Essen. Die Essener Steag reagiert auf den Kohleausstieg mit einer Neuaufstellung, die rund 1000 Arbeitsplätze in Kraftwerken und der Verwaltung kostet.

Der Stromerzeuger Steag plant als Reaktion auf den Kohleausstieg eine radikale Neuaufstellung, die in Deutschland rund 1000 Arbeitsplätze kosten wird. Das sechs Ruhrgebietsstädten gehörende Essener Unternehmen baut damit fast jede dritte seiner deutschlandweit 3500 Stellen ab, wie unsere Redaktion aus unternehmensnahen Kreisen erfuhr. Demnach habe der Vorstand um Konzernchef Joachim Rumstadt dem Aufsichtsrat am Mittwoch seine Strategie für die kommenden Jahre vorgestellt, die eine deutliche Verschlankung des Unternehmens und einen damit verbundenen Stellenabbau vorsieht. Ziel sei ein sozialverträglicher Abbau ohne betriebsbedingte Kündigungen.

Der radikale Schnitt ist die Folge der von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Abschaltung aller Kohlekraftwerke bis 2038. So lange sollen allerdings nur Braunkohlekraftwerke laufen, die meisten Steinkohlekraftwerke sollen bereits in den kommenden Jahren vom Netz gehen. Das trifft die Steag besonders hart, bis auf den erst 2013 in Betrieb genommenen Block 10 in Duisburg-Walsum droht allen Steinkohlekraftwerken das baldige Aus.

Steag will sich auf Service und Ökostrom konzentrieren

Die meisten Arbeitsplätze fallen unmittelbar mit der Abschaltung der Kraftwerke weg, hinzu kommt eine dreistellige Zahl in der Verwaltung und in den Dienstleistungs-Teams für die Wartung von Kraftwerken auch externer Kunden. Die Steag will sich künftig auf Erneuerbare Energien konzentrieren, etwa den Bau von Solarparks. Und sie will mit ihrem technischen Knowhow anderen Industrien bei der Dekarbonisierung ihrer Produktionsanlagen helfen, so wie bei der Modernisierung der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen.

Von ihrem bisherigen Kerngeschäft in Deutschland, den Steinkohlekraftwerken, wird sich die Steag deutlich schneller verabschieden als noch vor wenigen Monaten erwartet. Von den sechs Steinkohlekraftwerken soll nur Walsum bis ins nächste Jahrzehnt laufen, alle anderen dürften bis zur Mitte der 20er-Jahre vom Netz gehen. Die Neuausrichtung des Konzerns will der Vorstand bis Anfang 2022 umsetzen – bis dahin soll demnach klar sein, wann welches Kraftwerk abgeschaltet wird.

Bis 2022 will die Steag Klarheit schaffen

Ein ehrgeiziges Ziel, denn das von der Bundesregierung gewählte Verfahren zur Abschaltung der Steinkohlekraftwerke erschwert die Planung deutlich. In insgesamt acht Ausschreibungen bis 2027 sollen die Betreiber ihre Kohleblöcke zur Stilllegung anmelden. Wer am wenigsten Entschädigung dafür fordert, erhält den Zuschlag. Will die Steag bis 2022 Klarheit haben, muss sie in den ersten Runden zum Zuge kommen. Die Vorteile früher Abschaltungen wären höhere Entschädigungen und eine staatliche Abfederung des Stellenabbaus durch die Zahlung eines Anpassungsgeldes (APG) für ältere Mitarbeiter.

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Die erste Auktion zur Stilllegung von insgesamt vier Gigawatt Steinkohlestrom hat bereits Anfang September stattgefunden. Anders als die meisten Konkurrenten hat die Steag erklärt, daran teilgenommen zu haben. Zudem hat Vattenfall bestätigt, sein umstrittenes Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg zur Stilllegung angemeldet zu haben, das erst 2015 in Betrieb ging. Die Ergebnisse teilt die Bundesnetzagentur im Dezember mit, bereits im Januar folgt die zweite Auktion.

Steag-Kraftwerke im Saarland gelten als systemrelevant

Die Steag betreibt noch je drei Steinkohlekraftwerke in NRW und im Saarland. In NRW gehören der ältere Block 9 in Duisburg-Walsum und Bergkamen zu den Kandidaten für eine baldige Abschaltung. Der Kohleblock in Herne soll frühestens Ende 2022 vom Netz gehen, wenn dort das neue Gas- und Dampfturbinenkraftwerk fertig ist. Die Blöcke im Saarland gelten der Bundesnetzagentur bisher als systemrelevant und dürfen noch nicht abgeschaltet werden. Solange diese eine Abschaltung untersagt, trägt der Staat die Kosten, was finanziell nicht die schlechteste Variante für die Steag ist.

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Dass die Kohleblöcke im Zuge der staatlichen Auktionen abgeschaltet werden, ist für den Konzern wie die Beschäftigten wichtig: Die Steag kann in den ersten Jahren zumindest auf zweistellige Millionenbeträge als Entschädigung hoffen. Für die betroffenen Mitarbeiter käme dann der mit der IGBCE abgeschlossene Tarifvertrag zum Tragen, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Zudem stockt die Steag für Ältere das APG laut IGBCE auf 80 Prozent des letzten Nettoentgelts auf und richtet für die Jüngeren eine Transfergesellschaft ein. Ähnliche Verträge gibt es auch bei RWE und Uniper.

Ohne Zuschlag droht Zwangsstilllegung

Das alles kommt dagegen nicht zum Tragen, wenn Kraftwerke keinen Zuschlag erhalten. Nach 2027 könnte die Netzagentur die Stilllegung von Kohleblöcken ohne jede Entschädigung behördlich anweisen. Gegen ein solches Szenario behält sich der Konzern rechtliche Schritte vor. Ganz offenkundig ist er aber bemüht, es gar nicht erst dazu kommen zu lassen, sondern seine älteren Steinkohlekraftwerke vorher geregelt stillzulegen.