Mülheim. Tengelmann ist jetzt Tengelmann Twenty-One. Das Ringen um das Milliarden-Erbe des verschollenen Chefs Karl-Erivan Haub geht aber weiter.
Die grün-weiße Fahne auf dem Dach wurde vor wenigen Tagen eingeholt, der Schriftzug Wissoll leuchtet aber noch orange und erinnert an die Zeiten, als hier noch bis zu eine Million Tafeln Schokolade täglich vom Band liefen. Das riesige Areal im Mülheimer Stadtteil Speldorf ist weitgehend leergezogen. Im Herbst hatten rund 150 Mitarbeiter die Kündigung erhalten. Ohne viel Tamtam ist aus der Unternehmensgruppe Tengelmann (Obi, Kik, Tedi, Babymarkt) zum Jahresbeginn die Tengelmann Twenty-One KG geworden.
Christian Haub hat zwei schwere Jahre hinter sich. Im März 2018 starb sein Vater, die Unternehmer-Legende Erivan Haub. Vier Wochen später verschwand sein Bruder Karl-Erivan Haub bei einem Ski-Ausflug in den Alpen. Wenige Tage später übernahm der 57-Jährige die Führung des Familienunternehmens und verordnete ihm rasch eine Radikalkur. Während sich die Töchter des Handelsimperiums von Mülheim in alle Himmelsrichtungen verteilen, gehen die Verhandlungen über den Verkauf der kathedralenartigen Zentrale mitsamt eines Oldtimer-Museums und Sportplatz weiter.
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Die neue Tengelmann Twenty-One KG hat sich derweil im ehemaligen Gästehaus direkt gegenüber dem Wasserbahnhof niedergelassen. Wenigstens der juristische Sitz des Konzerns mit fast acht Milliarden Euro Umsatz ist in Mülheim geblieben. Schließlich wurde das Unternehmen vor 152 Jahren in der Ruhrstadt gegründet. Vom kleinen Kolononialwarenladen wurde von Mülheim aus das beispiellose Wachstum zu einem Handelsriesen gesteuert, der 2016 jedoch sein operatives Geschäft mit dem Verkauf der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann jäh beendete und seither sein Geld vor allem mit Beteiligungen und Immobilien verdient.
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Mit Tengelmann Twenty-One will Christian Haub die bekannte Marke zukunftsfähig machen. „Gegenstand der Gesellschaft sind die Erbringung von Beratungs- und sonstigen Dienstleistungen für, der Erwerb, das Halten und Verwalten sowie die Veräußerung von Beteiligungen an und die Führung von Unternehmen im In- und Ausland, ferner die Verwaltung des eigenen Vermögens“, heißt es nüchtern im Handelsregistereintrag am Duisburger Amtsgericht.
Nur der Tengelmann-Sitz bleibt in Mülheim
Haub ist davon überzeugt, dass die Zeiten großer Hauptverwaltungen vorbei sind. Er setzt auf eine dezentrale Organisation. Neben dem Sitz in Mülheim platziert der geschäftsführende Gesellschafter sein 40-köpfiges Team in drei Projektbüros in Düsseldorf und München. Überraschend ist, dass er auch eine Dependance in Greenwich im US-Bundesstaat Connecticut eröffnet. Haub, der über Jahrzehnte selbst mit seiner Familie in den Staaten gelebt hatte, will das amerikanische Geschäft wieder beleben. Mit ihren A&P-Supermärkten hatte Tengelmann in den USA wenig Fortune. Ende 2010 musste das Tochterunternehmen der Mülheimer Insolvenz anmelden.
Handelstrends wittern, Geschäftsmodelle aufspüren, an denen sich Tengelmann beteiligen kann und Übernahmechancen ausloten – das Aufgabenfeld der zumeist neuen Mitarbeiter in der Twenty-One-Holding sind klar definiert. Allein die Geschäftsführer sind geblieben: der CEO Christian Haub (56), Finanzchefin Ágnes Faragó (58) und der Amerika-Kenner Andreas Guldin (57). Dutzende zum Teil langjährige Mitarbeiter mussten gehen. Ihr Profil passte nicht mehr zu den neuen Anforderungen einer reinen Beteiligungsholding.
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Strukturell hat Christian Haub das Unternehmen auf neue Schienen gesetzt. Wie es in der Eigentümerfamilie weitergeht, ist indes völlig offen. Das Handelsimperium gehört den drei Brüdern Christian, Georg und dem verschollenen Karl-Erivan Haub. Dessen Interessen als Gesellschafter nimmt derzeit noch seine Ehefrau Katrin als sogenannte Abwesenheitspflege wahr. Die Familiensatzung will es, dass Unternehmensanteile allein auf die Kinder der Gesellschafter übergehen können.
Von 450 Millionen Euro Erbschaftssteuer ist die Rede
Um die Erbfolge in Gang zu bringen und die Tengelmann-Anteile auf ihre Zwillinge Viktoria und Erivan zu überschreiben, müsste Katrin Haub ein Aufgebotsverfahren zur Todeserklärung für ihren verschollenen Mann beantragen. Davor scheute sie bislang dem Vernehmen nach nicht nur aus emotionalen Gründen zurück.
Das Privatvermögen der Familie Haub wird auf 3,4 Milliarden Euro geschätzt. Die Eröffnung des Testaments von Karl-Erivan Haub würde die Familie vor gewaltige finanzielle Herausforderungen stellen. Beim Übergang der Tengelmann-Anteile und des Privatvermögens hält auch der Staat die Hand auf. Von 450 Millionen Euro Erbschaftssteuer, die Katrin, Viktoria und Erivan Haub zahlen müssen, ist die Rede. Seit Monaten laufen Verhandlungen zwischen den Familienzweigen, wie dieser finanzielle Kraftakt zu schultern ist, ohne den Konzern zu beeinträchtigen.
Ein Weg aus dem Dilemma wäre, dass Viktoria und Erivan Haub einen Teil ihrer vom Vater geerbten Firmenanteile an Christian Haub verkaufen. Damit würden sich die Machtverhältnisse im Unternehmen zugunsten des Vorstandsvorsitzenden verschieben. Man sei weiter in guten Gesprächen, verlautet aus dem Konzern. Eine jahrelange Hängepartie könne sich Tengelmann jedoch im Hinblick auf die sich rasch wandelnden Märkte nicht leisten.