Essen. In Deutschland fehlen 132.000 Ingenieure – mehr als vor der Pandemie. Der VDI befürchtet, dass coronabedingte Lernlücken den Mangel verschärfen.
Dass die Corona-Krise die Nachwuchssuche erschwert und den Fachkräftemangel weiter verschärft, beklagen viele Branchen. Ein Berufsstand, der quer durch alle Wirtschaftszweige vom Bau über die Industrie bis zur Finanzbranche gebraucht wird, sieht sich aber besonders betroffen: das Ingenieurwesen. Sein Lobbyverein VDI glaubt, dass Schulschließungen und Distanzunterricht insbesondere die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer getroffen hat. Die so entstandenen Lernlücken könnten Schülerinnen und Schüler davon abhalten, einen Ingenieurs- oder Informatik-Beruf anzustreben.
Ungeachtet dieser Befürchtungen für die nahe Zukunft hat der Ingenieurmangel schon jetzt das Vorkrisenniveau übertroffen: Im dritten Quartal 2021 zählte der VDI im Durchschnitt rund 132.000 unbesetzte Stellen in den vielen Ingenieur- und Informatikberufen. Das sind 36.000 mehr als im Vorjahresquartal und auch gut 3000 mehr als im dritten Quartal 2019, als die Pandemie in Deutschland noch kein Thema war. Bereits zuvor bestehende Probleme wie den Mangel an Ingenieurinnen und an qualifizierter Zuwanderung in diese Berufe sieht der VDI durch die Krise verschärft.
Drei freie Stellen für einen arbeitslosen Ingenieur
Um die offenen Stellen bemühen sich aktuell nur knapp 40.000 arbeitslose Ingenieure. Ein Arbeitsloser könnte demnach theoretisch zwischen mehr als drei Stellen aussuchen. Weil die spezifischen Kompetenzen der sehr unterschiedlichen Ingenieurberufe aber oft nicht zu den angebotenen Arbeitsplätzen passen, bleiben viele Stellen monatelang unbesetzt. Die größten Nachwuchsprobleme plagen laut VDI aktuell besonders die Ingenieurberufe auf dem Bau sowie in der Vermessung und Gebäudetechnik, aber auch in der Architektur, der Energie- und Elektrotechnik sowie in den Informatikberufen.
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Der in Düsseldorf sitzende VDI erwartet eine weitere Zuspitzung in den kommenden Jahren, weil die Alterung der Gesellschaft, die Digitalisierung und die Dekarbonisierung der Wirtschaft einen zusätzlichen Bedarf an 6600 Ingenieurinnen und Ingenieuren pro Jahr erzeugten.
Nur 18,2 Prozent Frauen in den MINT-Berufen
Doch gerade um die künftigen Studierenden-Zahlen macht sich der Verband Sorgen. Nach wie vor sieht er das größte ungenutzte Potenzial in weiblichen Interessenten für die gefragten MINT-Fächer in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Zwar sei die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen in Ingenieur- und Informatikberufen binnen zehn Jahren um 71 Prozent auf 246.000 gestiegen, doch liege der Frauenanteil noch immer nur bei 18,2 Prozent.
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Die Pandemie verschärft die Probleme, davon ist der VDI überzeugt. So sei wegen Covid-19 auch die Zuwanderung von Studierenden aus dem Ausland in die Informatik- und Ingenieurfächer zurückgegangen. Nun befürchtet der VDI, dass auch die Zahl der deutschen Studierenden sinken wird. Ersten internationalen Studien zufolge sei „zu vermuten, dass die Fortschritte bei den PISA-Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften ohne zusätzliche unterstützende Maßnahmen der Bildungseinrichtungen wieder verloren gehen dürften“. Zumal Deutschland im Vergleich mit anderen Industrieländern in Sachen digitaler Fernunterricht eher hinten dran war.
Sinkende Kompetenzen reißen Lücken in die Studierendenzahlen
Im Klartext glaubt der VDI, die dadurch „sinkenden Kompetenzen“ der Jugendlichen würden „die Erfolge bei den Studierendenquoten in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik“ zunichte machen, in den nächsten Jahren würden die Studienanfängerzahlen „auch coronabedingt sinken“. Die Hochschulen seien dann „stärker damit herausgefordert, bestehende Lücken zu schließen“, warnt der VDI in seinem Ingenieurmonitor bereits seit gut einem Jahr und sieht sich durch die aktuellen Zahlen darin bestätigt.