Essen. Der Chef des Essener Immobiliendienstleisters Ista, Hagen Lessing, kritisiert, der Datenschutz behindere zum Teil den Klimaschutz in Deutschland.

Der Essener Energie- und Immobiliendienstleister Ista ist mit Heizkostenabrechnungen zu einem Branchenriesen geworden. Das Unternehmen ist in 22 Ländern aktiv und hat rund 60 Millionen elektronische Messgeräte im Einsatz. Die Daten könnten viel stärker als bisher zum Klimaschutz beitragen, sagt Ista-Chef Hagen Lessing im Interview mit unserer Redaktion. Zum Teil würden die Ideen aber am Datenschutz scheitern. „Mein Eindruck ist, dass der Datenschutz in Deutschland derzeit über dem Klimaschutz steht“, kritisiert Lessing. Hier lesen Sie das Interview im Wortlaut:

Herr Lessing, bis zum Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein – auch die Wohn- und Bürogebäude überall im Land. Ist das Ziel zu erreichen?

Lessing: Noch sind wir weit entfernt davon und müssen uns gewaltig anstrengen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Wohlgemerkt: 40 Prozent der CO2-Emissionen entstehen in Gebäuden. Gemessen an der großen Aufgabe hat sich aber bislang zu wenig getan. Im Vergleich mit Branchen wie der Energiewirtschaft oder der Automobilindustrie wird das umso deutlicher. Als Gesellschaft sind wir heute, was die CO2-Emissionen im Immobiliensektor angeht, im Blindflug unterwegs.

Woran liegt das?

Lessing: Wir nutzen zu wenig die Möglichkeiten, die wir haben. Es wäre schon viel erreicht, wenn wir genau messen, wo und wie Energie in Gebäuden verbraucht wird. Denn das Verbraucherverhalten ändert sich zum Besseren, wenn es mehr Transparenz gibt. So lassen sich Energie, Kosten und CO2 einsparen. Kurzum: Die Digitalisierung trägt zur Dekarbonisierung bei.

Mehr Transparenz allein macht Deutschlands Immobilien aber nicht klimaneutral. Dafür sind neue Heizsysteme und bessere Gebäudedämmungen notwendig.

Lessing: Das stimmt. Daten sind aber unverzichtbar, um Maßnahmen zielgerichtet auf den Weg zu bringen und ihre Wirkung zu überprüfen. Wir kennen den Verbrauch jedes kleinen Kraftwerks sehr genau, und alle Autos sind im Zentralregister erfasst. Im Gebäudesektor hinken wir hinterher. Wir brauchen dringend eine Bestandsaufnahme zum CO2-Ausstoß in Immobilien, um dann einen Plan zur wirksamen Dekarbonisierung zu entwickeln.

Das klassische Geschäftsmodell von Ista ist: Sie ermitteln in Mehrfamilienhäusern mit einer Zentralheizung, wie viel die Menschen geheizt haben und was die Wärme jeweils kostet – bislang in einer Jahresabrechnung. Möchten Sie etwa tägliche oder monatliche Abrechnungen?

Lessing: Nein, aber wir können einen täglichen Überblick zum Verbrauch gewährleisten. Denkbar wäre es auch, die Verbraucherinnen und Verbraucher aktiv zu beraten, wie sie ihr Verhalten anpassen können, um das Klima zu schonen und ihre Kosten zu senken. Wenn beispielsweise die Temperatur draußen steigt, aber die Heizung weiter auf Hochtouren läuft, könnten wir eine Nachricht aufs Handy schicken.

Scheitern solche Modelle derzeit am Datenschutz?

Lessing: Ja, das spielt eine Rolle. Mein Eindruck ist, dass der Datenschutz in Deutschland derzeit über dem Klimaschutz steht. Keine Frage, sensible Daten brauchen besonderen Schutz. Wenn es aber darum geht, ob

Ista-Chef Hagen Lessing: „Wir kennen den Verbrauch jedes kleinen Kraftwerks sehr genau, und alle Autos sind im Zentralregister erfasst. Im Gebäudesektor hinken wir hinterher.“
Ista-Chef Hagen Lessing: „Wir kennen den Verbrauch jedes kleinen Kraftwerks sehr genau, und alle Autos sind im Zentralregister erfasst. Im Gebäudesektor hinken wir hinterher.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Heizkörper einmal täglich funken, um beim Energiesparen zu helfen, meine ich: Klimaschutz muss in Deutschland Vorfahrt haben! Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass sie ihren Kontostand bei ihrer Bank auf dem Handy checken können. Es wäre doch klasse, wenn der Verbrauch von Wärme, Strom und Wasser genauso einfach auf dem Smartphone einsehbar wäre.

Ihre Kunden sind Immobilieneigentümer und Verwalter, die Kosten tragen aber die Mieterinnen und Mieter – in Deutschland in mehr als fünf Millionen Wohnungen. Kommen auf die Mieterinnen und Mieter zusätzliche Kosten zu, wenn Sie neue Dienstleistungen einführen?

Lessing: Es geht ja darum, durch Transparenz den Verbrauch und damit auch die Kosten zu senken. Ohnehin machen unsere Dienstleistungen nur einen geringen Teil der Nebenkosten aus.

Wäre es auch möglich, die Immobilieneigentümer zu mehr Klimaschutz zu bewegen?

Lessing: Klimaschutz ist eine Aufgabe, die uns alle angeht. Teilweise unterscheiden sich die gesetzlichen Vorgaben zur Verbrauchsmessung von Land zu Land. In den Niederlanden beispielsweise gibt es eine Vorgabe für Vermieter, ein Heizungs-Monitoring zu gewährleisten. Das heißt: Es wird permanent überwacht, wie effizient die Heizung läuft. Eine derartige Regulierung haben wir in Deutschland nicht.

Auch interessant

Sind Gewerbebetriebe und die öffentliche Hand in Deutschland beim Klimaschutz in Immobilien weiter als private Wohnungsvermieter?

Lessing: Nein, Handlungsbedarf gibt es an allen Stellen. Ich denke etwa an Schulgebäude. In Essen haben wir vor einiger Zeit fünf Schulen kostenlos mit Messtechnik ausgestattet, um Bewusstsein für den Energieverbrauch zu schaffen. Das Potenzial für Klimaschutz in Gebäuden ist generell groß und noch längst nicht ausgeschöpft.

Haben Sie eigentlich in Deutschland noch Messröhrchen im Einsatz, die in früheren Jahren Standard waren, um den Energieverbrauch in Mietwohnungen zu ermitteln?

Lessing: Die Messröhrchen spielen praktisch keine Rolle mehr. Das ist Vergangenheit. In den 22 Ländern, in denen wir aktiv sind, haben wir etwa 34 Millionen funkende Geräte – bei insgesamt etwa 60 Millionen elektronischen Messgeräten. Und jeden Monat kommen etwa 300.000 funkende Geräte hinzu. Das heißt auch: Hausbesuche, um den Energieverbrauch zu ermitteln, werden immer seltener.