Hamburg. Vodafone entdeckt den Kuhstall für sein Internet der Dinge. Konzernchef Ametsreiter setzt auf Gesundheitsapps und digitale Milchkannen.
Die SMS kam um 8.12 Uhr. Zwei Klicks auf seinem Smartphone, dann wusste Phillip Ellerbrock Bescheid. Milchkuh Santafee hatte plötzlich Fieber. Die Temperaturkurve auf seinem Smartphone-Display zeigte einen Anstieg von einem Grad. Ellerbrock marschierte sofort Richtung Stall. Ziemlich schnell ahnte der erfahrene Bauer, dass Santafee sich eine Entzündung am Euter zugezogen hatte. Gar nicht gut. Vor allem, wenn sich die Entzündung ausbreitet. Ellerbrock rief den Tierarzt. Schon wenige Stunden später konnte er dem kranken Tier ein passendes Medikament verabreichen. „Früher hätte ich wahrscheinlich erst beim Melken am Nachmittag gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, sagt er. Jetzt funkt sein Milchvieh selbst im Internet der Dinge – über einen Sensor im Magen.
Die Familie aus Stormarn gehört zu den ersten Landwirten in Deutschland, die das System einsetzen. Dabei werden Vital- und Bewegungsdaten der Tiere aus dem Kuhstall über eine App direkt auf das Smartphone übertragen. Eine Art digitaler Kuhversteher. „So weiß ich immer genau, wie es meinen Tieren geht“, erklärt Ellerbrock. Der 29-Jährige bewirtschaftet den Hof mit 85 Milchkühen, die jeden Tag 3000 Liter geben, mit seinem Vater Bernd. Schon seit Jahren setzt der studierte Agrarbetriebswirt auf Digitalisierung und hat den Erbhof zu einem Vorreiter der Landwirtschaft 4.0 gemacht. Mit Technik des Düsseldorfer Vodafone-Konzerns ist es ihm jetzt möglich, mehrere Anwendungsbereiche miteinander zu vernetzen.
„Der moderne Landwirt braucht Netz“
Voraussetzung ist ein leistungsstarkes Internet. Parallel zu den Mobilfunknetzen bauen die großen Telekommunikationsunternehmen mit Hochdruck das sogenannte Maschinennetz Narrowband IoT aus, eine Art Schmalspurband speziell für das Internet der Dinge. „Der moderne Landwirt braucht Netz. Sensoren und das Internet der Dinge werden für den Bauernhof ähnlich wichtig wie Mistgabel und Traktor“, sagt der Deutschland-Chef von Vodafone, Hannes Ametsreiter. Nach Unternehmensangaben deckt die neue Infrastruktur von Vodafone inzwischen 95 Prozent der Fläche Deutschlands – und reicht auch in den Stall der Ellerbrocks. Die Deutsche Telekom will den Ausbau ebenfalls bis Ende des Jahres abschließen.
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Es handelt sich um eine neue energiesparende Technologie, die im bestehenden LTE-Netz aktiviert wird. Mit niedrigen Frequenzen um 800 Megahertz eignet sie sich besonders gut, um Sensoren und Gegenstände in der Fläche zu vernetzen. Theoretisch könn
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n über das Vodafone-Maschinennetz bis zu vier Milliarden Geräte gleichzeitig per Mobilfunk kommunizieren. Weltweit seien schon 88 Millionen Dinge per Mobilfunk vernetzt. „Jeden Monat wandern mehr neue Gegenstände ins Netz als neue Handys“, so ein Vodafone-Sprecher.
Bereits 2017 hat Vodafone auf dem Düsseldorfer Firmencampus ein Zukunftslabor eingerichtet, um Anwendungen für das Maschinennetz voranzutreiben. Gemeinsam mit dem österreichischen Start-up smaXtec testet der Netzanbieter den Vitaltracker, mit dem Landwirte den Gesundheits- und Vitalzustand ihres Viehbestands in Echtzeit überwachen können. Ist ein Tier krank? Braucht es Wasser? Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Besamung? Kündigt sich die Geburt eines Kalbs an? Dafür müssen die Kühe ein Plastikteil mit einem Sensor schlucken, das mit einer Länge von zehn Zentimetern und einem Gewicht von 200 Gramm aussieht wie eine überdimensionierte Pille. „Die Tiere stört das nicht“, sagt Bauer Ellerbrock, der sich seit August mit zehn Tieren an dem Probelauf beteiligt. Das Plastikteil landet im Pansen, einem der vier Mägen der Rindes. Von hier aus analysiert der Sensor laufend Trink- und Fressverhalten, erkennt Bewegungsmuster, misst die Körpertemperatur und schickt die Daten direkt auf das Smartphone des Landwirts.
