Essen. Bereits vor der Flut hat der Bauboom Handwerker und Möbelindustrie an ihre Grenzen gebracht. Nun wird es noch teurer und das Warten noch länger.

Jede Katastrophe erzeugt ihre Sonderkonjunktur. Die Corona-Pandemie hat kurzzeitig Klopapier, Nudeln und Mehl zur Mangelware werden lassen. Nachhaltiger war der Schub für alles, was das eigene Heim schöner macht: neue Möbel, ein neues Bad oder gleich die lange aufgeschobene Renovierung des Dachgeschosses. Weil das keine deutsche Eigenart war, mit dem Lockdown umzugehen, sondern ein weltweiter Trend, waren bald die Materialien knapp, die Preise stiegen, ebenso die Wartezeiten auf Möbel und Handwerker. Nun wird die Flut einen neuen Nachfrageschub bringen, um die Häuser wieder aufzubauen und einzurichten. Dadurch drohen noch größere Engpässe und noch höhere Preise.

Handwerk und Möbelindustrie kamen schon vor der Flut nicht hinterher

Denn schon vor dem Hochwasser kamen weder die Industrie noch die Handwerker hinterher. Wer jetzt im Möbelhaus ein Sofa bestellt, kann gleich ein paar Decken für die kühleren Herbstabende Anfang November mitbestellen. Etwa so lange dauert es auch, bis ein jetzt georderter Handwerker kommt: Zimmerer und Dachdecker sind laut der jüngsten Umfrage in NRW für mehr als 13 Wochen ausgebucht, der Maurer kommt eine Woche früher, beim Heizungsbauer beträgt die durchschnittliche Wartezeit zehn Wochen und zwei Tage, Fliesenleger, Maler und Elektrotechniker kommen in etwa neun Wochen.

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Doch das war der Stand vor dem großen Unwetter. NRW-Handwerkspräsident Andreas Ehlert wirbt schon jetzt um Verständnis dafür, dass sich die Wartezeiten für nicht von der Flut betroffene Kunden weiter verlängern werden. „Im Handwerk müssen jetzt alle Hände mit anpacken, um den Betroffenen Hilfe in der Not und beim Wiederaufbau zu leisten. Das wird zu längeren Auftragsreichweiten bei weniger dringenden Aufträgen führen und an der einen oder anderen Stelle auch zu höheren Preisen. Dafür muss jetzt jeder Verständnis haben“, sagte er unserer Redaktion.

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Auch viele Handwerksbetriebe von Hochwasser betroffen

Zumal auch viele Werkstätten und Garagen von Handwerksbetrieben geflutet wurden. Deshalb sei es nun umso wichtiger, „dass wir die vom Hochwasser betroffenen Handwerksbetriebe schnell wieder ans Arbeiten bringen und alle unnötigen Hürden im Planungs- und Vergaberecht beiseiteschieben, die einer raschen Erneuerung der Infrastruktur im Wege stehen“, so Ehlert.

Auch in Hagen richtete das Unwetter enorme Schäden an, hier wurde eine ganze Hausfassade durch das Wasser des ansonsten stillen Nahmerbach herausgespült.
Auch in Hagen richtete das Unwetter enorme Schäden an, hier wurde eine ganze Hausfassade durch das Wasser des ansonsten stillen Nahmerbach herausgespült. © dpa | Alexander Forstreuter

Viel spricht dafür, dass die Flut den Auftragsstau spürbar verlängern wird. Denn schon vor dem großen Unwetter war es beileibe nicht so, dass Handwerker und Möbelindustrie im Akkord gearbeitet hätten, ganz im Gegenteil: Viele Baustellen stehen still, weil Rohre, Dachlatten oder Dämmstoffe fehlen. Manch Betrieb musste deshalb trotz vollster Auftragsbücher Kurzarbeit anordnen, weil es nichts zum Verbauen gibt.

