Duisburg. Das Ruhrgebiet will Teststrecke für autonome Binnenschiffe werden. Simulatoren stehen in Duisburg. Eine virtuelle Fahrt über den Rhein.
Ein Knopfdruck und die Diesel-Aggregate heulen auf. Joachim Zöllner legt den Schubhebel um und steuert das 135 Meter lange und 11,4 Meter breite Containerschiff nur mit einem runden Knopf. Zu schnell darf er nicht werden. Wenn er auf dem Rhein hohe Wellen erzeugt, gefährdet er andere Schiffe. An der Schleuse in Duisburg rumpelt und schaukelt es plötzlich gewaltig. Der Schiffsführer hat die Wand touchiert. „Ist nur ein Lackschaden“, lächelt Zöllner. Und der ist nicht einmal real. Denn der Mann, der eigentlich Schiffsbauingenieur ist, sitzt im Fahrstand eines Simulators. „Der Boden wackelt gar nicht. Das macht unser Gehirn“, sagt der Wissenschaftler.
Auch interessant
Im Berufskolleg Duisburg-Homberg werden in fünf Simulatoren Schiffsführer ausgebildet. Zöllners Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) in Duisburg nutzt sie aber auch, um Schiffsdesigns zu entwerfen und zu erforschen. Bei der Neuentwicklung von Schiffen sind die Duisburger für die Technik zuständig, die sich unter Wasser befindet. „Wir sind die einzigen Flachwasser-Experten der Welt“, sagt Zöllner, der zum dreiköpfigen Vorstand des Instituts der Universität Duisburg/Essen gehört.
Aktuell steht der DST vor einer Aufgabe, die Geschichte schreiben wird. Die Duisburger sollen erforschen, wie Binnenschiffe völlig autonom und ohne Besatzung an Bord durch die Kanäle und über den Rhein fahren können. Das Projekt ist der Ruhrwirtschaft ein Herzensanliegen, denn eine von bundesweit drei Teststrecken soll nach ihrem Willen im Ruhrgebiet liegen. „Der Abschnitt des Dortmund-Ems-Kanal zwischen Dortmund und der Schleuse Henrichenburg ist nicht so stark befahren“, sagt Zöllner. Dort sollen die ersten autonom fahrenden Schiffe erprobt werden. „In 15 Jahren könnte es so weit sein“, meint der Wissenschaftler. Dann sei es keine Vision mehr, dass der Kapitän zu Hause sitzt und die Fahrt seines Schiffes inklusive Be- und Entladung sowie Schleusengänge auf dem Bildschirm verfolgt.
In Duisburg soll ein Leistungszentrum entstehen
Doch bis dahin haben die Duisburger Forscher noch eine Menge Arbeit vor sich. Auf dem Dach ihres Instituts in Uni-Nähe soll ein Leistungszentrum entstehen. „Dort können wir im Trockenversuch üben“, sagt Zöllner. Ansgar Kortenjann von der IHK Duisburg schmiedet bereits weitergehende Pläne: „Wir arbeiten daran, dass dort eine Leitstelle für autonome Schiffe im westdeutschen Kanalnetz entsteht.“ Die Kammern haben das Projekt autonomes Binnenschiff als eines ihrer Kernforderungen auch in die von der Landesregierung initiierte Ruhrkonferenz eingespeist.
Auch interessant
Zunächst müssen die Wissenschaftler aber den Kanalabschnitt digital vermessen und Millionen von Daten über Kurven, Tiefgänge und Strömung einspeisen. „Wir digitalisieren sozusagen das gesamte Leben eines Schiffsführers und seine Intelligenz“, erklärt Zöllner. Dazu gehört, wie er reagiert auf Seitenwind, entgegenkommende Schiffe und im Kanal schwimmende Kinder. „Der Knaller wäre, wenn wir die Intelligenz von 1000 Kapitänen bündeln könnten. Sie sind mit allen Wassern gewaschen“, schwärmt Zöllner.
Gesetzgeber muss rechtliche und ethische Fragen klären
„Rechtliche und ethische Fragen stellen sich im Kanal wie bei Autos auf der Straße“, sagt der IHK-Verkehrsexperte Kortenjann. Den Rahmen, wie der Computer auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren soll, hat der Bundesgesetzgeber zu regeln. Im Simulator können die Zwischenfälle trainiert werden.
Wirtschaft und Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass autonom fahrende Binnenschiffe der Branche einen Schub verleihen und ein Schlüssel zur Lösung von Verkehrsproblemen sein können. „Die Binnenschifffahrt hat einen akuten Personalmangel“, sagt Zöllner. Im Schnitt fahren vier Besatzungsmitglieder auf einem Schiff. Doch die Zahl der Auszubildenden hat sich von 300 auf 150 verringert. „Viele Absolventen wechseln auf Flusskreuzfahrtschiffe. Ihre Zahl nimmt permanent zu“, so der Wissenschaftler.
50 stillgelegte Häfen im Ruhrgebiet
Wenn die Personalkosten nahezu entfallen, lohnen sich nach Einschätzung der Experten auch wieder kleinere Schiffe, die auch bei Niedrigwasser fahren können. Und im Hinterland könnten sie den Lastwagen Paroli bieten. „Im Ruhrgebiet gibt es rund 50 stillgelegte Häfen, die mit autonomen Schiffen wieder genutzt werden könnten. Das könnte die Region von Lkw-Verkehr entlasten“, meint Zöllner. Zwischen Duisburg und Dortmund würden auf dieser kurzen Strecke jährlich rund 70.000 Container transportiert. „Warum nicht mit dem Schiff?“, fragt der Forscher und gibt sich gleich selbst die Antwort. „Bislang ist es zu teuer.“ Das könnte sich durch das autonome Fahren ändern.