungen nach Europa nicht zudrehen zu wollen, doch die nach Nordstream wichtigste Pipeline durch die Ukraine kann im Kriegsfall nicht mehr als sicher gelten. Deshalb wartet auf den grünen Wirtschaftsminister Habeck nun richtig viel Arbeit: Er muss Alternativen aufzeigen und fördern, damit deutsche Wohnungen auch ohne Putins Gas warm bleiben und die Industrie weiter genügend Brennstoff erhält.

Weil aus Norwegen und den Niederlanden keine höheren Liefermengen zu erwarten sind, konzentriert sich das Notversorgungsszenario auf Flüssiggas aus den USA und Katar. Dafür fehlen Deutschland allerdings die nötigen LNG-Terminals. Scholz ließ wissen, die Versorgungssicherheit müsse für Nord Stream 2 neu bewertet werden, und er fügte an: „Das wird sich sicher hinziehen.“ Was sich nicht hinziehen darf, ist eine energiepolitische Reaktion. Die Regierung muss schnellstmöglich darlegen, wie Deutschland auch ohne russisches Gas auskommen kann. Und da die Ampel in der Energiewende bewusst auf Erdgas als Brückentechnologie setzt, muss sie auch mittelfristig die Lieferketten sichern. Dies möglichst ohne umweltschädlich gewonnenes Fracking-Gas aus den USA.