Gelsenkirchen. Der neue Vivawest-Chef Uwe Eichner will nicht nur Wohnungen vermieten, sondern auch Strom produzieren. Warum Mieter Untertischgeräte erhalten.

Stolz führt Uwe Eichner durch die futuristischen Räume im Turm auf der ehemaligen Zeche Nordstern in Gelsenkirchen. Hier sollen Vivawest-Teams kreative Ideen entwickeln. Doch Kino und Kaminzimmer sind verwaist. Die meisten Beschäftigten des Wohnungskonzerns sind wegen der Corona-Pandemie im Homeoffice. Im September 2020 hatte der Aufsichtsrat Uwe Eichner zu ihrem Chef berufen. Der Vorsitzende der Geschäftsführung spricht im WAZ-Interview über seine Neubau-Pläne und wie er die Energiewende stemmen will.

Herr Eichner, Sie haben die Führung von Vivawest am 1. Januar mitten im Lockdown übernommen. Wie war der Start in Ihrer fast leeren Gelsenkirchener Zentrale?

Uwe Eichner: Am ersten Tag haben mich nur meine beiden Geschäftsführungskollegen und die Assistenz empfangen. Die ansonsten leeren Flure waren schon seltsam. Das erste Kennenlernen fand über viele virtuelle Runden und ein digitales Town-Hall-Meeting mit den Mitarbeitern statt. Im Sommer können wir die persönlichen Begegnungen hoffentlich nachholen. Zum Glück kenne ich noch viele Kolleginnen aus meiner Zeit bei unseren Vorgängergesellschaften.

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Was hat Sie von Köln nach Gelsenkirchen gezogen?

Eichner: Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 14 Jahren Wochenend-Ehe kann ich jetzt wieder jeden Abend bei meiner Familie in Oberhausen sein. Für mich ist es aber auch inhaltlich eine Weiterentwicklung. Mein bisheriges Engagement bei der GAG Immobilien AG umfasste 45.000 Wohnungen in Köln. Vivawest ist mit 120.000 Wohnungen in nahezu 100 Städten und Gemeinden vertreten.

Wie sind Sie in die Wohnungswirtschaft gekommen?

Eichner: Ich war kein besonders guter Schüler und habe mich in Oberhausen von der Hauptschule zur Realschule und schließlich zum Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hochgehangelt. Nach meinem Studium der Betriebswirtschaft wollte ich eigentlich zu Mannesmann, landete dann aber als Trainee bei der RAG. Da bin ich dann vom Controlling über das Beteiligungscontrolling zu den Immobilien gekommen. Zuletzt war es dort meine Aufgabe, die vielen Wohnungsunternehmen der RAG zu bündeln. Auch daraus ist dann später Vivawest entstanden.

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Sie haben von Ihrer Vorgängerin Claudia Goldenbeld ein gewaltiges Investitionspaket von 3,3 Milliarden Euro bis Ende 2025 „geerbt“. Gibt Vivawest damit die richtigen Antworten auf Wohnungsnot und Klimawandel?

Eichner: Es ist richtig, dass sich Vivawest nach den Jahren der Zusammenführung von Evonik Immobilien und THS wieder intensiver dem Neubau zuwendet. Bis auf die kommunalen Unternehmen haben fast alle privaten Wohnungsunternehmen die Bautätigkeit in der Vergangenheit vernachlässigt. Vivawest hat als eines der wenigen Unternehmen sehr früh mit dem Neubau begonnen und nimmt nun von den rund 3,3 Milliarden Euro Investitionen etwa 1,5 Milliarden Euro in die Hand, um bis Ende 2025 jährlich 1300 Wohnungen neu zu bauen. Diese hohe Schlagzahl wollen wir auch in der Zukunft halten.

Ihre Branche klagt über stark steigende Baukosten und Grundstückspreise. Werden die neuen Wohnungen bezahlbar sein?

Eichner: Nahezu 20 Prozent werden wir öffentlich gefördert errichten. Wir bauen für alle Einkommensklassen nicht nur an der Rheinschiene, sondern unter anderem auch rund 2000 Wohnungen bis Ende 2025 in Bochum, Dortmund und Essen. Das Ruhrgebiet ist und bleibt unsere DNA.

Was haben Sie mit den restlichen 1,8 Milliarden Euro vor?

Eichner: Wir wollen im Rahmen der energetischen Gebäudemodernisierung jährlich rund 1750 Wohnungen modernisieren und bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein. Dieser Mammutaufgabe stellen wir uns. Wir können

Uwe Eichner will Vivawest auch zum Stromproduzenten machen.
Uwe Eichner will Vivawest auch zum Stromproduzenten machen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

den CO2-Ausstoß aber nur dann erheblich drosseln, wenn wir als Immobilienunternehmen Stromproduzent und damit als Energieversorgungsunternehmen Wettbewerber von Stadtwerken und Energiekonzernen werden. Weil mir der Glaube fehlt, dass in absehbarer Zeit ausreichend Wasserstoff als Ersatz von Erdgas zur Verfügung stehen wird, müssen wir die Sonnenenergie auch zum Heizen nutzen und Photovoltaik-Anlagen auf die Dächer bringen. Den Solarstrom werden wir unseren Mietern zu günstigen Konditionen anbieten können. Aber auch das ist ein Vertriebsrisiko, weil wir nicht wissen, ob sie den Strom dann wirklich von uns beziehen wollen. Da liegt noch eine Menge Überzeugungsarbeit vor uns.

