Iserlohn/Shanghai. Für Europa derzeit kaum vorstellbar: In Shanghai startet die besucherstärkste Automesse der Welt. Südwestfalen ist dabei.

Die Automobilbranche blickt in diesen Tagen gespannt nach China. Am Mittwoch startet in Shanghai die mittlerweile besucherstärkste Automesse der Welt. Südwestfälische Zulieferer wie Kirchhoff Automotive schauen dabei nicht nur zu, sondern sind mit eigenen Ständen dabei.

Noch hat die IAA die Nase vorn

„Auf der Auto Shanghai sind alle vertreten, zumindest wenn sie in China Geschäfte machen“, sagt Wolfgang Kirchhoff, Chef des global agierenden Iserlohner Unternehmens, das Karosseriebauteile fertigt. Gezeigt werden die neuesten Schweiß- und Klebe-Technologien und Leichtbaukonzepte aus dem Sauerland. Ein weiterentwickeltes System, das das Crash-Management des Gesamtfahrzeuges verbessert wird ebenfalls präsentiert. „Gerade bei Elektrofahrzeugen ist das Lastmanagement ein ganz anderes als bei Verbrennern“, erläutert Kirchhoff. Und Elektromobilität ist der Taktgeber für Wachstum auf dem mit rund 25 Millionen verkauften Fahrzeugen pro Jahr größten Absatzmarkt weltweit.

„Wir werden unsere Chancen nutzten, aber wir wollen uns auf keinen Fall zu abhängig vom chinesischen Markt machen“, betont Wolfgang Kirchhoff, CEO von Kirchhoff Automotive.
„Wir werden unsere Chancen nutzten, aber wir wollen uns auf keinen Fall zu abhängig vom chinesischen Markt machen“, betont Wolfgang Kirchhoff, CEO von Kirchhoff Automotive. © Kirchhoff | Kirchhoff Automotive

Während der Rest der Welt mitunter verzweifelt gegen das Covid-19-Virus ankämpft, scheint in China bereits wieder Normalität Einzug zu halten. Ein Präsenzmesse in dieser Größenordnung wäre aktuell andernorts kaum denkbar. Im Vergleich zur letzten Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt vor zwei Jahren waren in Shanghai 25 Prozent mehr Aussteller auf 50 Prozent mehr Fläche bei 75 Prozent mehr Besuchern vertreten. „China hat die Pandemie besser im Griff“, erkennt Kirchhoff an. Ob tatsächlich wieder bis zu einer Million Besucher ab Mittwoch über das Messegelände strömen, sei dabei noch offen. Die reinen Zahlen allein seien auch nicht alles entscheidend, glaubt Kirchhoff. „Die IAA hat sicherlich mit Blick auf Innovationen und die Bedeutung immer noch die Nase vorn – noch.“

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Zumal unter den zahlreichen Ausstellern in China auch eine Vielzahl Hersteller sei, die recht einfache Autos herstellen, die im Zweifel in Europa gar nicht zu verkaufen wären. „Aber, China sammelt gerade im Bereich der Elektromobilität sehr, sehr viel Erfahrung“, so Kirchhoff. Unter den vielen neuen Marken auf dem Markt gehören auch einige bereits zu den Kunden der Sauerländer. Man darf sie sich nicht vorstellen wie Garagen-Star-ups. Vielmehr sind es meist Hersteller mit viel finanziellem Hintergrund, entweder durch staatliche Unterstützung oder „Spin-Offs“ großer, finanziell gesunder Konzerne.

Kein Wachstum um jeden Preis

Auch Kirchhoffs sehen also auf dem chinesischen Markt ihre Möglichkeiten, setzen aber keineswegs vorbehaltlos alles auf diese Karte. „Wir wollen und werden in China weiter wachsen, aber man muss sich genau ansehen, was im Land geschieht. Das gilt nicht nur für das Thema Menschenrechte.“ Der Staat ist eine riesige Datensammelfabrik und stuft nicht nur die eigene Bevölkerung nach einem Punktesystem ein, sondern auch Unternehmen. Was aktuell bei der Bekämpfung der Pandemie ein Vorteil sein mag, birgt gerade für ausländische Unternehmen die Gefahr, Firmendaten preisgeben zu müssen ohne zu wissen, was damit passiert.

