Meschede/Brüssel. Der Sauerländer CDU-Europaabgeordnete Peter Liese spielt eine entscheidende Rolle, wenn Europa im Sommer über die CO2-Abgaben entscheidet.
Der Sauerländer Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) verhandelt in den kommenden Wochen das aus seiner Sicht „größte EU-Umweltgesetz aller Zeiten“ mit. Es geht vor allem um den Emissionshandel.
Liese sitzt als Vertreter des EU-Parlaments mit Mitgliedern der EU-Kommission und des Rates der 27 Mitgliedsländer am Tisch, wenn für die Ausweitung des Europäischen CO2-Zertifikatehandels am Gesetzestext gefeilt wird. „Wir kommen jetzt in die entscheidende Phase der Verhandlungen.“ Das Ergebnis wird auch die Entwicklung der Wirtschaft in Westfalen mitbestimmen – positiv wie negativ.
Wie unterschiedlich die Perspektiven auf und Haltungen zur EU-Politik sind, zeigte eine Gesprächsrunde, die Liese am Freitag zusammenrief. Mit am virtuellen Tisch: Ein Zementhersteller, der Inhaber eines energieintensiven Betriebs, der 2030 klimaneutral produzieren will. Der Chef eines Batteriespeicherhersteller und nicht zuletzt eine Vertreterin von Fridays for Future aus dem Sauerland (Olpe).
Die Klimaschützerin
Natalie Gierse ist eine Sprecherin von Fridays for Future in Olpe: „Die Klimaschutzfrage ist keine ökonomische, sondern eine Menschenrechtsfrage. Man muss beim CO2 das Gesamtbudget weltweit betrachten. Wir als EU-Bürger sind hier privilegierte Verursacher der schädlichen Emissionen.“ Gierse kritisiert, dass es nach wie vor kostenlose Zertifikate für energieintensive Betriebe gibt und auch die von der EU ausgerufenen Ziele, 2055 klimaneutral sein zu wollen, am 1,5-Grad-Ziel vorbeiführen. Die junge Aktivistin fordert eine gerechte Belastung. Kleine Unternehmen und Privathaushalte dürften nicht genauso in die Pflicht genommen werden wie die Hauptverursacher.
Der Zementproduzent
Wolfgang Matthias ist Geschäftsführer des Portlandzementwerks Wittekind in Erwitte. Ein Familienunternehmen mit 115-jähriger Geschichte, das nach eigenen Angaben durch den Zertifikatehandel heute schon an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit kommt. Knapp 90 Euro kostet die verursachte Tonne CO2 aktuell. Die Herstellung von Zement ist nicht nur sehr energieintensiv, es fallen auch sehr große Mengen CO2 an. Ein Drittel der CO2-Emissionen seien auf den Brennstoff in der Produktion zurückzuführen. „Hier können wir reduzieren“, sagt Matthias. Erdgas könnte durch Wasserstoff ersetzt werden. Frühestens mittelfristig allerdings. Zwei Drittel der Emissionen im Werk fielen aber im Produktionsprozess an. „Die sind nicht minderbar“, sagt der Unternehmer. Das heißt, allenfalls über Kompensation könnte es gelingen, eines fernen Tages klimaneutral zu werden. Schon heute lockten die hohen Produktionskosten Importeure nach Deutschland – aus der Türkei, Saudi-Arabien oder der Ukraine. „Hier ist ein Grenzausgleich notwendig“, fordert Matthias. Der Verhandler Liese will sich dafür einsetzen.
Der Speicherhersteller
Zu den Gewinnern der Klimawende könnte ein Tochterunternehmen des Briloner Batterieherstellers Hoppecke zählen. Die Intilion Hub GmbH mit Sitz in Paderborn und Zwickau entwickelt und baut große Lithium-Ionen-Speicher für verschiedene Anwendungen. „Wir können damit beispielsweise Lastspitzen im Stromnetz ausgleichen, ohne großartig Netze ausbauen zu müssen“, sagt Intilion-Geschäftsführer Boris Langerbein. Bereits heute sei die Speichertechnologie viel weiter als gemeinhin bekannt. „Sie muss jetzt entfesselt werden“, sagt Langerbein – aber auch hier hinkt deutsche Regulatorik hinterher: Auf aus Speichern entnommene Energie wird aktuell beispielsweise noch EEG-Umlage fällig. Vermutlich bald Geschichte.
Der Vorzeigeunternehmer
Andreas Gahl ist Inhaber eines energieintensiven Betriebs in Menden. MPG Präzisionsrohr stellt unter anderem Rohre für Kondensatoren in Kohlekraftwerken her – mit denen die CO2-Schleudern dann wenigstens effizienter arbeiten. In Südwestfalen ist der Unternehmer inzwischen bekannt für seine Zielstrebigkeit in Sachen Klimaschutz. „Bis 2030 wollen wir klimaneutral produzieren, vielleicht schaffen wir es schon eher.“ Die Klagen über die CO2-Abgaben kann Gahl nicht verstehen: Gemessen an den aktuellen Energiepreisen falle das kaum ins Gewicht. „Für 95 Prozent der Industrie bei uns dürften die CO2-Abgaben kein Problem sein. Der Preis sollte eigentlich viel höher sein, um die Klimaziele zu erreichen.“ Bei Industrien wie Zement oder Stahl müsse man schauen, wie hoch die Belastung sein könne.
Der Verhandler
Der Europapolitiker Peter Liese ist in einer Zwickmühle. Er sieht die Dringlichkeit, den Klimawandel aufhalten zu müssen sehrwohl: „An der Flutkatastrophe haben wir gesehen, dass der Klimawandel bei uns angekommen ist. Es geht nicht mehr nur um Eisbären und Wüsten.“ Andererseits drohe mit einem deutschen beziehungsweise europäischen Alleingang mit hohen Abgaben eine Überforderung von Unternehmen und sozial Schwachen. Liese verweist auf die Erfolge der EU im Vergleich zu Staaten wie China oder USA. Keine leichte Mission für den Sauerländer, in den anstehenden Verhandlungen eigentlich einen großen Wurf in Sachen Klimaschutz landen zu müssen.
Der Zeitplan der Verhandlungen 2022
Bis zu den eigentlichen Verhandlungen über eine Reform des Europäischen Zertifikatehandels, wird es wohl Sommer werden. Nach eingehenden Beratungen, läuftdie Frist für Änderungsanträge für alle Fraktionen im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments erst am 16. Februar ab. Dann sind noch etwa drei Monate Zeit, Kompromisse mit den anderen Fraktionen zu finden, bevor der Bericht und alle Änderungsanträge im Mai im Umweltausschuss und im Juni im EU-Parlament abgestimmt werden. Wenn voraussichtlich im Juni dann die endgültige Parlamentsposition feststeht, geht es im sogenannten Trilog in die Verhandlungen mit dem Rat der 27 Mitgliedstaaten, die bis dahin ebenfalls eine Position festgelegt haben sollten.Die letzte Abstimmung findet zwischen Rat und Parlament statt. Hier übernimmt die Verhandlungen der entsprechende Fachminister der Ratspräsidentschaft (aktuell wäre das beispielsweise der französische) sowie der Berichterstatter aus dem Parlament – in diesem Fall Dr. Peter Liese (CDU/EVP) aus Meschede im Sauerland.