Duisburg. Zwei Jahre nach seinem Abgang als Thyssenkrupp-Chef will Guido Kerkhoff beim Duisburger Stahlhändler Klöckner & Co neu durchstarten.
Wenn Guido Kerkhoff im Duisburger Silberpalais aus dem Fenster seines Besprechungsraums auf der elften Etage schaut, hat er einen guten Blick auf die Hochöfen in der Stadt. Europas größter Stahlstandort, für den er jahrelang als Thyssenkrupp-Finanzvorstand und kurz auch als Konzernchef mitverantwortlich war, ist immer noch nah. „Natürlich hat mich die Zeit bei Thyssenkrupp geprägt“, sagt Kerkhoff heute, zwei Jahre nach den turbulenten Tagen, an denen er beim Essener Industriekonzern entmachtet worden ist. Thyssenkrupp, das war der permanente Krisenmodus.
Welch ein Unterschied zu Kerkhoffs aktueller Aufgabe: Beim Duisburger Werkstoffhändler Klöckner & Co, den Kerkhoff seit Mai als Vorstandschef führt, laufen die Geschäfte rund. „Wir erleben derzeit einen Stahlmarkt im Aufschwung. Davon profitieren wir als Unternehmen“, berichtet Kerkhoff, der schon vor einem Jahr zunächst als stellvertretender Konzernchef bei KlöCo angeheuert hat. „Die Zeichen stehen auf Wachstum.“ Die Corona-Monate hat das Unternehmen mit Sitz im Konzernhochhaus Silberpalais unweit des Duisburger Hauptbahnhofs gut überstanden.
Der Manager, der privat in Essen wohnt, erweckt nicht den Eindruck, als trauere er seinem Posten bei der Industrie-Ikone Thyssenkrupp noch groß hinterher. „Es macht mir viel Spaß“, sagt der 53-Jährige über seinen neuen Job. Im Plauderton erzählt er von einer Dienstreise in die USA, die er vor wenigen Tagen absolviert hat. Auf Online-Plattformen wie Twitter und LinkedIn veröffentlicht er regelmäßig Selfies, die ihn bei der Arbeit zeigen, im Schnellzug Thalys nach Paris zum Beispiel – und auch während der Freizeit mit seinem VW-Bulli oder auf Radtouren.
Neustart nach Thyssenkrupp auf bekanntem Terrain
Für Kerkhoff ist es bei Klöckner & Co ein Neustart auf bekanntem Terrain: Auch bei Thyssenkrupp ist der Werkstoffhandel ein wichtiger Geschäftszweig. Zwischenzeitlich gab es Pläne in der Essener
Konzernzentrale, das Geschäft mit dem Duisburger Konkurrenten KlöCo zusammenzuführen. Zur Einordnung: In der Thyssenkrupp-Sparte Materials Services arbeiten weit mehr als 15.000 Menschen, beim benachbarten Unternehmen Klöckner & Co sind es lediglich rund 7100 Beschäftigte, davon rund 1600 in Deutschland.
Mit mehr als 100.000 Kunden gehört das Duisburger Unternehmen gleichwohl zu den weltweit größten produzentenunabhängigen Stahl- und Metallhändlern. Dabei agiert KlöCo an der Schnittstelle von weltweit agierenden Stahlkochern wie Thyssenkrupp und Arcelor-Mittal sowie den Abnehmern aus der Autoindustrie oder der Maschinen- und Anlagenbaubranche. Ein wichtiger Standort von KlöCo in Nordrhein-Westfalen ist Bönen, wo das Unternehmen unter der Marke Becker Stahl-Service ein Verteilzentrum mit rund 500 Beschäftigten betreibt.
