Essen. Die Löhne gesuchter Fachkräfte werden stark steigen. Einstiegsgehälter bis 6500 Euro. Die Gewinner- und Verlierer-Berufe der Digitalisierung.

Die Kräfte des Marktes von Angebot und Nachfrage sind nicht jedem geheuer und manchem Ausdruck neoliberalen Gedankenguts. Doch in Zeiten des Fachkräftemangels arbeitet dieses Marktgesetz im Sinne der Beschäftigten. Wer etwas kann, das viele brauchen, hat alle Möglichkeiten, um Löhne und sogar Arbeitszeiten zu feilschen. Doch die Prognose ist nicht für jeden Beruf positiv. Computer, intelligente Roboter und selbst fahrende Transportmittel werden in den kommenden Jahren viele Arbeitsplätze, sogar ganze Berufe überflüssig machen. Gleichzeitig entstehen aber neue. Wer noch ein paar Berufsjahrzehnte vor sich hat, sollte einen etwas weiteren Blick in die Zukunft wagen. Das sind die größten Gewinner- und die Verlierer-Berufe der Digitalisierung.

Zwischen neuer Massenarbeitslosigkeit und Vollbeschäftigung ist alles zu finden in den unzähligen Prognosen, mal ist etwas mehr und mal etwas weniger Glaskugel und Eigeninteresse im Spiel. Denn viele Maschinen, die menschliche Arbeit ersetzen sollen, sind noch gar nicht erfunden. Auch zieht sich die Digitalisierung quer durch alle Branchen. „Es geht weniger um das Verschwinden ganzer Berufe als darum, wie massiv sie sich verändern“, sagt Christoph Kahlenberg, Arbeitsmarkt-Experte des Personaldienstleisters Randstad. Aus dem Mechaniker etwa werde in einer Zwischenstufe ein Mechatroniker und letztlich ein auf ein bestimmtes Gebiet spezialisierter Elektroniker.

Maschinenbauer werden ebenso gebraucht wie Informatiker

Für die seriösen Prognosen werden Jobverluste in Bereichen hochgerechnet, die Computer und Roboter bereits heute zu großen Teilen übernehmen können: Reisebüros, Steuerberater, Versicherungs- und Immobilienmakler, Bankkaufleute, Zählerableser und Helfertätigkeiten in der Industrie werden immer weniger gebraucht. Doch auch hinter den Algorithmen und intelligenten Maschinen stecken viele menschliche Köpfe: Ohne Mathematiker, Software-Entwickler, Produkt- und Web-Designer kein Hotelsuchportal und keine Online-Bank, ohne Maschinenbauer, Elektrotechniker und Logistikinformatiker kein automatisiertes Lager. Für diese Berufe rechnen Experten mit mehr Stellen (siehe Grafik) und höheren Löhnen.

Gefragt sei „alles aus dem Dunstkreis IT vom Support bis zum Social-Media-Manager“, sagt Kahlenberg. Besonders gesucht würden Datenbank-Analysten und IT-Sicherheitsexperten. Wer diese Berufe beherrsche, könne die Bedingungen schon heute selbst diktieren. „Viele Hochqualifizierte wollen auch gar nicht mehr fest angestellt sein, sondern ihre Leistung bestmöglich verkaufen.“ Aber auch alle anderen Fachkräfte seien in einer starken Verhandlungsposition, solange der Arbeitsmarkt boomt, weiß der Randstad-Manager. Er spürt bei der Personalvermittlung seit Jahren einen Wandel zum Arbeitnehmermarkt, auf dem die Bewerber selbstbewusst sagen, was sie verdienen möchten.

Entwickler steigt bei bis zu 6500 Euro ein

Das beobachtet auch der Düsseldorfer Konkurrent Adecco. Am meisten verdient wird dem Zeitarbeits-Riesen zufolge in den IT-Berufen, Tendenz steigend. Selbst Berufseinsteiger starten mit stattlichem Monatsgehalt: Ein Junior Java Entwickler oder IT-Security-Spezialist kann je nach Einsatzort laut Adecco bis zu 6.500 Euro brutto verdienen. Mit klassischer Berufsausbildung verdient ein Fachinformatiker mit knapp 5.000 Euro am besten. Adecco hat Gehaltsangaben aus 2,7 Millionen Stellenanzeigen ausgewertet.

