Essen. Bundeskabinett beschließt „Handlungskonzept Stahl“. Schutz vor Billigimporten und EU-Klimaauflagen sowie Förderung von grünem Stahl als Kern.

Die Corona-Krise und der weltweite Einbruch der Stahl-Nachfrage bei gleichzeitiger Überproduktion durch günstigen Stahl aus Fernost haben die deutsche Stahlindustrie in eine schwere Existenzkrise gestürzt. Nun will die Bundesregierung der schwer angeschlagenen deutschen Stahlindustrie unter die Arme greifen, die NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) „systemrelevant“ nennt. Das entsprechende „Handlungskonzept Stahl“ aus dem Wirtschaftsministerium wurde vom Kabinett verabschiedet.

Deutschland will den Schutz der heimischen Stahlindustrie und ihre Umstellung auf grünen Stahl zum Thema seiner EU-Ratspräsidentschaft machen. Das geht aus dem 24-seitigen Handlungskonzept hervor, das unserer Redaktion vorliegt. Darin nennt das Ministerium drei Problemfelder: Erstens den europäischen Emissionshandel, der die hiesige Stahlproduktion durch Klimaschutzabgaben im weltweiten Wettbewerb zu verteuern droht. Hier nennt die Regierung eine globale Chancengleichheit als Ziel und will sich für eine kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten für die Stahlindustrie auch in der Zukunft einsetzen.

EU-Ratspräsidentschaft für Stahl nutzen

Zweitens nennt sie das „handelspolitische Instrumentarium der EU“, sprich die Abwehr von Dumpingimporten durch Zölle. Deuschland will insbesondere die Flutung des Marktes durch chinesischen Billigstahl bekämpfen, dafür Schutzmechanismen hochfahren und das Thema auch in die G20 einbringen. Länder, die „unter der Überproduktion besonders leiden“, sollten sich „alternativ auf ein gemeinsames Vorgehen ohne China verständigen“, heißt es.

Und drittens plant die Regierung eine Förderung der heimischen Stahlindustrie bei der Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion. Dafür brauche es auch eine „Änderung des Beihilferahmens für den Green Deal“, sprich die Erlaubnis für derlei Subventionen. Deutschland will etwa Nachfrageimpulse für klimaneutral produzierten Stahl setzen, langfristig auch mit Verpflichtungen der Stahlverarbeiter, grünen Stahl einzusetzen. Das Handlungskonzept Stahl greift hier ineinander mit der kürzlich verabschiedeten Wasserstoffstrategie. Der Ersatz des Brennstoffs Kohle durch das klimaneutral herstellbare Gas Wasserstoff gilt als Königsweg.

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Die deutschen Stahlunternehmen mit ihren 86.000 Beschäftigten müssten trotz der aktuell schwierigen Lage nun „langfristig wirkende Investitionsentscheidungen zugunsten CO2-armer Stahlerzeugungsverfahren treffen“, heißt es in dem Papier. Nach Berechnungen der Branche seien dafür „Investitionen in einer Größenordnung von rund 30 Milliarden Euro“ notwendig. Summen, die etwa die Stahlsparte von Thyssenkrupp aktuell nicht annähernd aufbringen kann. Der Essener Thyssenkrupp-Konzern prüft derzeit vielmehr alle Optionen für seine Stahlsparte, bis hin zur Abgabe der Mehrheit.

„Mit dem Handlungskonzept Stahl senden wir ein starkes Signal für klimafreundlichen Stahl ‚made in Germany‘. Wir wollen zeigen, dass ambitionierter Klimaschutz und eine wettbewerbsfähige Industrie Hand in Hand gehen“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Es sei wichtig, „dass wir jetzt handeln, damit dieser für unsere Volkswirtschaft so wichtige Industriezweig auch in 30 Jahren aus eigener Kraft wettbewerbsfähig und klimafreundlich in Deutschland produzieren kann.“

Lob von IG Metall und Arbeitgebern

Lobende Worte kamen vom Arbeitgeberverband Stahl und der Gewerkschaft IG Metall. Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, sagte, die kommenden Monate müssen nun in verschiedener Hinsicht genutzt werden: Die Folgen der Corona-Krise müssen bewältigt, eine erneute Stahl-Importkrise verhindert und faire Wettbewerbsbedingungen in der Energie- und Klimapolitik geschaffen werden. Jürgen Kerner, Stahlexperte im Vorstand der IG Metall, nannte das Konzept „ein wichtiges Signal in Richtung grüner Stahl“. Nur, wenn die deutsche Stahlindustrie klimaneutral werde, „sichert dies die 85.000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und viele weitere entlang der Wertschöpfungskette“.

Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Thyssenkrupp Stahl, begrüßte den Kabinettsbeschluss, mahnte aber zur Eile: „Das Handlungskonzept adressiert die wirklich brennenden Themen für die Stahlindustrie. Corona hat die Situation extrem verschärft. Deshalb kommt es nun auf eine schnelle Umsetzung an.“ Die Belegschaft warte händeringend auf die Investitionsentscheidung für grünen Stahl. Die gebe es aber „nur mit einem Förderprogramm, das eine konkrete Summe als Zuschuss festlegt“, so Naiskkol. Das müsse bis zum Jahresende stehen – „das ist unsere konkrete Forderung an die Bundesregierung. Wir brauchen einen Turbo für grünen Stahl.“