Essen. Regierung beschließt Kohleausstieg. Steinkohle-Aus beschleunigt. Steag nennt Gesetzentwurf „inakzeptabel“ und fordert Hilfe der Landesregierung.
Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Abschaltung aller Kohlekraftwerke in Deutschland bis spätestens 2038 am Mittwoch beschlossen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem „Durchbruch“ für deutlich mehr Klimaschutz in Deutschland, der Koalition sei „ein großer Wurf“ gelungen. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kommentierte deutlich zurückhaltender, sprach von einem „wichtigen Signal“. Von Klimaschützern, Grünen und Betreibern von Steinkohlekraftwerken hagelte es dagegen massive Kritik.
Vorausgegangen war ein schwieriger Kompromiss vor allem mit den Betreibern der Braunkohlereviere und den betroffenen Ländern NRW und in Ostdeutschland. Nun werden erstmals Details zur Entschädigung der Betreiber von Steinkohlekraftwerken genannt und der Ausstiegspfad für die Steinkohle beschleunigt. Der Verband kommunaler Unternehmen, die Essener Steag und der Stadtwerkeverbund Trianel mit den Bochumer Stadtwerken als größtem Anteilseigner reagierten empört.
Die Steag fordert Nachbesserungen und erwartet dabei Hilfe von der schwarz-gelben Landesregierung. Auch die Gewerkschaft Verdi setzt auf Änderungen im nun anstehenden parlamentarischen Prozess. Sie kritisiert, die Regierung habe den „Ausstiegspfad der Steinkohle mit dem Beschluss stark angezogen“. Das habe „Auswirkungen auf die Beschäftigten und die Versorgung mit Strom aber auch Wärme“.
Regierung reagiert auf Kritik an Klimabilanz
Die letzten Braunkohlekraftwerke sollen 2038 vom Netz gehen, der letzte Steinkohleblock bereits 2033. Das umstrittene Uniper-Großkraftwerk Datteln 4 darf noch ans Netz. Dafür soll ein weiteres mittelgroßes Steinkohlekraftwerk kurzfristig stillgelegt werden. Das sieht der Entwurf zum Kohleausstiegs-Gesetz vor, den das Bundeskabinett verabschiedet hat und der unserer Redaktion vorliegt. Demnach sollen 2021 nun Steinkohleblöcke mit einer Kapazität von 1,5 Gigawatt Leistung abgeschaltet werden, 500 Megawatt (MW) mehr als bisher geplant. Als maximale Entschädigung bietet die Bundesregierung den Betreibern der Kraftwerke 155.000 Euro je MW an, also 77,5 Millionen Euro für die Abschaltung eines 500 MW-Block. Zum Vergleich: Für die kurzfristige Stilllegung der Braunkohlekraftwerke zahlt der Bund eine knappe Milliarde Euro je GW, insgesamt 4,35 Milliarden Euro.
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Mit der zusätzlichen Reduzierung der Steinkohle-Kapazitäten reagiert die Regierung auf Kritik, dass sie mit der Inbetriebnahme des 1,1-Gigawatt-Riesen in Datteln ihre Klimaziele gefährde. Weil der Strom aus Datteln 4 laut Uniper bereits vorab größtenteils verkauft ist, wird das moderne Kraftwerk voraussichtlich meist unter Volllast laufen. Dagegen erzeugen die dafür abzuschaltenden älteren Kohleblöcke nach Daten der Bundesnetzagentur über Jahr gesehen häufig keinen Strom, sind in der Regel zu deutlich weniger als der Hälfte ausgelastet. Dass Datteln 4 je MW deutlich weniger Treibhausgas CO2 ausstoßen wird, fällt daher nicht so sehr ins Gewicht.
Experten hatten ausgerechnet, dass der tatsächliche CO2-Ausstoß trotz Stilllegung älterer Kraftwerke um rund zehn Millionen Tonnen steigen wird. Dem will die Regierung nun Rechnung tragen. Ob die zusätzlichen 500 MW reichen, dürften Experten aber bezweifeln, sie hatten errechnet, dass mindestens 2,0 GW statt der nun geplanten 1,5 GW für Datteln vom Netz gehen müssen, um es voll zu kompensieren.
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Die Betreiber der Steinkohlekraftwerke wird das weniger freuen. Sie sehen ohnehin nicht ein, dass ihre Kraftwerke im Vergleich zur Braunkohle früher abgeschaltet werden und kaum auf Entschädigung hoffen dürfen. Die sechs Ruhrgebietskommunen gehörende Essener Steag und der Stadtwerkeverbund Trianel mit seinem modernen Großkraftwerk in Lünen sehen sich als große Verlierer des Kohleausstiegs und gegenüber den Braunkohlekonzernen benachteiligt. Eine „krasse Ungleichbehandlung“ beklagte ein Steag-Sprecher, eine Trianel-Sprecherin kündigte an, ihr Unternehmen werde rechtliche Schritte gegen die „Enteignung“ prüfen.