Nio gehört zu den bekannteren chinesischen Marken. Hier eine Konzeptstudie, die in Shanghai präsentiert wird. Auf dem chinesischen Markt entstehen in kürzester Zeit viele neue Marken, von denen nicht alle Bestand und nicht gerade alle Premiumformat haben. Dennoch bedeutet dies auch für Unternehmen wie Kirchhoff und Hella jede Menge neuer Kundschaft.
Nio gehört zu den bekannteren chinesischen Marken. Hier eine Konzeptstudie, die in Shanghai präsentiert wird. Auf dem chinesischen Markt entstehen in kürzester Zeit viele neue Marken, von denen nicht alle Bestand und nicht gerade alle Premiumformat haben. Dennoch bedeutet dies auch für Unternehmen wie Kirchhoff und Hella jede Menge neuer Kundschaft. © dpa | Ng Han Guan

„Wir werden unsere Chancen nutzten, aber wir wollen uns auf keinen Fall zu abhängig vom chinesischen Markt machen“, stellt Kirchhoff klar. Während in der Branche einige Hersteller bereits 40, 50 Prozent und mehr der Umsätze in China machten, haben sich die Sauerländer bewusst eine Obergrenze im niedrigen zweistelligen Prozentbereich gesetzt.

Vorfreude auf die IAA in München

Zwar ist eines von weltweit vier Entwicklungszentren in China (eins in Nordamerika und zwei in Europa). Aber die Technologien von morgen und übermorgen werden weiter in der Heimat entwickelt. Zudem sein die Märkte in Europa und Amerika für Kirchhoff genau so wichtig: „Auch Indien, andere asiatische Länder und Afrika darf man nicht vergessen“, betont der Vorstandsvorsitzende, der wegen der restriktiven Quarantäneauflagen dieses Mal nicht persönlich in Shanghai sein wird. Das sei sicherlich ein Manko.

Schwerpunkt Elektro

Die Auto Shanghai startete am Montag für die Presse. Vom 21. bis 28. April dürfen Besucher die Innovationen der rund 1000 Aussteller ansehen. 2019 kamen knapp eine Million Interessierte. 2021 sind alle großen deutschen Hersteller wie BMW, der Volkswagen-Konzern und Daimler, die mit dem vollelektrischen Kompaktmodell EQB, der Langversion der neuen C-Klasse und dem neuen viertürigen Coupés CLS gleich drei Weltpremieren in China zeigen.

Umso mehr freut er sich auf die IAA, die im September dieses Jahr erstmals in München stattfinden soll und mehr als eine reine Autoschau sein will. Vielmehr eine Messe, die die Mobilitätskonzepte der Zukunft zeigen will. Kirchhoff ist überzeugt, dass dazu allen Unkenrufen zum Trotz ganz sicher auch weiter der eigene Pkw gehören wird: „Der Mensch möchte nach wie vor mobil sein, dazu gehört auch individuelle Mobilität.“

Hella aus Lippstadt macht Autoschlüssel überflüssig – aber vorerst nur in China

Der Licht- und Elektronikexperte Hella aus Lippstadt ist in Shanghai 2021 mit einem 200 Quadratmeter großen Stand vertreten. Im Mittelpunkt der Präsentation stehen Technologie-Highlights für zentrale Markttrends wie Elektrifizierung und Autonomes Fahren, Digitalisierung und Konnektivität sowie Individualisierung.

Im Hella-Lichtwerk in China produziert der Licht- und Elektronikkonzern aus Lippstadt chipgesteuerte LED-Scheinwerfer für den chinesischen Markt, die jetzt in Shanghai gezeigt werden.
Im Hella-Lichtwerk in China produziert der Licht- und Elektronikkonzern aus Lippstadt chipgesteuerte LED-Scheinwerfer für den chinesischen Markt, die jetzt in Shanghai gezeigt werden. © Unbekannt | Hella/Hella

Als Weltmarktführer für Batterie- und Leistungselektronik spielt Hella eine zentrale Rolle bei der Elektromobilität. In Zusammenarbeit mit einem chinesischen Zellhersteller präsentieren die Lippstädter unter anderem das PowerPack 48 Volt, das Leistungselektronik und Batteriemanagement in einem Produkt integriert und voraussichtlich 2024 in Shanghai in Serie gehen wird. „Es ermöglicht Einsparungen von 5 bis 6 Gramm CO2 pro gefahrenen Kilometer“, versichert Hella.

Ganz praktisch, aber zunächst nur für China entwickelt: Smart Car Access für freihändigen Fahrzeugzugang. Ein Schlüssel wird überflüssig. Das System öffnet und schließt das Auto über das Smartphone automatisch, wenn sich der Fahrer bis auf drei Meter nähert oder entfernt. Für das Smart Car Access System, dessen Serienproduktion im vergangenen Jahr gestartet ist, hat Hella bereits mehrere Großaufträge von chinesischen Automobilherstellern erhalten. Hella zeigt in Shanghai auch eine Reihe chipgesteuerter LED-Scheinwerfer, die seit 2020 im eigenen Werk in Jiaxing produziert werden.