Essen. Trotz Gewerbeflächennot flammt wieder ein Streit unter den Revierstädten auf. RVR-Direktorin Geiß-Netthöfel machen die „Störfeuer“ große Sorgen.
Das Ruhrgebiet ist bei Investoren gefragt. Der Gewerbeflächenvorrat reicht einer Studie zufolge gerade einmal noch drei Jahre. Die vor der Kommunalwahl von allen 53 Städten demonstrierte Einigkeit, gemeinsam Industriebrachen für die Ansiedlung von Unternehmen auszuweisen, hat inzwischen aber Löcher bekommen und macht der Spitze des zuständigen Regionalverbands Ruhr (RVR) ernsthafte Sorgen.
„Es ist nicht nachvollziehbar, dass es aus einigen Kommunen plötzlich Widerstand gibt. Die Störfeuer machen uns große Sorgen“, sagt RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel. Sie ärgert maßlos, dass der bisherige Konsens, für 24 Brachen rasch Planungsrecht zu schaffen, durch Bürgerinitiativen und Bedenken von Politikern plötzlich in Gefahr gerate. „Bei der Flächenpolitik darf nicht das Prinzip ,Bitte nicht vor meiner Haustür‘ gelten. Das Ruhrgebiet muss hier zusammenstehen und Proteste gegen neue Gewerbegebiete auch einmal aushalten“, fordert Geiß-Netthöfel.
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Es sind ungewohnte Worte aus dem Mund der RVR-Direktorin. Nachdem im vergangenen Jahr die Verabschiedung des Regionalplans, der die Ausweisung von Wohn- und Gewerbeflächen für die Zukunft regeln sollte, vorerst gescheitert war, hatten sich die Revierstädte darauf verständigt, rasch 24 sogenannte Kooperationsstandorte auszuweisen, deren Entwicklung und Bewirtschaftung sich mehrere Kommunen teilen, um ihre Flächennot zu lindern. Jetzt stellt sich aber heraus, dass die Akzeptanz von Standorten etwa in Schermbeck, Schwelm, Dinslaken und Sprockhövel schwindet.
Geiß-Netthöfel appelliert an das Ruhrparlament
Sollte es für diese und andere Flächen vor Ort keine politische Mehrheit geben, droht nach Lesart des RVR das gesamte Konzept zu scheitern. „An den 24 Kooperationsstandorten haben wir einen Bedarf von 1300 Hektar ermittelt. Es gibt eine Grenze. Unter 1000 Hektar ist kein regionaler Bedarf zu begründen. Die fünf sehr umstrittenen Standorte kommen aber auf über 400 Hektar“, erklärt Geiß-Netthöfel die komplizierte Gemengelage und wirbt für Akzeptanz: „Ich kann nur an die Politik im Ruhrparlament appellieren, die Kooperationsstandorte trotz des Widerstands in manchen Kommunen mitzutragen. Sonst drohen Verzögerungen etwa für Projekte in Duisburg und Kamp-Lintfort, die schon weit gediehen sind.“ Und die Regionaldirektorin versucht, den skeptischen Kommunen argumentativ goldene Brücken zu bauen. „Bei den Kooperationsstandorten handelt es sich um eine Angebotsplanung. Es gibt für die Stadträte keinen Zwang, sie auch umzusetzen und dort Unternehmen anzusiedeln“, betont sie und weist aber auch gleichzeitig darauf hin: „Allerdings können die Kooperationsstandorte dann auch nicht für Wohn- und Freizeitzwecke genutzt werden.“
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Die neu entflammte politische Debatte löst vor allem bei den Wirtschaftsförderern der Region Alarmstimmung aus. „Es macht mir große Sorgen, dass im Ruhrgebiet nur noch 680 Hektar verfügbar sind, die wir kurzfristig nutzen können“, sagt Rasmus C. Beck. Den Geschäftsführer der Business der Metropole Ruhr treibt überdies um, dass es sich bei diesen Brachen „um viele kleine Flächen handelt, die nicht zusammenhängend und die zumeist in privater Hand sind“. Spektakuläre Ansiedlungen wie die Batteriefabrik des Elektroautobauers Tesla wären im Ruhrgebiet deshalb gar nicht möglich. Aber auch kleinere Anfragen von Unternehmen, müssen die Wirtschaftsförderer immer wieder zurückweisen.
„Ruhrgebiet steht auf Landkarten der Investoren“
Beck macht deshalb Druck. „Das Ruhrgebiet steht auf den Landkarten der Investoren. Wir haben kein Nachfrage-, aber ein massives Angebotsproblem“, sagt er und verweist darauf, dass der Mangel an Flächen im Umkehrschluss zeige, „dass wir in der Region bei der Vermarktung sehr erfolgreich waren.“ Und das soll aus seiner Sicht auch so bleiben. „Wir brauchen bei unserer Aufholjagd Arbeitsplätze von außen. Niemand muss Sorge haben, dass wir alle Grünflächen zubetonieren wollen. Es geht primär um die Revitalisierung von brachliegenden Industriearealen.“
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Der aktuelle Bericht des Projekts „Gewerbliches Flächenmanagement“ der BMR unterstreicht die Bedeutung der Gewerbe- und Industriegebiete. In ihnen sind der Auswertung zufolge zwischen 2012 und 2018 rund 100.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden – der größte Teil der neuen Stellen im Ruhrgebiet. Beck spricht von einem „Jobmotor“. Der Bericht zeigt aber auch heruntergebrochen auf einzelne Städte, dass der Flächenvorrat immer weiter schwindet. Danach sind die Märkte für Flächen ohne Restriktionen und aufwändige Sanierungen etwa in Mülheim, Essen und Bottrop nahezu leergefegt.
Ruhr-Wirtschaftsförderer Beck, der im Februar nach Duisburg wechseln wird, drückt aufs Tempo. „Wir müssen für die Zeit nach der Corona-Pandemie vorsorgen. Wir können schneller aus der Krise kommen als andere Metropolen. Deshalb brauchen wir rasch Klarheit über die Kooperationsstandorte und den Regionalplan.“