Dortmund. IT-Prof. Volker Gruhn, Gründer der Softwarefirma adesso, hält es für „überraschend intelligent“, was die Politik zum autonomen Fahren beschloss.
Europa hinkt bei so mancher Zukunftstechnologie hinterher – auch das Ingenieurland Deutschland. Vor kurzem beschloss der Bundestag das Gesetz zur Nutzung autonom fahrender Autos, das die Republik auf Augenhöhe mit den USA und China bringen, oder vielleicht sogar auf die Überholspur katapultieren könnte, meint Professor Dr. Volker Gruhn. Als Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender des Dortmunder IT-Konzerns adesso beschäftigt sich Gruhn viel mit Künstlicher Intelligenz (KI), der beim Thema Autonomes Fahren eine Schlüsselrolle zukommt.
Herr Professor, Sie wirken etwas überrascht von so viel Intelligenz im Bundestag?
Professor Dr. Volker Gruhn: Ja. Und sogar im Bundesverkehrsministerium. Ich fand das schon überraschend.
Was bringt denn dieser Beschluss?
Er schafft einen ordnungspolitischen Rahmen für Autonomes Fahren, im Wesentlichen bis Stufe 4 von 5. Die Hersteller und Ausstatter von Fahrzeugen bekommen Sicherheit, eine Orientierung.
Das hört sich nicht nach einem gewaltigen Durchbruch an.
Erst einmal ist das ein wichtiges Signal. Die Amerikaner machen viel Trara, wenn sie autonomes Fahren in der Wüste von Nevada hinbekommen und bei uns wird darüber diskutiert, wie ein Pkw autonom im Feierabendverkehr von der Kölner Innenstadt in die nach Dortmund kommen soll. Das schafft man ja mit normaler Intelligenz kaum.
Also wird hier alles verkompliziert oder sehe ich das Glas halbleer?
Es wäre doch schon gut, wenn man von der Autobahnauffahrt bis zur -abfahrt autonom fahren könnte. Mir würde das schon viel helfen.
Sind wir mit dem Gesetz also tatsächlich Vorreiter?
Woanders wird einfach gemacht. Beispielsweise in China – aber mit viel weniger Regulatorik und Rücksicht auch auf Schäden, die für Menschen entstehen können. Der deutsche Beschluss ist auf den ersten Blick ein kleiner Schritt, aber für eine demokratische Gesellschaft wie unsere ist das eine angemessene Vorgehensweise.
Also, das autonome Fahren kommt jetzt schneller?
Für die letzten Meilen auf dem Land kann man sich absehbar autonome Lösungen vorstellen. Aber dass einer von uns 2030 autonom fahrend von Köln-City nach Dortmund zum Wallring kommt, glaube ich nicht. Das ist aber nicht schlimm, bis zum Westhofener Kreuz wäre schon gut.
Wenn es ein Signal ist, werden jetzt alle Autobauer selbst zu Softwarekonzernen?
Ich glaube ja, aber nicht ausschließlich. Die für Fahrerinnen und Fahrer sichtbaren Teile der Software wie Assistenzsysteme und Entertainment beeinflussen ja heute schon die Kaufentscheidung. Die Leute wollen aber weiter auch vernünftige Spaltmaße, gute Motoren und eine ansprechende Optik. Das Auto der Zukunft wird nicht Software mit etwas Blech drumherum sein.
Sollten sich deutsche Autobauer (OEM) nicht bei der Software zusammentun, um Schritt halten zu können der Konkurrenz der Tech-Konzerne?
Wenn ich OEM wäre, würde ich das auch nicht aus der Hand geben. Ich glaube, Software differenziert.
Geht es auch um Datenhoheit?
Ja, die OEM diskutieren ja schon mit Versicherungen, wem die Daten gehören.
Und, wem gehören sie?
Ganz klar. Die Daten gehören dem, der sie erzeugt: dem Fahrer. Warum sollten sie einem Autobauer gehören, wenn der Fahrer das nicht explizit anders vereinbart.
Welche Rolle kann adesso beim Thema Software für die Autobranche spielen?
Wir entwickeln Software für Versicherungen, Banken, aber auch die Automotivebranche. Hier erleben wir gerade eine erhebliche Marktdynamik. Auch beim Mittelstand nimmt die Bereitschaft zu, beispielsweise im Anlagenbau, wo zur Maschine auch der Service verkauft werden soll. Und das muss alles agil passieren, mit vernünftigem Blick auf Digitalisierungschancen.
Also intelligente Maschinen?
Wir reden hier zwar über den Einsatz Künstlicher Intelligenz, aber immer noch schwacher KI. Das ist im Biotop adesso so und bei fast allen anderen auch.
Und was meint dann starke KI?
Da geht es um mehr. Sie versucht den Menschen in seinen kognitiven Fähigkeiten nachzuempfinden. Das ist dann ein philosophischer Bereich, da muss man aufpassen auf Ethik, Macht, Transparenz – und ich bin da raus, heute geht’s im wirtschaftlichen Kontext um schwache KI für klar eingegrenzte Problembereiche.
Einigen wir uns also zunächst auf einen überraschend intelligenten Beschluss im Bundestag?
Das kann man auf jeden Fall sagen.
Wir befinden uns an der Schwelle von Level 2 zu 3
Bundestag und Bundesrat haben Ende Mai Regeln zur Nutzung autonom fahrender Autos im Straßenverkehr beschlossen. Autobauer können nun Innovationen und Investitionen vorantreiben.
Der Einsatz von Assistenzsystemen bei Pkw bis zum autonomen Fahren, ist in fünf Level eingeteilt. Level 1 beginnt schon bei Assistenzsystemen wie ABS oder ESP. Bei Level 2 helfen Spurwechsel- oder Notbremsassistenten, der Fahrer behält aber Kontrolle und Verantwortung. Ab Level 3 kann das Auto selbsttätig beschleunigen, bremsen und lenken und fordert den Fahrer nur bei Bedarf auf, einzugreifen. Bei Level 4 kann man sich zurücklehnen, das Auto fährt allein, so lange man möchte. Level 5 bedeutet, autonomes Fahren ohne die Möglichkeit einzugreifen. Wir befinden uns an der Schwelle von 2 zu 3.
Professor Dr. Volker Gruhn ist Professor für Praktische Informatik mit Schwerpunkt Software Engineering an der der Uni Duisburg-Essen. Gruhn hat an der TU Dortmund studiert und gelehrt und 1997 das stark wachsende Software-Unternehmens adesso SE mit Sitz in Dortmund mitgegründet, das heute an 25 Standorten in Deutschland mehr als 5000 Menschen beschäftigt, vergangenes Jahr 1250 Experten einstellte und dessen Aufsichtsratsvorsitzender Volker Gruhn ist.