„Wir sind als Werkstoffhändler ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette rund um den Stahl“, sagt Kerkhoff, während er in der Firmenzentrale in einem hellen Büroraum über den Dächern von Duisburg seine Strategie darlegt. „Viele Menschen denken beim Stichwort Stahl insbesondere an Hochöfen. Im Ruhrgebiet, im Sauerland und Siegerland gibt es aber auch unzählige Stahl-Weiterverarbeiter. Das Stück Stahl wird dort zum Beispiel zu Sitzschienen, Baggerschaufeln oder Liftmasten weiterverarbeitet.“
Nur 60 Beschäftigte in der Duisburger Zentrale von KlöCo
In der Verwaltung setzt KlöCo auf kleine Teams. Nur etwa 60 Menschen sind in der Duisburger Holding beschäftigt – weniger als in Berlin, wo das Unternehmen allein schon rund 100 Mitarbeitende in der Digitaleinheit Kloeckner.i beschäftigt. „Wir arbeiten mit ganz wenigen Hierarchieebenen“, sagt Kerkhoff. Zwei Ebenen unter ihm stehe im Organigramm bereits der Lagerleiter. „Was die Schnelligkeit der Entscheidungen angeht, ähneln wir eher einem Mittelständler als einem Konzern. Wenn wir etwas im Vorstand beschließen, haben wir es häufig eine Woche später umgesetzt.“
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Auch ein vor wenigen Monaten beschlossener Abbau von 1200 Stellen sei innerhalb kurzer Zeit durchgeführt worden. „Wir haben die gesamte Organisation umgekrempelt“, sagt Kerkhoff. „Das hat uns deutlich schlagkräftiger gemacht.“
Trotz des starken Standbeins von KlöCo in Berlin gebe es keine Pläne, den Firmensitz in die Hauptstadt zu verlagern, beteuert Kerkhoff. „Wir haben unsere Wurzeln im Ruhrgebiet und fühlen uns wohl hier.“ Als Beleg führt er auch den sozialen Einsatz des Unternehmens in der Region an – insbesondere in Duisburg-Marxloh. „Wir engagieren uns bewusst in einem sogenannten Brennpunktviertel“, erklärt Kerkhoff. So beteilige sich KlöCo seit vielen Jahren an den Kosten für das Mittagessen an mehreren Schulen in dem Duisburger Stadtteil. Das Unternehmen fördere auch ein Projekt des Klavier-Festivals Ruhr in Marxloh, bei dem Kinder aus Zuwandererfamilien bei der Integration in die Gesellschaft begleitet werden.
„Wenn wir so weitermachen wie bisher, zerstören wir unseren Planeten“
Intensiv befasst sich Kerkhoff zudem mit der Frage, ob und wie die heimische Stahlindustrie klimaneutral werden kann. „Wir müssen den klimaneutralen Umbau beherzt angehen“, mahnt der Manager. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, zerstören wir unseren Planeten.“ Noch habe KlöCo allerdings keinen grünen Stahl im Angebot. „Das dürfte sich aber in absehbarer Zeit ändern“, kündigt Kerkhoff an. Als möglichst klimaneutraler Werkstoff habe der Stahl eine Zukunft. Der Einsatz von Aluminium, Karbon oder Plastik führe jedenfalls im Vergleich zu Stahl zu mehr CO2-Emissionen, betont der frühere Thyssenkrupp-Chef.
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„Stahl lässt sich unendlich oft recyceln. Damit bietet sich ein enormes Potenzial für eine Kreislaufwirtschaft“, merkt Kerkhoff an. Doch Deutschlands Industrie stehe vor großen Herausforderungen. „Stahl ist eigentlich noch deutlich zu billig“, betont Kerkhoff. „Wenn die Industrie die gewaltigen Investitionen in den klimaneutralen Umbau stemmen soll, benötigt sie auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung.“ Auch die Politik sei gefragt, mutige Entscheidungen zu treffen, damit der Wandel des Industriestandorts gelingen könne. „Wir stehen an einer wichtigen Weggabelung“, sagt der Manager. „Jetzt braucht es Menschen, die einen Weg nach vorne weisen können.“