1200 Euro plus Leihgebühr für Kuh-Sensor
Mit wenigen Klicks öffnet Ellerbrock die App, in der jede Kuh mit Namen über eine Liste abrufbar ist. Bei Santafee ist inzwischen alles wieder in Ordnung. Die Temperaturkurve der sechsjährigen Schwarzbunten verläuft gleichmäßig. Auch beim Ess- und Trinkverhalten gibt es keine Auffälligkeiten. „Es ist ein Frühwarnsystem. Wenn was ist, bin ich schneller dran“, sagt der Milchbauer. 1200 Euro kostet die Grundausstattung, hinzu kommen vier Euro monatliche Leasinggebühr für den Sensor pro Kuh.
Nach einer Erhebung aus dem vergangenen Jahr betrachten mehr als 80 Prozent der Landwirte die Digitalisierung der Landwirtschaft als sinnvoll. In mehr als der Hälfte der Betriebe werden bereits digitale Lösungen einsetzt. An der Umfage im Auftrag der Rentenbank hatten sich bundesweit 850 Landwirte beteiligt. Die Ellerbrocks setzen bereits seit zwei Jahren „MooCall“ ein, einen digitalen Geburtshelfer, der am Schwanz der Kuh befestigt wird und anhand von typischen Bewegungen analysiert, wenn eine Geburt unmittelbar bevorsteht. „Für Kuh und Kälbchen ist Hilfe bei der Geburt oft überlebenswichtig“, sagt Phillip Ellerbrock. Im Schnitt sterben in Deutschland fünf bis zehn Prozent der Kälber bei der Geburt oder direkt danach.
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Für Vodafone ist die Digitalisierung in Landwirtschaft und Industrie ein wichtiger Zukunftsmarkt mit zweistelligen Wachstumsraten. Deshalb steht Vodafone-Chef Ametsreiter an diesem verregneten Herbstvormittag in Gummistiefeln und robuster Jacke im Stall der Ellerbrocks. Konkrete Angaben zur Höhe der Investitionen, die das Unternehmen in den Aufbau des Maschinennetzes Narrowband IoT steckt, will er nicht machen. „Wir bauen den Bereich weiter aus“, sagt er nur. Der Anspruch: „Ein Netz für jede Milchkanne.“ Das ist auch ganz wörtlich gemeint. Das Unternehmen hat bereits einen Prototypen für vernetzte Milchkannen entwickelt. Über einen Infrarot-Sensor werden Standort und Füllstand der Milchkanne sowie die Temperatur der Milch ermittelt und sind dann per Tablet abrufbar.
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Für Bauer Ellerbrock eine Perspektive zur weiteren Optimierung der Produktionskette. Aktuell müssen immer wieder Proben der Milch genommen werden, die in einem Tank lagert. „Es wäre praktisch, wenn die Daten digital abrufbar wären.“ In Planung sind zudem weitere Messoptionen, etwa der Milchfettgehalt. Die Ellerbrocks sind überzeugt von den digitalen Helfern. In ihren Ställen hängen auch Kameras, mit denen sie von unterwegs mal kurz nach ihren Tieren schauen können. „Das ist ein gutes Gefühl“, sagt Phillip Ellerbrock. Trotzdem könne die Technik natürlich nie das Wissen und die Kontrolle im Umgang mit den Tieren ersetzen. „Man kann sich nicht 100 Prozent darauf verlassen“, sagt der Landwirt. „Ich gehe natürlich auch weiter durch die Ställe. Das Wichtigste ist, dass man seine Kühe kennt.“