Die jüngsten Kraftwerke werden zwangsabgeschaltet
Steag-Aufsichtsratschef Guntram Pehlke sagte unserer Zeitung: „Die Pläne der Bundesregierung zum Kohleausstieg sind juristisch fragwürdig, inhaltlich nicht nachvollziehbar und damit nicht akzeptabel. Hier wird Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit zerstört.“ Denn die jüngeren Steinkohlekraftwerke seien längst nicht im Geld, wenn sie zum Teil bereits nach 13 Jahren Betriebslaufzeit schon wieder abgeschaltet werden müssten. Die Steag sorgt sich vor allem um ihr Kraftwerk in Duisburg Walsum. Trinale-Sprecherin Nadja Thomas sagte, das Gesetz benachteilige vor allem junge Steinkohlekraftwerke wie das von Trianel in Lünen. Wenn es nur 20 statt 40 Jahre laufe, könne es seine Baukosten nicht erwirtschaften, das missachte den „Vertrauensschutz in Investitionen“.
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Der im Gesetzentwurf beschriebene Ausstiegspfad sieht vor, dass RWE einige Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier bis 2022 abschaltet, die meisten in Ostdeutschland laufen bis Ende dieses Jahrzehnts oder bis 2038. Als letztes Steinkohlekraftwerk soll wahrscheinlich Datteln 4 schon 2033 vom Netz gehen. Zu diesem Zeitpunkt gibt es für Steinkohleblöcke bereits keine Entschädigung mehr, sie sollen zwangsweise vom Netz genommen werden. Bis 2026 können sich die Betreiber an Ausschreibungen für eine freiwillige Abschaltung beteiligen. Dafür würden sie einen „Steinkohlezuschlag“, sprich Entschädigung erhalten, die in Ausschreibungen ermittelt wird. Grob gesagt erhält der den Zuschlag, der am wenigsten fordert.
Geringe Entschädigungen für Steinkohle vorgesehen
Die nun im Gesetzentwurf genannten Maximalzahlungen sind in den Augen der Betreiber zu gering. Für die erste Ausschreibung noch in diesem Jahr gibt es 165.000 Euro je Megawatt, anschließend sinkt dieser Wert jährlich auf 49.000 Euro je MW im Jahr 2026. Für die weit verbreitete Kraftwerkskapazität von 700 MW gäbe es demnach maximal 34,3 Millionen (im Jahr 2026) bis 115,5 Millionen Euro (im Jahr 2020). Damit zu rechnen ist aber, dass nur den Zuschlag erhält, wer sein Kraftwerk für weniger zur Stilllegung anbietet.
Steag-Chefaufseher Pehlke sagte dazu: „Das deckt nicht einmal die Buchwerte unserer Kraftwerke, geschweige denn die entgangenen Gewinne. Das ist völlig inakzeptabel.“ Da die jüngeren Kraftwerke bei ihrer Stilllegung „nicht einmal die Hälfte ihrer betrieblichen Laufzeiten“ erreichen würden, laufe der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf auf nichts anderes als „eine entschädigungslose Enteignung“ hinaus.
Steag fordert Hilfe der Landesregierung
Der Steag-Konzern erklärte, er erwarte Nachbesserungen in den parlamentarischen Beratungen. „Besonders setzen wir hierbei auf die Düsseldorfer Landesregierung, die sich zuletzt erfolgreich für die Interessen der Braunkohleindustrie und deren Beschäftigte eingesetzt hat. Ein gleiches Engagement erwarten wir nun für die Steinkohle“, merkt die Steag an. Und ergänzt warnend: „Wir setzen auf einen Sieg der Vernunft, bevor wir möglicherweise den Rechtsweg beschreiten.“
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der die Stadtwerke vertritt, sieht das genauso: „Der jetzt im Gesetz enthaltende Höchstpreis und eine weitere Erhöhung der Ausschreibungsmenge in der Anfangsphase führen zu einer Verschärfung der Probleme beim Steinkohleausstieg“, erklärte der Verband am Mittwoch.
Grüne wollen nachverhandeln
Berücksichtigt wird bei der Entscheidung der Bundesnetzagentur für den Zuschlag auch die Klimabilanz der Kraftwerke. Je dreckiger sie verbrennen, desto eher erhalten sie den Zuschlag. Damit sollen die älteren Blöcke möglichst schnell abgeschaltet werden, was klimapolitisch geboten ist. Für die Betreiber heißt das in der Konsequenz aber auch, dass sie für ihre jüngsten Kraftwerke aller Voraussicht nach keinen Cent mehr erhalten werden, wenn diese nach 2026 zwangsweise abgeschaltet werden.
Unzufrieden sind mit dem Gesetz auch Klimaschützer und Grünen-Politiker. Sie beklagen vor allem, dass die Braunkohle-Kraftwerke zu spät abgeschaltet würden. „Das ist zu wenig für den Klimaschutz in diesem Land. Gleichzeitig wird der gesellschaftliche Großkonflikt nicht befriedet. Als Grüne werden wir jetzt im parlamentarischen Verfahren alles daran setzen, dass die Kohlekraftwerke stetig abgeschaltet werden und die Klimaschutzziele erreicht werden“, sagte Oliver Krischer, Fraktionsvize und Energie-Experte der Grünen im Bundestag.