Essen. Vonovia investiert viele Millionen ins Essener Eltingviertel und will beweisen, dass soziale Stabilität den Wert des Wohnquartiers steigern kann.
Als Vonovia-Chef Rolf Buch vor einiger Zeit im Essener Eltingviertel parkte, machte er sich nicht nur Sorgen um sein Auto. „Ich hatte Angst – und das inmitten von Essen“, bekannte der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands größtem Immobilienkonzern. Fünf Jahre nach Start der Sanierung hat sich die Lage am Rande der Innenstadt grundlegend gewandelt. Das neue Eltingviertel gilt inzwischen bundesweit als Vorzeigeobjekt für eine soziale und ökologische Quartiersentwicklung.
Arnd Fittkau gibt gern den Fremdenführer im Viertel. Der Vonovia-Vorstand mag die architektonische Handschrift des Unternehmers Hermann Elting, der Ende des 19. Jahrhunderts im Schatten der Zeche Victoria Mathias großzügige und hochwertige Mietshäuser baute. Doch mit der Schließung des Bergwerks im Jahr 1965 zogen viele Menschen weg. Mit ihnen der Einzelhandel und der Arzt. „Ältere Anwohner erzählen mir immer wieder von den Zeiten, als es hier noch einen Metzger, eine Apotheke und sogar ein Hotel gab“, berichtet Quartiersmanager Ralf Feuersenger.
Die Läden schlossen und die Kriminalität wuchs
Doch statt des ehemals pulsierenden Lebens wuchs inzwischen die Kriminalität. „Als wir im Jahr 2015 mit der Erneuerung gestartet sind, brauchten wir dort einen privaten Sicherheitsdienst, der für Ordnung sorgen musste. Jede vierte Wohnung stand wegen der sozialen Probleme leer“, erinnert sich Fittkau, um gleich hinzuzufügen: „Das ist heute ganz anders.“
Ein Jahr zuvor waren die Vonovia-Vorgängergesellschaft Deutsche Annington, die Stadt Essen, das Bottroper Stadtentwicklungsprojekt Innovation City und der Energieversorger Steag überein gekommen, das Eltingviertel mit seinen rund 4600 Haushalten und über 8000 Bewohnern zu sanieren. Gut zehn Jahre zuvor hatte die Diag, die inzwischen zur Vonovia gehört, dort 1400 Wohnungen von RWE übernommen. Mittlerweile hat der Energiekonzern seine Zentrale von der Essener Innenstadt an den Rand des Eltingviertels verlagert.
Fast 40 Millionen Euro will Vonovia in die Hand nehmen, um Schritt für Schritt die Häuser zu sanieren, Balkone anzubauen und die idyllischen Innenhöfe von heruntergekommenen Garagen zu befreien. Die Modernisierung einiger Häuser steht noch ebenso an wie die Gestaltung des zentralen Platzes inmitten des Eltingviertel, um den die Essener Kommunalpolitik noch ringt. Am Rande des Viertels baut Vonovia neue Wohnungen für Studenten und Singles.
„Ein Eigentümer muss mit Investitionen beginnen. Dann werden auch die anderen folgen“, sagt Fittkau. Im Eltingviertel sei das gelungen. „Wir haben selbst ein Ladenlokal angemietet, um das Problem mit einer Spielhalle zu lösen. In den Räumen ist jetzt eine Pop-up-Galerie, die wir wechselnden Künstlern kostenlos zur Verfügung stellen.“
Obwohl Vonovia viele Millionen Euro in die Siedlung pumpt, könne nicht von einer Luxussanierung die Rede sein, betont Fittkau. Für eine Reihe modernisierter Wohnungen gebe es eine Mietobergrenze von 6,25 Euro pro Quadratmeter. „Die Mieter sparen allein schon zwei Euro pro Quadratmeter bei den Heizkosten, weil wir Nachtspeicher durch Heizungen mit grüner Fernwärme ersetzt haben“, so der Manager. Für die Energieversorgung sorgt das Essener Unternehmen Steag.
„Megatrends wie soziale, ökologische und nachhaltige Verantwortung“
Fittkau ist davon überzeugt, dass sich Investitionen ins Eltingviertel auch betriebswirtschaftlich rechnen. „Die soziale Stabilisierung eines Quartiers steigert die Werthaltigkeit der Immobilien und findet Lösungen zur Einsparung von CO2“, sagt er. In der Branche und bei Investoren hat sich offenbar die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht mehr ausreicht, allein auf die Rendite zu schauen.
„Die Unternehmen wollen den Wert ihrer Immobilien langfristig sichern. Dazu gehören auch Megatrends wie soziale, ökologische und nachhaltige Verantwortung“, betont Fittkau und geht noch einen Schritt weiter: „Mit dem Bewusstsein von heute wären viele Probleme in den Wohnquartieren vielleicht gar nicht erst entstanden. Heute würde der Strukturwandel auch in der Wohnungswirtschaft insgesamt anders flankiert“, meint der Vonovia-Vorstand. „Soziale Fragen werden heute bei allen Entscheidungen mitgedacht.“
>>> Akademie für Quartiersentwickler
Der Vonovia gehören deutschlandweit rund 580 weitere Quartiere in der Größenordnung des Eltingviertels. “Diese zusammenhängenden Siedlungen machen 70 Prozent unseres Bestands aus“, sagt Vorstand Arnd Fittkau.
Um ihre Quartiersentwickler über einen Zeitraum von zwölf Monaten auszubilden, hat der Dax-Konzern zu Jahresbeginn in Bochum eine Akademie an den Start gebracht. “In unserer Akademie fließt die Lernkurve aus dem Eltingviertel ein. Dort bilden wir unsere regional verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sukzessive aus, in Stadtentwicklung zu denken. In diesem Jahr wegen Corona zunächst leider nur digital“, so Fittkau.