Essen. Verdi fordert mehr Wertschätzung für Verkäuferinnen. Im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ berichtet Maurike Maaßen über Angriffe durch Kunden.
Im vergangenen Jahr bedankten sich die Kunden bei Maurike Maaßen und ihren Kolleginnen noch mit Schokolade und freundlichen Worten für deren Einsatz in der Corona-Krise. Doch nach Monaten der Pandemie habe sich die Stimmung merklich verschlechtert. „Wir werden verbal, zum Teil aber auch körperlich angegriffen“, berichtet die Verkäuferin und Betriebsrätin beim Discounter Netto im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.
Seit der Ansturm auf Klopapier und Konserven im März des vergangenen Jahres begann, arbeiten die Beschäftigten in Supermärkten und Discountern bis zum Anschlag. Maurike Maaßen ist in der Netto-Filiale im Essener Stadtteil Altenessen tätig. „Der Umgang mit den Menschen und das Reden sind für mich das Schönste an meinem Beruf“, bekennt sie im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.
Doch das innige Verhältnis zu den Kunden werde zunehmend auf die Probe gestellt. „Die Leute sind nervlich am Ende“, berichtet die Verkäuferin. Sie beobachtet unter den Verbrauchern eine wachsende Aggressivität und eine abnehmende Bereitschaft, sich an Hygieneregeln zu halten. „Viele gehen ohne Einkaufswagen rein. Im Laden sind oft mehr Leute als erlaubt.“
Verkäuferinnen haben Angst vor dem Virus
Maaßen fordert ihren Arbeitgeber deshalb auf, wieder Sicherheitsdienste mit der Eingangskontrolle zu beauftragen – so wie es im ersten Lockdown der Fall war. Denn unter den Beschäftigten wüchsen die Sorgen. „Die körperliche Arbeit ist schon anstrengend genug. Die Angst ist groß, jetzt auch noch das Virus mit nach Hause zu nehmen.“
Die sonst so couragierte Betriebsrätin ist verzweifelt: „Wir kriegen alles ab“, klagt sie und betont im gleichen Atemzug: „Netto tut ziemlich viel für unsere Sicherheit.“ Obgleich Maaßen ihrem Arbeitgeber nicht verziehen hat, dass er im vergangenen Jahr dem hoch belasteten Personal zunächst keine Corona-Prämie gezahlt, sondern nur ein kostenloses Onlinekonzert mit Peter Maffay angeboten habe. „Bei uns hat das niemand geguckt“, ärgert sich Maaßen noch heute, ist aber inzwischen halbwegs versöhnt. „Von Netto bekommen wir jetzt Einkaufsgutscheine.“
Tarifverhandlungen im Einzelhandel starten am 5. Mai
Die Geste kommt gut an und ist ein Stück der Wertschätzung, die die Gewerkschaft Verdi von den Arbeitgebern einfordert. Mitten in der dritten Infektionswelle startet am 5. Mai die Tarifrunde für die 700.000 Beschäftigten im nordrhein-westfälischen Einzelhandel. Verhandlungsführerin auf Arbeitnehmerseite ist Silke Zimmer. Im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ erklärt sie, warum sie es trotz Pandemie für richtig hält, 4,5 Prozent mehr Gehalt, einen Zuschlag von 45 Euro monatlich, einen rentenfesten Mindestlohn von 12,50 Euro pro Stunde und die Allgemeinverbindlichkeit des Flächentarifvertrags für alle Unternehmen zu fordern.
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„Der NRW-Einzelhandel hat im vergangenen Jahr mit real vier Prozent das größte Umsatzplus seit 1994 erreicht“, betont Zimmer. „Wertschätzung muss sich auch in Gehältern niederschlagen. Die Forderung von 4,5 Prozent ist nicht unverschämt“, meint auch Maurike Maaßen.
Zumal nach Verdi-Angaben rund 60 Prozent der 3,1 Millionen Beschäftigten, zum größten Teil Frauen, im deutschen Einzelhandel Teilzeit-Verträge haben und nur 1200 bis 1300 Euro monatlich verdienen. Rund ein Viertel sei überdies nur geringfügig beschäftigt. „Da reicht das Geld zum Leben nicht. Die Frauen gehen auf dem Zahnfleisch“, meint Silke Zimmer. Während Verkäuferinnen in den Bereichen Lebensmittel und Drogerie am Rande der Belastungsfähigkeit stehen, befinden sich die Kolleginnen etwa aus dem Textil- und Schuhhandel wegen des Lockdowns zu großen Teilen in Kurzarbeit und müssen mit 60 bis 67 Prozent ihres Nettoentgelts zurecht kommen.
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„Frauen tragen die Hauptlast der Pandemie“, betont Zimmer und verweist auf die Betreuung von Kindern beim Homeschooling und außerhalb der ohnehin schon verkürzten Kita-Zeiten. „Eine unbezahlte Freistellung kann sich niemand leisten“, sagt sie.
Als Netto-Mitarbeiterin gehört Maurike Maaßen inzwischen zu einer Minderheit. Der Discounter zahlt nach Tarifvertrag – im Gegensatz zur Konzernmutter Edeka. Die allermeisten Supermärkte werden von selbstständigen Kaufleuten betrieben und unterliegen meist nicht der Tarifbindung. Die Zahlen, die Silke Zimmer nennt, sind ernüchternd: Danach gehören in Westdeutschland nur noch 30 Prozent der Einzelhandelsunternehmen zum Flächentarifvertrag, während die Zahl in der Gesamtwirtschaft bei 52 Prozent liege.
Verdi kämpft für Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen
„Für die Beschäftigten bedeutet das bis zu 30 Prozent weniger Entgelt“, ärgert sich die Verdi-Fachbereichsleiterin für den Einzelhandel in NRW. Seit Jahren pocht die Gewerkschaft deshalb auf eine Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags, wie sie 2001 erstmals eingeführt wurde. In der Tarifrunde ab Mai steht die Forderung erneut auf der Tagesordnung. Verhandlungsführerin Zimmer gibt sich aber keinen Illusionen hin. „Die Allgemeinverbindlichkeit muss beim Arbeitsministerium beantragt werden. Dazu brauchen wir die Unterstützung der Politik.“
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