Essen. Karstadt stellt 80 Filialen infrage. Verdi bangt auch um Sporthäuser und Reisebüros. Arbeitnehmerkreise sehen 8000 bis 10.000 Stellen in Gefahr.
Was als Befreiungsschlag geplant war, droht in einem Kahlschlag zu enden: Nach der Fusion der beiden größten deutschen Warenhausketten Karstadt und Kaufhof vor anderthalb Jahren kämpft das Essener Unternehmen nun ums Überleben. Die für das Schutzschirmverfahren engagierten Insolvenzexperten Arndt Geiwitz und Frank Kebekus sehen sich mit dem Karstadt-Management offensichtlich gezwungen, einen großen Teil der insgesamt 170 Kaufhäuser zu schließen und Tausende Arbeitsplätze zu streichen.
Das geht aus einem ersten Sanierungskonzept hervor, das dem Betriebsrat am Freitag in einer Präsentation vorgestellt wurde. Die Zahl von 80 Filialen wurde dabei genannt, die von der Schließung bedroht seien. Es soll wohl die Ausgangsbasis für die nun folgenden Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite sein. „Das werden wir nicht zulassen“, kündigte Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger prompt an. Und: „Corona zu benutzen, um sich gesund zu stoßen, das darf auch die Politik nicht zulassen. Es geht um das Schicksal von tausenden Beschäftigten. Hier sind alle gefordert, von den Bürgermeistern bis hin zur Bundespolitik,“ sagte sie. Die Gewerkschaft werde ihr Vorgehen in den kommenden Tagen abstimmen, hieß es aus der Verdi-Zentrale in Berlin.
Ausmaß des Stellenabbaus unklar
Unklarheit herrscht noch über das Ausmaß des Stellenabbaus. Auch in den verbleibenden Warenhäusern solle Personal gespart werden, von rund zehn Prozent war vor den Betriebsräten die Rede. Wie viele Stellen insgesamt auf der Kippe stehen, bezifferte das Management nicht. Die Wirtschaftswoche berichtet von 5000 Stellen. Unserer Redaktion gegenüber äußerten Arbeitnehmerkreise die Befürchtung, 8000 bis 10.000 Stellen seien konzernweit in Gefahr. Das hängt auch davon ab, ob es eher die großen oder eher die kleinen Warenhäuser trifft, je nach Größe arbeiten in einer Filiale mehr oder weniger als 100 Mitarbeiter. Das Unternehmen äußerte sich bisher nicht zu den Sanierungsplänen.
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In den unter der Dachmarke Galeria vereinten Filialen von Karstadt und Kaufhof arbeiten derzeit noch rund 28.000 Beschäftigte. Verdi sieht aber besonders auch die Tochtergesellschaften Karstadt Feinkost, Karstadt Sports, die Gastronomien mit Dinea und Le Buffet sowie die Logistik betroffen – und damit „verheerende Auswirkungen auf die rund 35.000 Beschäftigten bei Galeria Karstadt Kaufhof und im Konzern“, so Nutzenberger.
20 von 30 Sporthäusern sollen schließen
In Arbeitnehmerkreisen wird befürchtet, dass es die Sporthäuser und die Reisebüros besonders hart treffen dürfte. Der Kölner Stadt Anzeiger berichtet, 20 der 30 Karstadt-Sports-Filialen stünden vor dem Aus. Bei der Reise-Tochter Atrys seien 100 der 130 Galeria-Reisebüros von der Schließung bedroht.
Verdi-Vorständin Nutzenberger sieht einen „Missbrauch der Corona-Krise“ durch das Management samt Insolvenzexperten und den österreichischen Karstadt-Eigentümer Rene Benko. Sie wollten „ihre ursprünglichen Planungen von Standortschließungen und Entlassungen doch noch umzusetzen“.
Tatsächlich kommen Beobachtern manch kursierende Zahlen bekannt vor: Sowohl von 80 bedrohten Filialen als auch von 5000 zu streichenden Stellen war bereits ganz zu Beginn der Fusionsverhandlungen die Rede, was Karstadt allerdings zu keiner Zeit bestätigte. Es handelte sich vor allem um verbalisierte Ängste aus dem Umfeld des Kaufhof-Managements und des Betriebsrats des früheren Kölner Erzrivalen.
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Zum Jahresende 2019 sah dann alles schon viel besser aus: Nach langem Ringen erzielten Karstadt und Verdi einen Tarifkompromiss, aus dem viel Optimismus sprach. Etwa eine Standort- und Beschäftigungssicherung für die nächsten fünf Jahre sowie eine Zusage der Konzernleitung für eine „verbindliche und vollständige“ Rückkehr in die Flächentarifverträge des Einzelhandels ab Januar 2025.
Mühsam erzielter Tarifvertrag steht infrage
Die Angleichung der Löhne bedeutete eine rund zehnprozentige Erhöhung für die Karstadt-Mitarbeiter und Einbußen vor allem durch den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die Kaufhof-Angestellten. Die Frage steht im Raum, wie viel dieser Tarifvertrag nun in der aktuellen Krise noch wert ist. Wie zu hören ist, werde neben der Streichung von Standorten und Stellen auch darüber zu reden sein.
Die Corona-Krise traf jeden Einzelhändler, aber Galeria Karstadt Kaufhof ganz besonders zur Unzeit. Das wichtige Ostergeschäft fiel flach, und als kleinere Läden bereits wieder öffnen durften, wurden Karstadt und Kaufhof Opfer ihrer großen Verkaufsflächen. Bis zuletzt klagte das Unternehmen vergeblich dagegen, dass etwa in NRW Möbelhäuser und Babymärkte ohne Flächenbegrenzung öffnen durften, die Warenhäuser des angeschlagenen Konzerns aber nicht. Das Management gibt bereits eine halbe Milliarde Verlust durch die Corona-Krise an und rechnet noch mit einer Verdopplung.
Staatshilfe kam bei Karstadt nicht an
Auch die von der Politik organisierte Staatshilfe kam bei Karstadt nicht an: Das Bemühen um einen staatlich abgesicherten KfW-Kredit scheiterte an den Hausbanken. Diese hätten für das Tragen des Restrisikos Sicherheiten und Zinsen verlangt, die völlig inakzeptabel und auch unangemessen gewesen seien, sagte der Generalbevollmächtigte Arndt Geiwitz unserer Zeitung. „Die Bundesregierung will das Richtige, tut aber das Falsche“, formulierte er im April seinen Frust über den staatlichen Rettungsschirm, unter dem Karstadt keinen Platz fand. Deshalb blieb nur der Gang zum Insolvenzgericht.
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Geiwitz und Kebekus müssen bis Ende Juni dem Gericht einen Sanierungsplan vorlegen. Wie viele Filialschließungen und Stellenstreichungen er letztlich beinhalten wird, ist Stand heute noch offen. Die Arbeitnehmervertreter müssen mit ins Boot geholt werden. Das wird nicht einfach, Nutzenberger nennt die ersten Pläne von Geiwitz und dem Management „fantasie- und verantwortungslos“.
Klar ist aber auch: Wenn die Einsparungen Gericht und Gläubiger nicht überzeugen, scheitert das Schutzschirmverfahren und es droht eine echte Insolvenz.