Essen. NRW sollte mehr recyceln und an Rohstoff-Alternativen forschen, um seine Industrie langfristig versorgen zu können. Dazu rät eine RWI-Studie.

Der Computer, das Auto, der Strom – alles wird teurer in der Pandemie. Covid-19 hat sich zum weltweiten Preistreiber entwickelt, auch für etliche Rohstoffe, die um den Globus verschifft werden müssen, um in der heimischen Industrie verarbeitet zu werden. Das Essener RWI Leibniz-Institut hat nun für das Landeswirtschaftsministerium in einer breiten Studie die Abhängigkeit unserer Industrie von Rohstoffimporten untersucht – und Möglichkeiten aufgezeigt, diese zu verringern. Ganz oben steht eine auch politisch gesteuerte Offensive für mehr Recycling, mehr Sparsamkeit und technische Alternativen. Kurzum – eine aktive Rohstoffpolitik.

„Die Pandemie hat die internationalen Lieferketten empfindlich gestört. Mit dem Wiederanfahren der weltweiten Wirtschaft sind Rohstoffe und Materialien nun deutlich teurer und teilweise gar nicht verfügbar, so dass die Industrie nur schwer die hohe Nachfrage bedienen kann“, sagt NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). Die Pandemie sei dafür aber nicht die einzige Ursache. Die Schlüsselindustrien des Landes stünden vor „einer fundamentalen Transformation mit großen Auswirkungen auf den Rohstoffbedarf“, sie seien deshalb besonders von den Marktbewegungen betroffen.

Aluminium-Preis seit Mitte 2020 mehr als verdoppelt

Es sind weniger die seltenen Erden, um deren Beschaffung Deutschland und der Industriestandort NRW bangen müssen. Sie werden in der Regel fertig verarbeitet eingeführt, etwa in Computerchips. Was die NRW-Industrie heute fast vollständig und in großen Mengen importieren muss, sind Massenrohstoffe wie Aluminium, Blei, Kupfer, Titan und Zink sowie einige andere Metalle. Deren Preise sind seit Mitte 2020 deutlich gestiegen, für das in NRW besonders gefragte Aluminium etwa um mehr als das Doppelte.

Grund ist das Zusammentreffen von steigender Nachfrage und gesunkenem Angebot. Viele Bergbauunternehmen drosselten oder stoppten ihre Förderstätten zu Beginn der Pandemie, als die Preise unten waren und die Nachfrage wegbrach. Als die dann wieder anzog, überlegten viele es sich dreimal, stillgelegte Minen wieder anzufahren, weil nicht absehbar war, ob die anfangs noch moderaten Preissteigerungen von Dauer sein würden. Die Forscher vergleichen das mit der Angst der Schweinebauern, die nie wissen, ob aktuell gestiegene Preise nicht wieder unten sind, wenn die zusätzlich gezüchteten Schweine aufgewachsen sind. Die Rohstoffbörsen wurden nervös – und trieben die Preisspirale an.

RWI rätselt, wie lange sich die Preisspirale noch dreht

Die RWI-Forscher stufen diese Mechanismen zunächst als krisenüblich ein, erwarten aber mittelfristig eine weltweit steigende Rohstoffnachfrage, allein wegen der Dekarbonisierung der Industrie und Elektrifizierung etwa des Verkehrs. Deshalb ist für sie noch nicht ausgemacht, „ob wir uns am Beginn eines neuen Superzyklus oder nur in einer temporären Aufwärtsentwicklung befinden“, heißt es in der 226 Seiten dicken Studie.

Für die heimischen Schlüsselindustrien identifizierte das RWI gleich 20 benötigte Rohstoffe, deren Verfügbarkeit mit einem hohen Risiko versehen ist sowie 15 mit einem mittleren Risiko. Hohe Risiken sehen die Essener Forscher etwa in der Versorgung mit Titan, Silber und Kobalt, die vor allem für die Elektroindustrie und den besonders in Westfalen starken Maschinenbau von großer Bedeutung sind. Sie müssen fast komplett aus Ländern außerhalb der EU beschafft werden, oft aus politisch instabilen Ländern.

Lithium-Nachfrage steigt weltweit – Fund am Rhein

Probleme sieht das RWI auch, wenn die Vorkommen sich auf wenige Länder konzentrieren, die Nachfrage sehr stark zu steigen droht oder die Vorräte leer sind. Zudem spielt eine Rolle, wie recyclingfähig die Rohstoffe sind und ob sie jetzt oder in Zukunft durch andere ersetzt werden könnten. Beim für den Bau von Autobatterien so wichtigen Lithium kommen fast alle Risiken zusammen, auch wenn die größten Vorkommen im politisch stabilen Australien liegen. Die jüngst im Oberrheingraben entdeckten Lithium-Vorkommen, die ab 2026 für VW gehoben werden sollen, sind eine willkommene Ausnahme.

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Das RWI empfiehlt, den Rohstoffverbrauch in der Industrie weiter zu senken, mehr auf Recycling zu setzen und eine nachhaltigere Kreislaufwirtschaft zu etablieren, „um dadurch die Abhängigkeit von Rohstoffimporten zu verringern“. Als Sekundärrohstoff gewonnene Rohstoffe wie Aluminium, Eisen und Kupfer würden immer wichtiger und NRW habe hier den Vorteil, „dass solche Technologien im weltweiten Vergleich betrachtet bereits weit entwickelt“, heißt es in der Studie, auch getrieben durch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen des Landes. Das hört Minister Pinkwart gern und meint: „Nordrhein-Westfalen bringt alle Voraussetzungen mit, um in diesem Bereich zum Vorreiter zu werden.“

Neue Produkte müssen recycelbar sein

Zudem werde bei der Entwicklung neuer Produkte deren Recyclingfähigkeit mehr im Fokus stehen, so das RWI Leibniz Institut., auch hier gelte es, neue Technologien auch staatlich zu fördern. NRW-Unternehmen wie Aurubis und Remondis dürften im Zuge dessen „noch bedeutender werden“. Um mehr Stoffe durch Recycling zu gewinnen, sei es auch wichtig, weniger Schrott zu exportieren und die Sammelquoten zu erhöhen. „Bis 2035 sollten signifikante Veränderungen in Bezug auf die stärkere Etablierung der Kreislaufwirtschaft erfolgen. Bis dahin könnte NRW auch mit Hilfe der öffentlichen Forschungsförderung zu einem der führenden europäischen Recycling-Cluster geworden sein“, meint das RWI.

Dafür sei eine „effektive Rohstoffpolitik“ wichtig, weil der Erhalt des Industriestandorts „maßgeblich von einer adäquaten Rohstoffversorgung abhängt“. Dazu gehöre eindeutig auch, die Lieferketten für wichtige Rohstoffe zu sichern, die von der heimischen Industrie weiter importiert werden müssen. Denn eine reine Kreislaufwirtschaft werde es nicht geben können.

Bei Steinen und Erden erzielt NRW Exportüberschuss

Tatsächlich ist NRW der Studie zufolge vergleichsweise reich an Rohstoffen, allerdings eher an nichtmetallischen. Steine und Erden wurden 2020 von Nordrhein-Westfalen im Wert von gut 300 Millionen Euro exportiert, hier erzielt das Land sogar einen deutlichen Ausfuhrüberschuss. Etwa die Hälfte davon waren Kies und Sand, die vor allem aus dem Rheinland und vom Niederrhein in die Niederlande und nach Belgien geliefert wurden.