Essen. Milliarden-Entschädigungen für die Braunkohle-Kraftwerke, Billig-Lösung für Steinkohle-Blöcke: Essener Steag beklagt „krasse Ungleichbehandlung“.
Im großen Schatten der Braunkohle-Debatte hat sich die Regierung auch auf einen Ausstiegspfad für alle Steinkohlekraftwerke geeinigt. Deren Besitzer können freilich nicht auf Milliarden-Entschädigungen hoffen. Schon ab 2024 droht ihren Kraftwerken die Zwangsabschaltung. Es sei denn, sie schalten sie freiwillig gegen möglichst wenig Entschädigung ab. Bei Steag, RWE, Uniper und Co. beginnt nun das große Rechnen.
Das Prozedere ist kompliziert, es findet sich im jüngsten Gesetzentwurf zum Kohleausstieg, der am kommenden Mittwoch endgültig vom Bundeskabinett beschlossen werden soll. Im Kern werden die Betreiber vor die Wahl gestellt, ihre Anlagen schon bald, spätestens bis 2026 freiwillig abzuschalten. Dafür würden sie einen „Steinkohlezuschlag“, sprich Entschädigung erhalten, die in Ausschreibungen ermittelt wird. Grob gesagt erhält der den Zuschlag, der am wenigsten fordert. In der Branche wird damit gerechnet, dass der Ausstieg bei der Steinkohle den Bund weniger als eine Milliarde Euro kosten wird. Zum Vergleich: Allein RWE erhält 2,6 Milliarden Entschädigung für das Rheinische Braunkohle-Revier.
Die billigste Abschaltung erhält den Zuschlag
Bereits in diesem Jahr werden vier Gigawatt Steinkohle-Kraftwerksleistung zur Stilllegung ausgeschrieben, es folgen jährlich neue Ausschreibungen bis 2026. Wer den Zuschlag erhält, richtet sich nicht nur nach der geforderten Entschädigung, sondern auch danach, wie klimaschädlich das Kraftwerk ist und ob oder wie systemrelevant es ist. Da die Kohlekraftwerke im Süden Deutschlands gebraucht werden, um die nahende Abschaltung der dortigen Atomkraftwerke aufzufangen, bleiben sie ohnehin am Netz. Das gilt auch für die Kraftwerke des Essener Steag-Konzerns im Saarland.
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Kraftwerke, die besonders viel CO2 ausstoßen, werden bei der Ausschreibung bevorzugt, ihre Betreiber könnten entsprechend höhere Abfindungen fordern. Moderne Kohlekraftwerke wie etwa der erst 2014 in Betrieb genommene Block E im RWE-Kraftwerk Westfalen in Hamm und das Steag-Kraftwerk in Duisburg-Walsum hätten geringere Chancen auf einen Zuschlag. Das bedeutet: Diesen Blöcken droht später die Zwangsabschaltung durch die Bundesnetzagentur. Denn ab 2027 sieht der Gesetzentwurf nur noch angeordnete Stilllegungen vor, für die es auch keine Entschädigung gibt. Gleichzeitig erhöht die Regierung den Druck auf die Betreiber, sich an den Ausschreibungen zu beteiligen: Sollten bis 2024 nicht genügend Steinkohleblöcke freiwillig vom Netz genommen werden, könnten schon dann die ersten Zwangsabschaltungen angeordnet werden.
Das große Rechnen hat begonnen
Nun gilt es für die Betreiber zu rechnen und zu spekulieren: Wie viel Geld könnte ich mit welchem Kohleblock noch verdienen, ab wann lohnt sich die Stilllegung, wie groß ist das Risiko, zu früh zwangsweise abgeschaltet zu werden? Dabei muss stets der Strompreis prognostiziert werden, nicht wenige erwarten, dass sich Steinkohlestrom spätestens nach dem Atomausstieg wieder mehr rechnet.
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Während für die Braunkohle bei einem Gipfel im Kanzleramt ein für alle Beteiligten erträglicher Kompromiss erzielt wurde, lief die Abwicklung der Steinkohle-Verstromung bisher weitgehend unter dem Radar der Spitzenpolitik ab. Hier ein klarer Ausstiegspfad mit Entschädigungen, dort neue Risiken. „Wir empfinden das als krasse Ungleichbehandlung“, sagte ein Steag-Sprecher.
Ob der politisch eingeschlagene Weg bei der Steinkohle rechtlich überhaupt haltbar ist, könnte noch die Gerichte beschäftigen. Zwangsabschaltung ohne Entschädigungen kämen Enteignungen gleich, welche die Betreiber eigentumsrechtlich anfechten könnten.