Essen. Ausbildung-Drama: Betriebe finden keine Azubis, Jugendliche keine Stelle. Warum sie nicht zueinander finden und wie die Lage in den Städten ist.
Besonders im Ruhrgebiet fehlen nach wie vor viele Ausbildungsplätze, gehen Jugendliche leer aus, obwohl gleichzeitig immer mehr Lehrstellen nicht besetzt werden können. Die Lage am Ausbildungsmarkt bleibt trotz des langen Aufschwungs und der sinkenden Schulabgänger-Zahlen schwierig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Der „Ländermonitor berufliche Bildung 2019“ bescheinigt Nordrhein-Westfalen eine angespannte Situation, die sich allerdings in den einzelnen Regionen völlig unterschiedlich äußert.
Das größte Problem im Ruhrgebiet ist demnach noch immer ein Mangel an Lehrstellen, während etwa in Südwestfalen eher die Bewerber fehlen. Trotzdem gesellt sich auch zwischen Duisburg und Dortmund ein wachsendes Problem hinzu: Betriebe und Bewerber finden immer schlechter zusammen, die so genanten „Passungsprobleme“ sorgen für die widersprüchliche Lage, dass viele Jugendliche unversorgt bleiben und gleichzeitig viele Betriebe keine Azubis finden.
So ist die Lage in den Revierstädten
Insgesamt stehen in NRW 100 Bewerbern 91 Lehrstellen zur Verfügung, deutlich weniger als bundesweit (97). Weil sich nicht wenige Jugendliche noch umentscheiden, doch lieber studieren gehen, ein Auslandsjahr einschieben oder ihre Bewerbung aus anderen Gründen zurückziehen, ist das im Vergleich zu früheren Zeiten ein ordentlicher Wert, noch vor zehn Jahren gab es nur 84 Stellen. Doch im Ruhrgebiet fehlen nach wie vor Stellen. So kamen 2018 im Arbeitsagenturbezirk Oberhausen (mit Mülheim) auf 100 Bewerber nur 82 Ausbildungsplätze, in Gelsenkirchen 83, im Kreis Recklinghausen 84, in Bochum 85 und in Dortmund 87. Allein Essen liegt mit 94 Stellen für 100 Bewerber über dem Landesschnitt.
Die Studie wertet die Daten aus dem vergangenen Ausbildungsjahr aus, die Probleme setzen sich im laufenden allerdings fort. Es gibt im Ruhrgebiet mehr Stellen (+5,1%) und weniger Bewerber (-2,8%), aber nach wie vor die gleichen Probleme. In Gelsenkirchen und im Kreis Recklinghausen standen zuletzt nur noch 63 bzw. 66 Stellen für 100 Bewerber zur Verfügung.
Der Jugendliche passt dem Betrieb nicht – und umgekehrt
Gleichzeitig finden immer mehr Betriebe keinen Azubi. 2018 blieben in NRW rund 9600 Plätze leer, in diesem Jahr dürften es erneut mehr sein – Ende August gab es noch 28.219 unbesetzte Stellen. Zwar waren auch noch 22.548 Jugendliche unversorgt, doch es passt oft einfach nicht zusammen. Dafür nennt die Bertelsmann-Studie drei Gründe:
- 1. Für sechs von zehn unbesetzten Stellen gibt es zwar direkte Bewerber, doch entweder halten die Betriebe sie für ungeeignet oder die Bewerber möchten nicht in den Betrieb, weil er ihnen nicht gefällt, zu klein ist oder der Chef nicht sympathisch genug. Besonders häufig werden diese Passungsprobleme in Verkaufsberufen, in kaufmännischen Berufen sowie auf dem Bau und im Baunebengewerbe beobachtet. „In diesen Fällen muss es gelingen, mehr Brücken zwischen Jugendlichen und Betrieben zu bauen“, sagt Claudia Burkard, Berufsbildungs-Expertin der Bertelsmann Stiftung. Betriebspraktika seien hilfreich, Jugendlichen und Betrieben ein gegenseitiges Kennenlernen zu ermöglichen und Vorurteile abzubauen.
- 2. Bei jedem vierten „Mismatch“ passen angebotene Stellen und Berufswünsche nicht zusammen. So zieht es viel zu wenige Jugendliche ins Hotel- und Gaststättengewerbe oder ins Ernährungshandwerk (Metzger, Bäcker). Umgekehrt ist es in den Metall- und Elektroberufen sowie bei den medizinischen Fachangestellte, etwa der Zahnarzthelferin – hier gibt es für die vielen Bewerber nicht genügend Stellen.
- 3. Immerhin noch gut jeder sechste Ausbildungsplatz (15) bleibt unbesetzt, weil die Bewerber in einer anderen Region wohnen als sich der eigentlich passende Betrieb befindet. Der Weg ist ihnen zu weit oder die Fahrtkosten sind zu hoch. NRW will diesem Problem nun mit dem neuen Azubi-Ticket begegnen.
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Stiftungsvorstand Jörg Dräger warnt vor einer tiefen Spaltung des Lehrstellenmarktes: „Wir müssen die Integrationskraft des Ausbildungssystems stärken.“ Er schlug für strukturschwache Regionen wie das Ruhrgebiet eine Weiterentwicklung des öffentlich geförderten Übergangssystems vor. Die meisten Bewerber mit Hauptschulabschluss und Bewerber mit Migrationshintergrund haben es nach wie vor schwer, den direkten Weg in die duale Ausbildung zu finden: Von den Jungs, die von der Hauptschule kommen, erhält nur jeder vierte eine Lehrstelle, von den Mädchen 43 Prozent. Deshalb müssten viele Jugendliche erst einmal fit für die Ausbildung gemacht werden.