IT-Jobs von der Servicekraft über den Programmierer bis zum Datenbank-Spezialisten haben eine große Zukunft.
IT-Jobs von der Servicekraft über den Programmierer bis zum Datenbank-Spezialisten haben eine große Zukunft. © Reuters | ALESSANDRO BIANCHI

Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, das IAB, rechnet damit, dass bundesweit bis 2035 1,46 Millionen Arbeitsplätze der Digitalisierung zum Opfer fallen, mit 1,4 Millionen aber auch fast genauso viele neue entstehen. In NRW fallen der Prognose zufolge 294.000 Arbeitsplätze weg, 292.000 entstehen neu. Da gleichzeitig mehr Menschen in Rente gehen als junge Arbeitskräfte nachkommen, wird sich das Fachkräfteproblem keineswegs von allein lösen, sondern eher weiter verschärfen – allerdings mit deutlichen Verschiebungen zwischen den Berufsfeldern. Das bedeutet auch, dass im Kampf um die Köpfe die Löhne steigen. Der Tarif wird in gefragten Berufen zur Untergrenze, die Personalchefs auch in der Industrie verhandeln schon heute mit Bewerbern, die sie dringend benötigen, individuelle Löhne aus.

Insgesamt arbeitet in NRW laut IAB jeder vierte (26 Prozent) Beschäftigte in einem durch digitale Lösungen besonders bedrohten Beruf. Davon sprechen die Forscher, wenn die Tätigkeiten zu 70 Prozent digital ersetzbar wären. Im verarbeitenden Gewerbe gilt das für mehr als jeden zweiten Arbeitsplatz (53 Prozent). Die heutige Boom-Region Südwestfalen mit ihrer großen Zulieferindustrie gilt daher als besonders betroffen von den Folgen der Digitalisierung, das Ruhrgebiet eher weniger. Fast jeder zweite Job (48 Prozent) gilt auch in der Finanz- und Versicherungswirtschaft ersetzbar. Vergleichsrechner unterminieren ihre Beratungsfunktion.

Kreative und soziale Fähigkeiten gefragt

Den Experten ist klar, dass mehr Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe und in den Büros wegfallen als neue IT-Jobs entstehen. Dafür wachsen etwa kommunikative und künstlerische Berufe, unter die auch Marketing und Werbung sowie Produkt- und Industriedesign fallen (Prognose: + 161.000 Stellen). Kreativität gilt als eine der letzten Bastionen der Menschen auch gegenüber lernenden Computern. Eine weitere sind soziale Fähigkeiten, weshalb Sozial- und Gesundheitsberufe 221.000 mehr Arbeitskräfte benötigen, etwa in der Pflege. Auch hier entstehen nicht nur mehr von den bereits heute schwer zu besetzenden Pflegejobs, sondern auch viele hoch bezahlte Stellen im Pflege-Management. Aufgrund der erwarteten Einkommenszuwächse der Fachkräfte von morgen erwarten die Arbeitsmarktforscher zudem, dass sich deutlich mehr Familien Haushaltshilfen leisten werden als heute.

Adecco sieht schon heute einen generellen Fachkräftemangel, auch in nicht von der Digitalisierung geprägten Berufen. „Und es entstehen ständig neue Berufsbilder. 2025 werden sechs von zehn Unter-30-Jährigen Jobs haben, die heute noch gar nicht existieren“, sagt Adecco-Sprecher Philipp Schmitz-Waters. Kürzere Innovationszyklen führten zu einer stetig steigenden Nachfrage nach Spezialisten, besonders für Schlüsseltechnologien wie die IT oder das Ingenieurwesen. „Künstliche Intelligenz und Robotik schaffen hier neue Jobs.“

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Das IAB hat die Auswirkungen der Digitalisierung auf die einzelnen Berufsfelder und auf die Regionen untersucht. Für NRW mit guten Aussichten: Es entstehen in den Zukunftsberufen überdurchschnittlich viele Jobs, vor allem in den IT- und Kommunikations-Berufen, die um mehr als zehn Prozent an Stellen zulegen. Dies laut IAB insbesondere in den Ruhrgebiets-Städten Essen und Dortmund sowie den Rhein-Metropolen Köln und Düsseldorf. Auch in den Sozialberufen wird ein überdurchschnittlicher Zuwachs prognostiziert, ebenso in den juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Berufen.

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Überdurchschnittliche Verluste drohen vor allem im Bereich Verkehr und Logistik. Die derzeit im Ruhrgebiet stark wachsende Logistik wird besonders viele ihrer heutigen Beschäftigten durch automatisierte Prozesse ersetzen, steht zu befürchten. Intelligente Hochregale etwa werden den Gabelstaplerfahrer weitgehend überflüssig machen. Auch bei den besonders gefährdeten Bürotätigkeiten (bundesweite Prognose: -268.000 Stellen) verliert NRW mehr als andere Länder, weil es davon im Land so viele gibt.

Am wichtigsten dafür, ob jemand eine gute berufliche Zukunft habe, sei aber nicht mehr sein Ausbildungsstand, sondern seine Bereitschaft, sich auf die Veränderungen einzustellen, sagt Arbeitsmarkt-Experte Kahlenberg. Der Chef der Randstadt-Akademie Deutschland sieht wenig Zukunft für Digitalisierungs-Verweigerer: Ein Ungelernter, der sich fortbilde, habe im Zweifel bessere Chancen als ein Ingenieur, der sich beharrlich weigere, ein Tablet in die Hand zu nehmen, so Kahlenberg.