Hagen. Die Klimadebatte und damit die CO2-Reduktionsziele treiben das Thema Wasserstoff plötzlich mit Hochdruck vorwärts. Aber reicht das Tempo?

Wasserstoff (H2) als Energieträger ist seit Langem bekannt. Fast wundert es, dass das Interesse an H2-Technologien plötzlich rasant in den Fokus von Unternehmen und Politik gerät – wären da nicht die Zwänge des ökologischen Umbaus der Wirtschaft, um die national und auf europäischer Ebene vorgegebenen Klimaziele (vielleicht) erreichen zu können. Das Interesse spielt sich nicht mehr nur auf Meta-Ebenen politischer Eliten in Brüssel, Berlin oder Düsseldorf ab. Das Thema hat inzwischen sehr konkret die Region erreicht.

Chancen für Autozulieferer

Beim ersten durch Automotiveland.NRW, die Südwestfälische Industrie- und Handelskammer (SIHK) und den beiden Wirtschaftsförderungsgesellschaften EN-Agentur und GWS-MK organisierten „Südwestfälischen Wasserstoff Summit“ am Dienstag informierten und diskutierten über einhundert Teilnehmer im digitalen Format über die ganz konkreten Möglichkeiten, Wasserstoff im Unternehmen zu nutzen oder nicht zuletzt Chancen für neue Produkte etwa der Automobilzulieferer in der Region zu entdecken. Das gilt beispielsweise für das Mendener Unternehmen HJS, einem führenden Hersteller für Abgasreinigungssysteme für Pkw, Busse und Lkw, insbesondere für Dieselfahrzeuge. Klar scheint, dass diese Technologie absehbar endet oder, falls es zum bezahlbaren Einsatz synthetischer Treibstoffe kommt, mindestens nicht mehr den Marktanteil haben wird, wie in der Vergangenheit.

Dazu wird der der Einsatz von Elektromobilität zu vehement und kaum umkehrbar forciert. Wurde E-Mobilität in den vergangenen Jahren vor allem batterieelektrisch gedacht und befördert, erlebt die eigentlich vielversprechendere Brennstoffzellentechnologie allmählich mehr Wertschätzung. Dass H-Busse „seit Jahren bereits erfolgreich im ÖPNV eingesetzt werden“, wie Ralf Stoffels, Präsident der Industrie- und Handelskammer Hagen (SIHK) und IHK-NRW-Präsident beim H-Gipfel anmerkte, ist vielleicht etwas übertrieben. Es gibt Projekte wie bei den Wuppertaler Stadtwerken, auch andere Städte wie Hagen denken über den ergänzenden Einsatz nach, allerdings sind diese Fahrzeuge im Vergleich zu Dieselbussen immer noch recht teuer – und waren, wie Brennstoffzellen betriebene Lkw, lange ein rares Gut – jedenfalls von deutschen Herstellern kaum zu bekommen.

Kehrtwende bei Daimler

Auch hier ändern sich die Zeiten, wie man an Daimler sieht. Der Konzern war lange führend bei dieser Technologie, ließ schon vor einem Jahrzehnt B-Klasse-Autos einmal um die Welt rollen, um die Alltagstauglichkeit zu beweisen, hat dann aber die Schublade wieder verschlossen und das lukrative Geschäft mit konventionellen Verbrennern weiter laufen lassen. Erst mit den Zwängen durch die nun amtlichen Klimaziele und den damit verbundenen Druck zur CO-Reduktion erlebt diese Technik ihre Renaissance.

Diesen Druck spürt die Wirtschaft auch an anderer Stelle. Insbesondere Industriebetriebe, die mit hohem Energieeinsatz produzieren, wie die Hagener Kaltwalzunternehmen Waelzholz und Bilstein oder die Papierfabrik Kabel Premium Pulp&Paper in der Volmestadt haben dringenden Bedarf und ein ganz ähnliches Problem wie beim Betrieb von Fahrzeugen auf der Straße: Es fehlt an Infrastruktur. Hier die Tankstellen, dort die Versorgung über Pipelines in die Industriegebiete.

Wichtig für das Industrieland NRW

Nordrhein-Westfalen will den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit rund vier Milliarden Euro beschleunigen: Bis 2025 sollen erste Großanlagen in Betrieb gehen, die ersten gut 100 Kilometer (viel ist das nicht) eines Pipeline-Netzes installiert und 400 Brennstoffzellen-Lkw unterwegs sein.

Auf 130.000 neue Arbeitsplätze rund um Wasserstoffwirtschaft schätzt man das Potenzial. Vor allem aber ist NRW ein Industrieland – und soll es auch bleiben.

Während der Aufbau der Infrastruktur – ob Pipelines oder Tankstellen noch Jahre dauern wird, werden Unternehmen bereits zur Kasse gebeten – über die nationale CO2-Steuer (aktueller Preis seit 2021: 25 Euro/Tonne CO2-Ausstoß). Ein Politikum, über das der Bundestag gerade noch berät, um zu verhindern, dass Unternehmen im internationalen Wettbewerb wegen dieser Kosten nicht mehr wettbewerbsfähig sein, Investitionen lieber im Ausland tätigen und statt neuer Arbeitsplätze alte verloren gehen könnten.

Auch weil die CO2-Steuer schnell deutlich steigen soll, ist Tempo beim H2-Ausbau so notwendig.

Ende vergangenen Jahres hat die Landesregierung dazu eine „Roadmap H2“ vorgestellt. Aktuell hofft man in Düsseldorf, ein Zentrum für Brennstoffzellentechnologie in Duisburg etablieren zu können. Beim Gipfel am Dienstag bezeichnete Christoph Dammermann „Wasserstoff als eines der zentralen Elemente für eine erfolgreiche Energiewende bis 2050 oder vielleicht besser 2045“. Dammermann ist als Staatssekretär quasi die rechte Hand von Andreas Pinkwart im Landeswirtschafts-, oder wie Dammermann launig anmerkt, „besser Wasserstoffministerium“.

Potenzial der Gasinfrastruktur

Es bewegt sich neuerdings einiges in Richtung H2. „Was uns fehlt, ist die schnelle Umsetzung. Wir brauchen eine universelle, aber auch eine regionale Strategie“, drängelt IHK-Präsident und Unternehmer Stoffels. Dass ein Austausch auf möglichst vielen Ebenen zum Thema sinnvoll ist, zeigte sich am Dienstag deutlich. Vielen Unternehmen war keineswegs bewusst, welche Möglichkeiten es zur Versorgung der eigenen Produktion mit H2 statt Gas als Energieträger geben könnte. Beispielsweise über nicht mehr genutzte L-Gas-Leitungen oder eine Anbindung an das Projekt „RuH2r“, das im Raum Hagen Hoffnung bei Firmen entlang des Industriegebiets Lennetal weckt. Allerdings, darauf wies ein Vertreter des Gasnetzbetreibers Open Grid Europe hin, wird es trotz günstiger Voraussetzungen noch ein paar Jahre mit der Anbindung an das H2-Netz dauern, womöglich sogar bis zum Jahr 2030. So schnell wie plötzlich gewünscht, lässt sich der H2-Schalter nicht umlegen – schon gar nicht in „grün“, also über Wind- oder Sonnenstrom erzeugt.