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Was kommt da auf Ihre Kunden zu?

Eichner: Dekarbonisierung bedeutet Elektrifizierung. Wir werden wieder Untertischgeräte für warmes Wasser einbauen. Vor 20 Jahren haben wir sie ausgebaut, weil das warme Wasser aus den Heizkesseln kam. Nach dem Ende von Kohle, Öl und Gas müssen wir auch über Lösungen mit Strom als Energieträger nachdenken, um Wasser für Heizkörper auf 60 bis 70 Grad aufzuwärmen. Überschüssigen Solarstrom könnten wir in die Ladesäulen für E-Mobilität leiten. Dafür ist in den Städten aber noch keine Infrastruktur vorhanden. Man kann nicht einfach eine Ladebox an die Wand hängen, sondern benötigt hoch leistungsfähige Leitungen und Transformatoren.

Wird Vivawest jetzt alle Dächer mit Solar-Modulen bestücken?

Eichner: Wenn es uns gelingt, in den nächsten fünf Jahren alle geeigneten nach Süden gerichteten, unverschatteten Dächer mit Photovoltaikanlagen auszustatten, wäre das ein riesiger Erfolg. Diese Investitionen müssen natürlich wirtschaftlich und technisch darstellbar sein. Wir haben gerade eine Klimaschutzstrategie verabschiedet, mit der wir uns klare Leitplanken setzen.

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Die Bundesregierung hat ihren Plan gestoppt, die CO2-Abgabe auf Wärme je zur Hälfte auf Mieter und Vermieter aufzuteilen. Sind Sie erleichtert?

Eichner: Ich begrüße das, bin mir aber nicht sicher, ob der Plan nur bis nach der Bundestagswahl vertagt ist. Die CO2-Bepreisung halte ich im Grundsatz für richtig. Wir als Wohnungswirtschaft kämpfen aber für ein gerechtes Modell, das Hauseigentümer, die in Dämmung und Heizung investiert haben, nicht über die CO2-Abgabe bestraft. Auf der anderen Seite sollten diejenigen Vermieter höhere Lasten tragen, die wenig oder nichts investieren. Allerdings sollte auch das subjektive Nutzerverhalten der Mieter bei der CO2-Bepreisung berücksichtigt werden. Das wäre gerecht.

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Ihr Bochumer Nachbar Vonovia übernimmt die Deutsche Wohnen, die LEG breitet sich über NRW hinweg aus. Welche Pläne haben Sie für Vivawest?

Eichner: Wir wollen keine Unternehmen schlucken, sondern unsere Bestände qualitativ weiterentwickeln. Natürlich lässt es sich wirtschaftlicher Arbeiten, je größer und damit einkaufsmächtiger ein Unternehmen ist. Unsere Zielregion bleibt aber NRW. Wenn es gute Gelegenheiten gibt, werden wir Wohnungen zukaufen – aber auch verkaufen, das heißt: uns auf unseren Kernbestand konzentrieren.

Für Neubau, energetische Sanierungen und Zukäufe braucht Vivawest Kapital. Wäre ein Börsengang für Sie eine Option?

Eichner: Unser Unternehmen an die Börse zu bringen, halte ich weder für notwendig noch für sinnvoll. Unsere Eigentümer RAG-Stiftung, IGBCE, RAG und Evonik sind für Vivawest eine sichere Bank und können Kapitalmarktfinanzierungen günstig platzieren.

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Wie ist Vivawest durch die Corona-Krise gekommen?

Eichner: Unsere Mitarbeiter konnten rasch mobil arbeiten. Auf unseren Baustellen gab es kaum Verzögerungen und bei den wenigen corona-bedingten Zahlungsschwierigkeiten unserer Mieter konnten wir stets Lösungen finden. In der Pandemie erfuhr die Wohnung eine größere Wertschätzung. Wir haben zusätzlich eine Million Euro in unsere Stiftung gegeben, um Mieter und Nachbarschaften zu unterstützen.

Und Sie haben Pakete an Kitas und Altenheime verteilt.

Eichner: Wir wollten den besonders belasteten Mitarbeitern in Kitas oder Pflegeheimen in unseren Quartieren danken. Deshalb haben wir als Zeichen der Anerkennung gegenüber diesen „Pandemie-Helden“ 4500 Pakete mit Delikatessen an Pflegekräfte oder Erzieherinnen verschenkt und dafür sehr viel Dankbarkeit erfahren.

>>> Zur Person: Uwe Eichner

Uwe Eichner wurde 1963 in Oberhausen geboren. Mit seiner Familie lebt er im Stadtteil Klosterhardt.

Nach dem Studium der Betriebswirtschaft ging Eichner zur RAG. 2007 folgte er dem Ruf der GAG Immobilien AG in Köln – ein Unternehmen, das sich mehrheitlich im Besitz der Stadt Köln befindet, aber an der Börse notiert ist.

Nach seinem Wechsel zu Vivawest in Gelsenkirchen will Eichner Köln vor allem über sein Hobby verbunden bleiben: Karneval.