Auch der Möbelindustrie fehlen Holz, Metallteile wie Scharniere, Schrauben sowie Schaumstoffe und Leder. Die Leute kaufen mehr, der Handel bestellt mehr, aber: „Inzwischen ist die Produktion bei rund der Hälfte der Unternehmen aufgrund von Materialengpässen eingeschränkt, vielfach sind Produktionstage weggefallen“, sagt Jan Kurth, Geschäftsführer der Verbände der deutschen Möbelindustrie. Und: „Es gibt keine Puffer mehr, um eine steigende Nachfrage bedienen zu können.“

Preise für Holz und Metallteile schießen in die Höhe

Wenn eine steigende Nachfrage auf ein knapperes Angebot trifft, kennen die Preise nur eine Richtung: gen Himmel. Zimmer- und Holzbauarbeiten waren laut Statistischem Bundesamt im Mai um 28,5 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Das liegt nicht an der Gier der Handwerker, sondern am explodierten Holzpreis: Konstruktionsvollholz verteuerte sich im selben Zeitraum um 83,3 Prozent, Dachlatten um 45,7 und Bauholz um 38,4 Prozent. Wegen der ebenfalls gestiegenen Metallpreise sind auch Klempner- und Entwässerungsarbeiten um jeweils rund acht Prozent teurer geworden. Auf dem Bau ist das nicht anders: Betonstahl in Stäben kostete zuletzt 44,3 Prozent mehr als vor Jahresfrist, Betonstahlmatten 30,4 Prozent.

Die Handwerker und Möbelbauer tun sich immer schwerer, ihre Preise zu kalkulieren. Wenn sie einen heute angenommenen Auftrag erst in drei Monaten erfüllen können, werden die Materialpreise wieder ganz andere sein. Für Holz und Metallteile seien für das dritte Quartal bereits weitere Verteuerungen angekündigt worden, heißt es etwa vom Verband der Möbelindustrie. Die Handwerkskammer Düsseldorf, die auch für das westliche Ruhrgebiet zuständig ist, rät deshalb zu Preisgleitklauseln, um die Verteuerungen an die Kunden weitergeben zu können. Alte Aufträge zu Festpreisen könnten meist nur noch mit Verlusten erledigt werden, heißt es.

Lage auf dem Holzmarkt wird sich weiter verschärfen

Zur größten Mangelware ist Holz geworden, auch das dürfte sich durch die Flutkatastrophe weiter verschärfen. Die heimische Holzwirtschaft ist selbst stark vom Unwetter betroffen, viele Forstwirte müssen , überhaupt erst wieder mit ihren Maschinen in die Wälder kommen. „In den waldreichen Regionen Sauerland und Eifel sind die Fluten durch die Wälder geschossen, haben Wege und Brücken zerstört, ganze Forstämter und Dienstfahrzeuge weggerissen “, sagt Michael Blaschke, Sprecher des Landesbetriebs Wald und Holz NRW. Folge: „Im Moment kann vielerorts das zuvor geschlagene Holz gar nicht aus dem Wald transportiert werden, weil wir mit den schweren Maschinen da nicht hin kommen.“

Die Probleme, die bereits seit vielen Monaten die Holzindustrie zu schaffen machten, „werden sich durch die Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe nun weiter verschärfen“, ist sich Blaschke sicher. Zum einen werde man ganz akut im Kampf gegen den Borkenkäfer zurückgeworfen. Und die komplexe Lage auf dem Holzmarkt werde auch nicht einfacher. Die Sägewerke kommen nicht mit dem Produzieren nach, weil Schnittholz im Zuge der Corona-Pandemie einen weltweiten Nachfrageschub erfahren hat. Deutsche Bretter sind vor allem in den USA sehr gefragt, wo es wie in China einen neuen Bauboom gibt.

Käferholz bleibt liegen, Auftragsstau in Sägewerken

Gleichzeitig bleiben die auch aufgrund der heimischen Käferplage eilig geschlagenen Stämme in Massen liegen, die Forstwirte werden ihr Rundholz nur schwer und zu niedrigen Preisen los, während die Sägewerke Rekordpreise für ihr Schnittholz verlangen können. Sie sind nicht nur in Deutschland das Nadelöhr, das für Verzögerungen und Verteuerungen verursacht. Obwohl die Sägewerke rund um die Uhr arbeiten, kommen sie nicht hinterher. Auch verkaufen sie in alle Welt und nicht nur an deutsche Kunden. Die deutsche Säge- und Holzindustrie hat 2020 ihren Export mit 20 Millionen Festmetern um 80 Prozent erhöht.