Essen. Einige Arbeitgeber stocken das Kurzarbeitergeld auf. Doch gerade Geringverdiener verlieren bis zu 40 Prozent Lohn. Wer aufstockt und wer nicht.

Das deutsche Modell der Kurzarbeit hat die hiesige Wirtschaft durch die große Finanzkrise 2008/09 gerettet. Während die Krise in anderen Ländern unzählige Firmenpleiten und Massenarbeitslosigkeit hinterließ, konnten die Unternehmen in Deutschland dank Kurzarbeit ihre Belegschaften weitgehend halten. Genau das soll auch durch die Corona-Krise helfen, doch es mehrt sich die Kritik an der Ungleichbehandlung der Kurzarbeiter. Die einen müssen auf sehr viel Lohn verzichten, die anderen auf keinen Cent. Die Lohnschere geht in der Kurzarbeit erst so richtig auf.

Aufstockungen reichen von 80 bis 100 Prozent

Wer ganz zu Hause bleiben muss, etwa weil sein Betrieb wegen Corona geschlossen bleibt, geht auf „Kurzarbeit null“. Er erhält dann von der Arbeitsagentur 60 oder als Elternteil 67 Prozent seines Nettolohns. Viele Arbeitgeber stocken es auf 80 bis 90 Prozent auf, manche gar auf 100 Prozent. Der Staat erleichtert ihnen das, indem er für diesen Lohn auf die Sozialbeiträge verzichtet. Doch eine Pflicht zur Aufstockung, wie sie die Gewerkschaften fordern, gibt es nicht.

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Und in der Regel werden die ohnehin niedrigeren Einkommen nicht oder nur kaum aufgestockt. Wer etwa 1500 Euro netto verdient, muss als Kinderloser nun mit 900 Euro im Monat auskommen, als Vater oder Mutter mit 1005 Euro. „Während Unternehmen gerettet werden, fallen Beschäftigte auf Hartz IV zurück. Diese soziale Schieflage muss dringend behoben werden“, sagt dazu Anja Weber, die DGB-Chefin in NRW. Bis zum 13. April haben in NRW laut Bundesagentur für Arbeit (BA) rund 156.000 Unternehmen Kurzarbeit gemeldet, wie viele Mitarbeiter davon betroffen sind, lässt sich laut BA noch nicht sagen.

Tariflösungen fast nur in den großen Branchen

DGB-NRW-Chefin Anja Weber fordert Nachbesserungen bei den Kurzarbeits-Regeln.
DGB-NRW-Chefin Anja Weber fordert Nachbesserungen bei den Kurzarbeits-Regeln. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Branchenweite Tarifregelungen gibt es vor allem dort, wo ohnehin gut gezahlt wird: So stockt die Chemieindustrie das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent auf, die Metall- und Elektroindustrie in NRW auf 80 Prozent. In der Metallindustrie wird das über einen Umweg erreicht, der im jüngst abgeschlossenen Krisentarifvertrag entwickelt wurde: Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden gezwölftelt und monatlich ausgezahlt, was laut IG Metall das Monatsnetto um elf Prozent erhöht. Zudem zahlen die Arbeitgeber 350 Euro je Beschäftigtem in einen Solidartopf für die Kurzarbeiter.

Im öffentlichen Dienst stocken die Kommunen untere Entgeltgruppen auf 95 Prozent auf, höhere auf 90 Prozent. Die Systemgastronomie mit McDonald’s, Subway & Co. stockt ebenfalls auf 90 Prozent auf, die Textilen Dienste (Wäschereien) auf 80 und die Filmindustrie gar auf 100 Prozent. Das war es allerdings auch schon mit bundesweiten Tarifregelungen.

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Laut Tarifarchiv des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gibt es noch einige regionale Tarifregelungen, die meisten, etwa im Kfz-Handwerk, Metallhandwerk sowie in der Holz- und- Kunststoffindustrie gelten in Baden-Württemberg, wo die Arbeitslosigkeit besonders niedrig ist und die Unternehmen ihre Beschäftigten unbedingt halten wollen.

Win-win-Regelung im NRW-Einzelhandel

In NRW gibt es zwei landesweite Regelungen: Der Groß- und Außenhandel stockt auf 76 Prozent und bei Eltern auf 83 Prozent vom Nettoverdienst auf. Eine für beide Seiten hilfreiche Lösung haben Verdi und der Arbeitgeberverband im Einzelhandel gefunden: Letztere können auch rückwirkend ab 1. März Kurzarbeit beantragen, was nur mit Zustimmung der Gewerkschaft erlaubt ist. Dafür stocken die Arbeitgeber in den ersten vier Wochen auf 100 Prozent und danach bis Ende Juni auf 90 Prozent auf. Zudem gleichen sie mit einem Zuschlag auch die auf die Zuschläge zu zahlenden Steuern aus.

Das Grobblechwerk von Thyssenkrupp in Duisburg-Hüttenheim. Die Stahlsparte stockt Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent auf.
Das Grobblechwerk von Thyssenkrupp in Duisburg-Hüttenheim. Die Stahlsparte stockt Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent auf. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Viele Unternehmen haben mit ihren Betriebsräten eigene Vereinbarungen getroffen, so stockt die Telekom auf 85 Prozent und die Bahn auf 80 Prozent auf – allerdings jeweils zum Bruttogehalt. Thyssenkrupp stockt in seiner Stahlbranche für die Kurzarbeiter auf 80 Prozent auf.

Vor allem Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Unternehmen müssen derweil mit dem Geld von der Arbeitsagentur auskommen, das dem Arbeitslosengeld I entspricht. Gewerkschaften fordern daher Nachbesserungen von der Regierung. Der DGB will eine Aufstockungspflicht auf 80 Prozent auch für nicht tarifgebundene Unternehmen. Verdi-Chef Frank Werneke fordert, die Erstattung der Sozialbeiträge an eine Aufstockung zu koppeln, IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, dass wenigstens die Hälfte der erstatteten Sozialbeiträge an die Beschäftigten weitergegeben wird.

DGB-Chefin: Beschäftigte unter NRW-Rettungsschirm

NRW-DGB-Chefin Weber sieht auch die Landesregierung in der Pflicht und fordert einen Sonderfonds „Kurzarbeitergeld Plus“, der im NRW-Rettungsschirm verankert werden solle. Er soll betroffenen Unternehmen helfen, das Kurzarbeitergeld auf mindestens 80 Prozent aufzustocken. „Die Landesregierung hat mit dem milliardenschweren Rettungsschirm für andere Zielgruppen die Leistungen des Bundes aufgestockt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Kurzarbeitergeld bekommen, darf sie nicht im Regen stehen lassen“, sagte Weber unserer Zeitung.