Essen. Vegane Lebensmittel erobern auch die Gastronomie, glaubt Metro-Innovationschef Fabio Ziemßen. Beim Laborfleisch liege Deutschland weit zurück.
Was unsere Kinder und Enkel essen, wissen wir. Aber was werden deren Kinder und Enkel dereinst essen? Wovon ernähren sich im Jahr 2050 die dann rund zehn Milliarden Menschen? Die Küche der Zukunft sucht vor allem eines: Ersatz für Fleisch und Fisch. Vegane und vegetarische Produkte haben in der Corona-Pandemie einen Riesen-Schub bekommen. Doch es gibt noch viel Luft nach oben – auch, was Vielfalt und Geschmack angeht. Nie waren die Chancen für Food-Start-ups besser, sagt Fabio Ziemßen, der für die Metro Innovationen sucht, in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ auf der Start-up-Messe Ruhrsummit. Zugleich warnt er die deutsche Lebensmittelindustrie, mit der Entwicklung von Laborfleisch die nächste große Entwicklung zu verschlafen.
Der 35-Jährige ist Chef von Next Generation Food. Die Tochter der Metro will nicht einfach abwarten, ob und wie sich die Ernährungsgewohnheiten verändern, sie will auch beeinflussen. „Kundenorientierung bedeutet für mich immer auch, den Kunden Orientierung zu geben. Und dazu gehört, den Gastronomen pflanzenbasierte Alternativen zu bieten, sich in dem Bereich mal auszuprobieren“, sagt Ziemßen, „unser Anspruch ist ganz klar, diese Entwicklung mitzugestalten und da auch vorne zu sein.“ So habe NX Food für die Metro 2018 die ersten Beyond-Meat-Burger des amerikanischen Marktführers nach Europa geholt, die sich inzwischen als Fleischalternative aus Erbsenprotein etabliert haben.
Pandemie beschleunigt Veggie-Trend
Die Pandemie hat den Trend zu bewussterer und gesünderer Ernährung stark beschleunigt, einer Studie des Marktforschungsinstituts Nielsen zufolge stieg der Absatz vegetarischer Produkte im Handel um rund 40 Prozent, vegane Produkte legten gar um 59 Prozent zu. In Deutschland ist die mit klassischen Wurstprodukten groß gewordene Rügenwalder Mühle längst Marktführerin bei vegetarischen und veganen Alternativprodukten. Insgesamt produzierten die deutschen Hersteller im Corona-Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt knapp 40 Prozent mehr Fleischersatzprodukte.
Was nach sehr viel klingt, ist im Vergleich zum Fleischabsatz allerdings immer noch sehr wenig: Der Umsatz mit fleischlosen Produkten macht weniger als ein Prozent der tierischen aus – auf eine Tofuwurst kommen also mehr als 100 Bratwürste aus Schwein oder Geflügel. Die Deutschen essen zwar jedes Jahr etwas weniger Fleisch – 2020 senkten sie ihren Konsum um 750 Gramm auf durchschnittlich 57,3 kg. Doch gerade weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist, setzt Ziemßen große Erwartungen in Fleischprodukte, die aus echten Zellen im Labor entwickelt werden.
Große Hoffnungen auf zellbasiertem Fleischersatz
Für diese zellbasierten Fleischprodukte müssen keine Tiere mehr gezüchtet und geschlachtet werden, die Schnitzel und Würstchen sollen aber nicht anders schmecken. Studien gehen davon aus, dass aus Stammzellen in Nährlösungen gezogenes Laborfleisch bereits ab 2028 zum gleichen Preis wie herkömmlich erzeugtes Fleisch verkauft werden kann. Für den Konsumenten, der Fleisch gewohnt ist und auch nicht missen möchte, sei eine solche „1:1-Kopie“ der einfachste Weg sich umzustellen. Mit Blick auf die wachsende Weltbevölkerung und die Klimabelastung durch die konventionelle Tierhaltung und Fleischproduktion sei das besonders vielversprechend.
Diese Entwicklung drohe Deutschland zu verschlafen, warnt der Metro-Manager: „Wenn man sieht, was international auf diesem Gebiet passiert, etwa in Singapur, Israel, den Niederlanden und an der US-amerikanischen Westküste, müssen wir wirklich aufpassen, diesen Zug nicht ähnlich wie bei der Elektromobilität zu verpassen“, sagt Ziemßen. Es gebe hierzulande bisher nur einzelne Start-ups in der zellulären Landwirtschaft, und die Fleischindustrie merke langsam, dass da etwas Neues entstehe. „Wacht auf, es wäre gefährlich, wenn wir diese Entwicklung verschlafen“, ruft Ziemßen ihnen zu. NX Food würde gerne Unternehmen aus diesem Bereich helfen, in den Markt zu kommen.
Gastronomie hinkt Trend noch hinterher
Aktuell ist die Metro-Tochter aber gut damit beschäftigt, alternative Produkte in der Gastronomie zu etablieren. Während sie nach den Supermärkten auch die Discount-Riesen erobert haben und dort ein Regal nach dem anderen füllen, sind die Speisekarten vieler Restaurants noch immer sehr fleischlastig. Ziemßen, der sich selbst zu den „Flexitariern“ zählt, also nur hin und wieder Bio-Fleisch isst, ist überzeugt, dass sich das ändern wird, allein durch die vielen Neueröffnungen. Aber auch „das klassische Grillhaus kann nicht mehr nur einen Salat als einziges veganes Gericht anbieten“, glaubt er.
NX Food suche für die Metro mehr pflanzenbasierte und fermentierte Alternativen für Fleisch, Milchprodukte und verstärkt auch für Fisch. Denn je mehr Auswahl ein Koch habe, desto einfacher sei es für ihn, Neues auszuprobieren. Ziemßen ist zudem sicher: „In der gehobenen Gastronomie haben die Köche ohnehin den Anspruch, sich weiterzuentwickeln, also auch mehr fleischlose Gerichte zu entwickeln.“
Investoren pumpen Milliarden in Veggie-Branche
Für Start-ups im Food-Bereich seien die „Marktgegebenheiten optimal“, ermutigt Ziemßen potenzielle Gründer. Es fließe weltweit sehr viel Risikokapital in fleischlose Innovationen. Die Investitionen in zellbasierte Fleischprodukte hätten sich zuletzt versechsfacht, in pflanzliche Alternativen sei dreimal so viel Kapital geflossen. „Wir sehen hier ein exponentielles Wachstum“, sagt Ziemßen. Daran wollen NX Food und die Metro teilhaben.